Text: Juli Katz — Fotos: Patrick Hinz
Franziska Tanneberger zu treffen, gleicht einem kleinen Abenteuer. Das Auto ist an einem kleinen Feldweg abzustellen. Weiter geht es ein paar Meter zu Fuß, um in einen Tretboot-Schwan zu steigen. Und wer dann noch ein paar Minuten auf der Peene kräftig in die Pedale tritt, erreicht schließlich am Lokal „Der Moorbauer“. Hier, irgendwo zwischen Malchin und Neukalen, zwischen Jettchenshof und Gorschendorf, mitten im tiefsten Vorpommern, steht Tanneberger am Steg der Gaststätte, nimmt einem das Tau ab und wirft es locker um einen Holzpfahl. Dann streckt sie Hand aus und hilft beim Aussteigen.
Tanneberger kennt sich hier aus. Gleich hinter der Gaststätte beginnt eine Moorfläche, auf der die Forscherin schon häufig unterwegs war. Wenn sie erst einmal den matschigen Weg zurückgelegt hat und auf die Weite verschiedener Moorflächen schaut, sieht sie nicht nur Gras, ein paar Pfützen oder matschigen Sumpf, wie es das ungeschulte Auge tun würde.
Im Gegenteil: Sie sieht riesige Kohlenstoffspeicher, die wie Schwämme funktionieren, vielen Tieren und Pflanzen als Lebensraum dienen. Moorgebiete sind ihr vertraut. Tanneberger kennt Seggenrohrsänger, Farne, Schachtelhalme, Braunmoose und weiß, wie sie beim Kauen auf Torf die Anteile an mineralischem Material eines Bodens herausfindet. Das Moor ist das Thema, dem sie sich seit mehr als zwei Jahrzehnten widmet.
Schon als Studentin war sie im Wasjugan-Moor nahe der sibirischen Stadt Nowosibirsk. Dort begann ihre Begeisterung. Diese wird auch an den Kämpfen sichtbar, die sie im Laufe ihrer Karriere geführt hat. Denn obwohl vier Prozent der Landfläche der Erde mit Mooren bedeckt sind und sie damit großen Einfluss auf die Klimakrise haben, wird ihre Wirkung oft übersehen. In Deutschland wurden in den letzten Jahrhunderten 90 Prozent der Moore trockengelegt, um Torf abzubauen und Böden für die Landwirtschaft nutzbar zu machen.
Karten und Gummistiefel
Nasse Moore nehmen klimaschädliches CO2 auf und speichern den Kohlenstoff im Boden. Vorausgesetzt, sie bleiben nass; im trockenen Zustand geben sie das CO2 frei. Somit können nasse Moore einen wichtigen Beitrag zur Linderung der Klimakrise leisten – ein Fakt, der aber weitgehend unbeachtet bleibt. „Aschenputtel-Syndrom“ nennt Tanneberger das.
Die Moorforscherin aber findet immer Lösungen, um auf das Thema aufmerksam zu machen: Einmal schleppte sie zum Beispiel eine riesige Weltkarte aller Moore aus Greifswald mit dem Zug nach Schottland: in einer Tasche für Langlaufski, um dort mit anderen Moorleuten bei der Weltklimakonferenz zu sprechen. Ihr Einsatz hat sich offensichtlich gelohnt. Denn mittlerweile gehört Tanneberger zu den gefragtesten Moorforscherinnen und agiert international, gerade erst wurde sie mit dem Deutschen Umweltpreis ausgezeichnet.
Sie reist durchs Land, saß beim Journalisten Tilo Jung im Studio, fuhr mit Joko für eine TV-Doku durchs Peenetal und hat gerade zusammen mit einer Journalistin ein Buch herausgebracht. Beim „Moorbauern“ sitzt sie heute auch, weil hier am Vortag eine Konferenz stattgefunden hat. Deswegen hat sie mehrere laminierte, großformatige Karten dabei, die sie immer wieder hervorholt, um das, was sie übers Moor erzählt, mit Daten und Fakten zu belegen.
Darin ist sie Profi: Franziska Tanneberger leitet das Greifswald Moor Centrum, ist Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung, forscht zu wiedervernässten Mooren und wie diese genutzt werden können. Einmal pro Woche trägt sie dunkelgrüne Gummistiefel und fährt selbst raus, um zu Tieren, Pflanzen und Torf zu forschen. Die restliche Arbeitszeit füllen die Gespräche mit dem Kollegium, das Vorantreiben von Projekten und Antragschreiben. Und natürlich auch die Fahrten dorthin, wo Moorpolitik gemacht wird.
Das Moor als CO2-Killer
In Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel ist genau das der Fall. Hier sind zwölf Prozent der Landesfläche Moorgebiet, damit zählt das Bundesland zu den moorreichsten Deutschlands. Hier wurden schon früh politische Maßnahmen umgesetzt, die nun anderen Bundesländern als Vorbild dienen. Ein Beispiel sind Kohlenstoffzertifikate, wie Franziska Tanneberger erklärt. Diese zeigen, wie bei einer Wiedervernässung dem eingesparten CO2 ein Wert gegeben und es wieder auf dem Markt verkauft werden kann.
