Text: Anne Brockmann — Fotos: Kaja Grope
Der Jungfernstieg in Eckernförde liegt in zweiter Reihe zum Meer. Eine schmale Straße, in der sich dicht an dicht alte Backsteinhäuschen vor dem weiten Himmel über der Ostsee ducken. Zwischen einer ehemaligen Fischräucherei und einem Schlachtbetrieb steht noch heute das Elternhaus von Petra Teegen. Durch die kleinen Fenster sei wenig Licht gefallen. „Meine Mutter hat sie umso häufiger geputzt“, erzählt Teegen. Einmal habe sie ihre Mutter gefragt, warum sie sich mit den Fenstern so viel Mühe gibt und die Mutter habe geantwortet, dass das Licht gesund ist und ihnen hilft, sich wohlzufühlen.
Von da an sei Teegen als kleines Mädchen beinahe jeden Tag in den Stall der benachbarten Fischräucherei gegangen, um die Fensterscheiben für die beiden Pferde Max und Moritz zu putzen. „Die waren dafür da, mit einem Karren das Feuerholz vom Hafen in die Räucherei zu ziehen. Die restliche Zeit standen sie angebunden in einem dunklen Verschlag“, erinnert sich Teegen, die es beim Fensterputzen nicht belassen konnte. Bald striegelte sie die beiden und führte sie bei Sonnenschein spazieren. Es war ihre erste innige Beziehung zu Pferden.


Damals war sie elf. Heute engagiert sich die 71-Jährige mehr denn je für die Vierbeiner. Schon vor zwölf Jahren gründete sie den Verein „Pferdeklappe“ und nimmt seitdem auf ihrem Hof in Norderbrarup, der rund 40 Kilometer von Eckernförde entfernt liegt, Pferde auf, die aus ganz unterschiedlichen Gründen nicht mehr bei ihren gewohnten Bezugspersonen bleiben können. Teegen kümmert sich um die Tiere und vermittelt sie in ein neues, stabiles Umfeld.
Wie unerwartet und schnell das Leben aus den Fugen geraten kann, hat Teegen selbst erlebt: Sie war Mutter von drei Jungs, lebte in dritter Ehe auf einem kleinen Hof und hielt vier Pferde: Räuberbraut, Fortuna, Goldie und Zora. Was sie nicht ahnte: Ihr Mann geriet immer tiefer in einen Schuldenstrudel und navigierte sich und seine Familie damit in die Armut. „Eines Tages verkaufte er Haus und Hof, ohne mich einzuweihen, floh ins Ausland und sagte nicht einmal adé“, berichtet Teegen. Sie stand plötzlich allein da – jung, alleinerziehend, ohne Dach über dem Kopf. Eine Gütertrennung hatten sie und ihr Ex-Mann nicht vereinbart.
Bewegende Zeiten
Überhaupt hätte sie mit ihren Partnern kein Glück gehabt, erzählt Teegen. Als sie zum ersten Mal heiratete, war sie 17. Aber der Vater ihres Erstgeborenen trank und hatte „lose Hände“, wie Teegen die erfahrene Gewalt umschreibt. Was sie gerettet habe, nachdem Partner Nummer drei ihr alles genommen hatte, war der bedingungslose Rückhalt in ihrem Freundeskreis.
„Da waren Menschen, die uns ganz praktisch, aber auch mental in einer Art unterstützt haben, wie ich es mir nie hätte träumen lassen“, staunt Teegen noch heute. Durch die Unterstützung konnte sie damals zumindest das Kinderpony der kleineren Söhne behalten. „In dieser Zeit habe ich mir geschworen, die Unterstützung, die ich bekam, eines Tages zurückzugeben. Ich wollte für andere Menschen mit Tieren in schwierigen Zeiten da sein, sobald ich wieder festen Boden unter meinen Füßen spürte“, erzählt sie von ihrem Entschluss.


