Text: Jule Merx — Fotos: Max Gödecke
Mehr als 170 Hektar Kiefernwald, eine Fläche so groß wie 238 Fußballfelder, hat der US-E-Auto-Konzern Tesla für seine Gigafactory schon roden lassen, weitere 100 sollen folgen – hier auf dem Land in Grünheide, gelegen zwischen Berlin und Frankfurt (Oder). Der nasse Boden ist mit Moos überzogen. Durch das weitläufige Gelände hallt das Rauschen der Regionalbahnen, die zwischen Brandenburg und der Hauptstadt pendeln – und Stimmen.
Ungefähr 80 Menschen vom Bündnis „Tesla stoppen“ haben im Wald ihr Camp aufgeschlagen. Sie bauen an Holzkonstruktionen auf dem Boden. Andere hängen, gesichert durch Karabiner und Knoten, an Seilen in schwindelnden Höhen oder werkeln auf Plateaus in den Baumkronen.
Robin ist eine von ihnen und behält aus Sicherheitsgründen ihren bürgerlichen Namen lieber für sich. Sie sitzt auf einer Plattform, die noch hinauf ins Geäst gezogen werden muss. Hinter ihr liegen ein eingepackter Schlafsack, eine Isomatte und ein paar zusammengeknautschte Rettungsdecken. Was sie zu ihrem Protest bewegt? „Ganz viel in diesem System läuft falsch. Und deshalb ist es wichtig, diese Rädchen, die sonst immer weiterlaufen, an einzelnen Stellen zu unterbrechen. Zu sagen: ‚Halt, Stopp – irgendwas läuft hier nicht richtig.‘“
Robin will die Fabrik-Erweiterung vor den Toren Berlins verhindern und stellt sich den Plänen mit ihrem eigenen Körper in den Weg. Die Gigafactory liegt nur wenige hundert Meter vom Protestcamp entfernt. Tesla-Chef Elon Musk will die Produktion hochfahren. Statt 300 000 sollen in Brandenburg bald eine Million Autos vom Band laufen. Das Werk soll größer und der Wald gerodet werden. Das aber ist nicht möglich, solange Menschen in den Bäumen wohnen.
Während Robin erzählt, beobachtet sie aufmerksam das hektische Treiben um sich herum. Es wird gesägt, geschleppt, gehämmert und geschraubt. Die Besetzenden schaffen aus losen Brettern und Stämmen eine feste Infrastruktur, Sanitäranlagen oder einen Ort zum Kochen. Auch wenn bei solchen Protestaktionen weitgehend auf Komfort verzichtet wird, müssen die Grundbedürfnisse auch hier gestillt werden. Das Bündnis richtet sich ein, um zu bleiben.
Wenn das Wasser knapp wird
Die Szenerie ähnelt denen aus dem Hambacher oder Dannenröder Forst. Trotz allem hat Robin das Gefühl, es sei noch nicht bei allen angekommen, warum so viele diese Form des Protests wählen. Sie ist genervt von der Stigmatisierung der Klimabewegung, vom Stempel, den sie hat.
Sie wünscht sich eine größere Offenheit gegenüber den Aktiven und deren Anliegen. „Wir sind keine Gesichtslosen, die sich in Bäume hängen und mit der Polizei auf Konfrontation gehen. Wir sind ganz normale Menschen, die ihre eigenen Kämpfe, Jobs, Lebenspläne, Beziehungen haben“, sagt Robin. Sie alle eine die Überzeugung, gesellschaftlich etwas bewegen zu wollen.
„Ich bin frustriert, wie langsam sich Dinge verändern und wer an den Hebeln sitzt“, sagt Robin. Die Menschen aus Grünheide haben sich mit großer Mehrheit gegen den Bebauungsplan von Tesla ausgesprochen. Das Vertrauen, dass die Politik der Abstimmung folgt, habe sie wie viele andere nicht. Also lenkt das Bündnis mit der Besetzung den Blick auf das eigentliche Thema.