Wieso aber gibt es so viel Unwissen? Tanneberger erklärt: „Das Moor, wie es früher mal war, ist umgewandelt worden in Landwirtschaftsflächen und damit nicht mehr als Moor betrachtet, also im Grunde marginalisiert worden.“ Nun aber, wo es wissenschaftliche Erkenntnisse über den Beitrag der Moore in der Klimakrise gibt, muss sich die Landwirtschaft verändern – und das könne nur im Glauben an ein Miteinander gelingen: miteinander für den Naturschutz, miteinander fürs Klima, miteinander fürs Moor. Das bedeutet auch, dass die Forscherin jeden in der Landwirtschaft arbeitenden Menschen zurückruft, der ihre Nummer wählt, sagt sie.
Im „Moorbauer“ gehen und kommen die Gäste, Schwäne legen an und fahren wieder ab. Ein kommt Hund vorbei, den Tanneberger schon mit Namen kennt: Selma. Doch so idyllisch wie hier ist ihr Alltag nicht immer. Ihre Arbeit gefällt nicht allen. In einer Pressemitteilung der CDU Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel wurden sie und ihre Kollegschaft als „Moor-Taliban“ bezeichnet, die Moorschutz mit der Brechstange durchsetzen wollten.
Eine Brechstange hat Franziska Tanneberger bei diesem Spaziergang nicht dabei. Wohl aber eine großformatige Karte, auf der die Kleine Pechlibelle und das Große Granatauge gelistet sind. Diese Libellenarten konnten innerhalb von drei Jahren auf einer Forschungsfläche bei Neukalen – gelegen zwischen Anklam und Rostock – gefunden werden. Das Moor wurde 2018 wiedervernässt. So sehen die Erfolge aus, die Tanneberger feiert.
Resistenz gegen Fakten
Sich für etwas einzusetzen, heißt an anderer Stelle aber auch, klare Kante zu zeigen. Letztens etwa habe Tanneberger eine Anfrage von jemandem gehabt, der Kohlenstoffzertifikate im Baltikum entwickeln wollte und deswegen die Expertise der Forscherin erfragte. Nach einigen Tagen kam heraus: Dahinter steckte eine Torfabbaufirma, die Geld damit machen wollte, bei der Wiedervernässung der Abbaufläche Zertifikate zu verteilen. „Schade um die Zeit“, quittiert Tanneberger diese Geschichte heute. Greenwashing kennt sie, es begegnet ihr immer wieder.
Zu denken geben ihr auch die Kommunalwahlen vom Juni 2024. „Ich finde es beunruhigend, dass sich in meiner Region wohl jede zweite Person der wählenden Bevölkerung für Parteien entschieden hat, die eine menschengemachte Klimakrise verneinen.“ Obwohl sie vermutet, dass dies nicht der Hauptgrund für die Wahlentscheidung war. Fraglich ist für die Forscherin, wie empirisch fundierte Fakten Grundlage gesellschaftlicher Entscheidungen sein können.
Ein konkreter Vorschlag für eine Veränderung nämlich, den Tanneberger hätte: Klimaziele regionalisieren. Beispielhaft nennt sie den Kreis Vorpommern-Greifswald. „Ich würde gerne wissen, welche Quellen von Treibhausgasen hier im Landkreis in der Bilanz wichtig sind. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Hälfte der Treibhausgase aus entwässerten Mooren kommt.“ Und sobald dieses Wissen einmal vorhanden sei, könne es auch Veränderung geben.
Moor schafft neue Jobs
In der öffentlichen Wahrnehmung und Diskussion wird das Moor zunehmend prominenter. Es erscheinen Bücher zum Thema, überregionale Presse berichtet. Und Tanneberger bemerkt das wachsende Interesse noch an anderer Stelle: Es werden finanzielle Mittel bereitgestellt, die beispielsweise an die Universität Greifswald und die Michael-Succow-Stiftung für Natur- und Klimaschutz gehen – beide sind angedockt an das Moor Centrum. So gesehen holt das Moor also auch Arbeitsplätze nach Mecklenburg-Vorpommern. Über 100 Menschen arbeiten mittlerweile unter dem Dach des Greifswald Moor Centrum.
Tanneberger genießt, wie sehr sich die Menschen um sie herum für die Themen begeistern, betont jedoch, dass viele befristete Arbeitsverträge haben. Das führe zu weniger Planbarkeit. Umso mehr schätze sie deren Eifer: „Wir haben ja nur ein Leben. Entweder wir machen etwas, was uns wirklich begeistert und mit Menschen, mit denen wir es gerne machen – oder nicht.“
Tanneberger versteht sich selbst durchaus als Optimistin. Und trotzdem hinterfragt sie sich und ihren Blick auf die Dinge selbstkritisch: „Manchmal frage ich mich, ob ich zu begeistert bin, um das langgezogene Scheitern zu sehen.“ Sie meint beispielsweise den letzten Bericht des Weltklimarates. Dieser belegt erneut, dass Klimaziele bei weitem nicht erreicht wurden.
Gerade über dieses Scheitern müsste in Zukunft mit einer anderen Ehrlichkeit gesprochen werden, schlägt Tanneberger vor – mit Blick auf eine jüngere Generation, die sich auch mit Klimaangst konfrontiert sieht. Aufgeben will die Moorforscherin aber nicht, im Gegenteil: „Was ist denn die Alternative“, fragt sie. „Im Moorbereich können wir so viel anstoßen. Deswegen denke ich: Lasst uns das erstmal versuchen.“
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