Doch zunächst hat Teegen jahrelang nicht nur ihre drei Jungs großgezogen, sondern auch außerhalb der heimischen Wände hart gearbeitet, um sich finanziell neu aufzustellen. Und dabei war sie erfinderisch: Weil eines ihrer Kinder selbst betroffen war, entwickelte sie eine rein pflanzliche Salbe gegen Neurodermitis, die sich bis heute gut verkaufe. Ausschließlich nachts arbeitete Teegen als Krankenschwester in einer Klinik.
Und ganz nebenbei habe sie noch Araucana-Hühner gehalten. Die haben ihr „die teuersten Eier in der ganzen Gegend“ gelegt. Irgendwann hatte sie genug Geld beisammen, um für die Bank wieder kreditwürdig zu sein. Für 300 000 Euro kaufte Teegen den jetzigen Klappenhof, der bis heute das Zuhause ihrer Pferdeklappe ist.
Abgabe ist anonym
Hier in Norderbrarup, auf dem Land in Schleswig-Holstein, wo gerade einmal 650 Menschen leben, hat Petra Teegen in den vergangenen zwölf Jahren rund 2 500 Tiere aufgenommen – und weitervermittelt. 42 Plätze in Form von Einzelboxen hat sie offiziell. „Manchmal haben wir fast 50 Pferde gleichzeitig da. Dann wird kurzfristig die Bewegungshalle umfunktioniert oder andere spezielle Räume“, bemerkt Teegen pragmatisch. Denn sie weiß: Schicksalsschläge fragen eben nicht nach ihrer Kapazität.
Die Stallungen auf dem Klappenhof sind ein Sammelsurium an Gebäuden. Da ist zum Beispiel der große „Q-Stall“ mit einer Wellblechfassade in Tannengrün. Der Untersuchungsraum für die Neuankömmlinge führt direkt auf kleine Koppeln. Eine andere Herberge auf dem Gelände ist außen mit dicken, langen Holzbohlen vertäfelt. Gleich daneben gibt es alte, weiß gestrichene Backsteingemäuer. Alle Boxen sind üppig mit Holzspänen ausgestreut, in denen weiche Pferdeschnauzen nach Heu wühlen.


Die sogenannte Notkoppel, die die eigentliche Klappe für Neuankömmlinge ist, befindet sich 150 Meter entfernt. Denn genau wie bei einer Babyklappe können Pferdeeltern ihre Tiere hier anonym abgeben. „Es kostet die Betroffenen ohnehin viel Überwindung, diesen Schritt zu gehen. Wenn die Gefahr bestünde, von einem Posten hinter irgendeiner Gardine beobachtet zu werden, würden wir es ihnen noch schwerer machen. Deshalb die kleine Distanz zum Hof.“
Dreimal täglich sieht Teegen nach, ob ein neues Pferd abgegeben wurde. 248 waren es allein im letzten Jahr. Am Eingang zur Koppel ist ein Briefkasten angebracht, in den Menschen den Equidenpass ihres Tieres einwerfen müssen – ein Identifizierungsdokument. „Ohne den geht nix“, sagt Teegen. Alle weiteren Angaben sind freiwillig.
Tiere für den Status
Steht ein Pferd auf der Koppel, führt Petra Teegen es in eine der Quarantäne-Boxen, die dem „Q-Stall“ seinen Namen geben. Dort macht sich tiermedizinisches Fachpersonal so schnell wie möglich ein Bild vom Gesundheitszustand. Auch das Klappen-Team versucht herauszufinden, wer da genau vor ihnen steht. Ein ehemaliges Schulpferd, ein Freizeitpferd, eines, das gut mit anderen zurechtkommt oder gerade nicht? Eines, das leicht zu führen ist oder eher schwer?
Ist medizinisch alles in Ordnung und ein erster Eindruck gewonnen, entsteht ein Steckbrief, der in den sozialen Netzwerken verbreitet wird. Danach klingelt Teegens Telefon an manchen Tagen hundert Mal. So viele Menschen rufen dann an, um sich für ein Pferd zu bewerben. „Oft habe ich nach nur wenigen Sätzen ein Gefühl dafür, wer es ernst meint und auch die nötige Erfahrung mitbringt oder wer nur kostengünstig an ein Pferd kommen will“, meint Teegen. Sie sagt: „Ein Tier ist kein Luxusobjekt, sondern ein Lebewesen, das Know-how braucht!“