Zwar hängen die Aktiven hoch oben über dem Waldboden, aber das, was sie am dringendsten schützen wollen, liegt verborgen unter der Erde: Grundwasser. Denn das Tesla-Werk wurde in einem Trinkwasserschutzgebiet gebaut und gefährdet nun die Versorgungssicherheit, weiß Robin. Der Fabrik wurde so viel Wasser zugesichert, wie schätzungsweise 40 000 Menschen verbrauchen würden – und das in einer der trockensten Regionen Deutschlands. Gleichzeitig sei zu befürchten, dass dafür der Wasserverbrauch von Privatpersonen gedeckelt werde.
Auch darüber hinaus sorgt der Elektroauto-Gigant regelmäßig für Schlagzeilen: zuletzt wegen deutlich überschrittener Grenzwerte im Abwasser. Teilweise wurde sechsmal mehr Phosphor und Stickstoff als üblich nachgewiesen. Die negativen Folgen der Produktion sind aber längst nicht nur in Grünheide zu spüren, sondern genauso in Lateinamerika. Dort wird das Lithium für die E-Auto-Batterien abgebaut. Mit der Förderung dieses seltenen Metalls wird den Menschen vor Ort das Wasser und damit ihre Lebensgrundlage entzogen. Die Fabrik in Brandenburg sei somit eng mit neokolonialen Ausbeutungsstrukturen verknüpft, fasst Robin zusammen.
E-Auto statt Mobilitätswende
In den Augen der Besetzenden ist Tesla deshalb auch kein Teil der Lösung für eine nachhaltige Mobilität – das läge nicht nur an den schlechten Arbeitsbedingungen. „Wir stehen für eine soziale und klimagerechte Mobilitätswende“, meint Robin. Und Elon Musks Teslas würden in die falsche Richtung rasen, weit weg vom eigentlichen Ziel. „E-Autos sind nicht die Antwort auf die Klimakatastrophe, sondern auf eine Krise der Automobilindustrie.“ Ein Luxusauto, das sich nur wenige leisten können und in der Produktion enorme Ressourcen verschlucke, sei nur eine Scheinlösung. „Wir fordern den Ausbau des ÖPNV und die Zugänglichkeit von Verkehr.“
In Grünheide wollen sie ihren Forderungen Nachdruck verleihen. Deswegen sind in der Nacht vom 27. zum 28. Februar rund 40 Menschen möglichst leise in das Waldstück neben der Fabrik geschlichen, um dieses zu besetzen. Taschenlampen hätten sie dabei kaum gebraucht. Die strahlend helle Produktionshalle leuchtete auch nach Sonnenuntergang den Wald aus.
Sonst hätten sie mit dem roten Licht der Stirnlampen gearbeitet. Das sei für andere kaum sichtbar, verbrauche weniger Batterie und die Augen würden sich dadurch besser an die Dunkelheit gewöhnen. „Krass, wie viele Leute das hier auf sich genommen haben, um mitten in der Nacht herzukommen und irgendwie diese Plattformen in die Bäume zu bekommen.“
Bis weit in die Morgenstunden wurden vorgefertigte Bauteile in den Wald getragen und mit Flaschenzügen nach oben gezogen. Insgesamt acht Konstruktionen sind so in den Wipfeln der Bäume entstanden. „Anfangs hatte ich Sorge, dass jeden Moment die Polizei auftaucht“, sagt Robin. „Über die vielen Stunden hinweg aber hat es sich fast nach Normalität angefühlt.“
Proteste und utopische Ideen
Wie die vorgefertigten Plattformen in den Wald gekarrt wurden, wie die Besetzung genau vorbereitet wurde, wer geholfen hat – das sind Fragen, die offen bleiben. Genaueres über die Organisation möchte Robin nicht preisgeben. Das Risiko ist hoch, Repressionen erwartbar. Denn immer wieder gibt es laute Stimmen, die diese Form des Protests verurteilen. „Es hat vollste Legitimität, diese Grenze der Legalität zu übertreten, um deutlich zu machen, welche Grenzen eigentlich permanent im legalen Rahmen überschritten werden“, erwidert Robin.