Damit die Pferde eine reelle Vermittlungschance haben, dürfen sie nicht älter als 20 Jahre sein. „Andernfalls wären wir ein Gnadenhof. Das ist auch eine wichtige Aufgabe, aber dieser haben sich zum Glück schon andere angenommen. Unser Fokus liegt auf Weitervermittlung. Wir wollen Pferden eine Zukunft in einem für sie passenden Zuhause geben.“ Zwischen drei Tagen und einem Jahr dauere es, bis ein Pferd aus der Klappe zu einer neuen Koppel findet.
Pferden und Menschen in Not zu helfen, koste den Verein jeden Monat 35 000 Euro: Futter, Einstreu, tierärztliche Behandlung, Hufschmied, Instandhaltung, Gehälter. Letztere würden jedoch keinen allzu großen Posten ausmachen. Vieles laufe ehrenamtlich. Ein paar Minijob- und Vollzeitkräfte beschäftigt Teegen. Gedeckt würden die Kosten vor allem durch Spenden und Mitgliedsbeiträge der Vereinsmitglieder – 1 300 seien das inzwischen.
Pferdegeschichten
Und dann gibt es noch den Erfindergeist von Petra Teegen: Nachts, wenn auf dem Hof alles schläft, schreibt sie Geschichten. Immer wiederkehrende Schlafstörungen seien ein Erbe von 20 Jahren Nachtdienst im Krankenhaus. „Irgendwann habe ich beschlossen, die Zeit sinnvoll zu nutzen, anstatt mich an der Ruhelosigkeit aufzureiben“, so die einstige Krankenschwester. Seither schreibt sie auf, was in der Pferdeklappe passiert. Der Erlös aus dem Bücherverkauf fließe zurück in ihr Engagement. „Wahrscheinlich kaufen die Menschen meine Bücher nicht, weil ich so gut schreibe, sondern weil sie wissen, dass ich es für die Pferde tue“, mutmaßt Teegen. Aber in dem Fall, so findet sie, heilige der Zweck allemal die Mittel.
Eine One-Woman-Show ist ihre Pferdeklappe aber bei Weitem nicht. Teegen weiß, dass sie nur helfen kann, weil sie selbst viel Hilfe bekommt. Allen voran von ihren Söhnen, die auf dem Hof kräftig mit anpacken. Genau wie all die anderen helfenden Menschen, die sich für kleines Geld oder ehrenamtlich engagieren. Die Veterinär- und Ordnungsämter tragen die Kosten für Tiere, die sie in Obhut nehmen müssen und auf den Hof bringen, selbst. Und die Tierkliniken unterstützen die Pferdeklappe immer wieder mit großzügigen Sach- und Geldspenden.


Einer, der für Teegen in besonderem Maße symbolisiert, was möglich ist, wenn Menschen sich zusammentun, ist Clippy Naseweis. Der junge Hengst kam mit einem verdrehten Oberkiefer zur Welt, der es ihm unmöglich gemacht hat, zu fressen. Er wäre ohne Hilfe verhungert. Das äußerst seltene Wry-Nose-Syndrom, wie seine Erkrankung heißt, ist kaum erforscht. Dennoch wurde Clippy in der Hanseklinik für Pferde in Sittensen von einem elfköpfigen Team operiert und ist auf dem besten Weg in ein vergnügtes Pferdeleben.
Auf Instagram verfolgen über 90 000 Interessierte Clippys Heilungsweg. Durch die Reichweite seien schon 15 000 Euro zusammengekommen. Für Petra Teegen ein Anlass, ihren Einsatz für die Tiere mit einem politischen Appell zu verbinden: „Wir können so viel schaffen, wenn wir zusammenhalten. Zusammenhalt aber braucht den Boden der Demokratie. Sie ist es, die die Schwächsten in unserer Gesellschaft schützt: Kinder, Alte, Kranke, Tiere.“
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