Viele der Menschen hier haben kaum geschlafen. Und trotzdem ist die Stimmung gut. Es ist relativ ruhig, die Besetzung am Morgen des 28. Februar noch nicht öffentlich, die Polizei noch nicht informiert. Nur ab und zu ertönt der Ruf „Achtung, Seil!“ und warnt vor herabsausendem Kletterequipment. „Es ist immer schön, Sachen aufzubauen und diesem Ort hier ein bisschen utopisches Leben einzuhauchen. Das ist immer ein wichtiger Teil des Protests – nicht nur was zu blockieren, sondern auch stellenweise aufzuzeigen, wie es anders sein kann“, sagt Robin.
Utopisch meint für sie persönlich aber nicht, im Wald in zehn Metern Höhe zu leben, sondern „die Art, wie wir uns organisieren. Basisdemokratisch und sehr selbstbestimmt“. Da stecke viel drin, wie es auch im gesellschaftlichen Rahmen funktionieren könne.
Angst vor den Konsequenzen hat Robin keine. In anderen Ländern dagegen werden Menschen ermordet, wenn sie sich für die eigenen Rechte oder Umweltschutz einsetzen. In Deutschland ist das anders, dem ist sich Robin bewusst. Wie belastend die Welt mit ihren Schieflagen sein kann, weiß sie nur zu gut. „Das führt manchmal zu einer krassen Passivität, zu Depressionen und zu einem Abstumpfen. Und beides führt nicht in eine Handlungsfähigkeit. Aber eigentlich haben ganz viele Menschen so ein intuitives Gefühl dafür, was eigentlich richtig ist.“
Und dem sollten sie auch folgen: „Wenn ich sehe, was wir hier so auf die Beine stellen können, dann gibt mir das Hoffnung, dass wir auch noch andere Themen gemeinsam angehen können und es vielleicht schaffen, gute linke Antworten auf gesellschaftliche Krisen durchzusetzen.“
Das Warten auf die Räumung
Robin steigt in ihren Klettergurt, checkt das Equipment und zieht die Knoten fest. Knapp elf Meter über ihrem Kopf ist die Plattform aus Holz in Kletterseilen eingehängt. Dort will sie jetzt hinauf. Ihre erste Besetzung ist das nicht. Auch in Lützerath und im Dannenröder Forst war sie dabei. „Ein krasser Mix aus Skills und Humanpower“ mache solche Aktionen erst möglich.
Eine Stirnlampe, warme Kleidung, Wasser, Snacks, ein Taschenmesser, einen Klettergurt und ein Feuerzeug, um die Enden der Seile fachgerecht abzuflammen – all diese Dinge hat Robin bei Besetzungen im Wald immer mit dabei. Sie hält inne, überlegt kurz und klopft prüfend ihre Hosentaschen ab. „Und Klopapier“, ergänzt sie grinsend.
Die Stunden vergehen, der Tag neigt sich dem Ende zu. Klohäuschen werden gezimmert, aus den Baumkronen tönen die Geräusche der Werkzeuge. Robin, die auch Pressesprecherin des Bündnisses ist, führt immer wieder Medienvertretende herum und spricht ihre Forderungen in laufende Kameras oder Mikros. Langsam verschwindet die Sonne hinter dem Horizont. Der Waldboden liegt schon im Dunkeln. Robin übernachtet heute nicht im Wald. Sie müsse morgen wieder zur Arbeit und deswegen später zurück in die Stadt. Als die Sonne schließlich komplett untergegangen ist, leuchten in der Dunkelheit die roten Lichtpunkte der Stirnlampen auf.
Wie lange die Besetzung bestehen kann, ist unklar. Eine Räumung jedoch wäre für Robin nicht das Schlimmste. „Es wäre nur schade, wenn Leute nicht verstehen, was wir hier machen. Wenn wir geräumt werden und es niemanden interessiert.“ Denn es gehe um sehr viel mehr, als nur darum, die Erweiterung zu verhindern. Das Bündnis will einen Ort der Inspiration schaffen. „Ich will andere dazu ermutigen, sich mit Menschen zusammenzutun, um zu schauen, wie wir uns an Orten organisieren, an denen wir unterwegs sind: auf Arbeit, im Kiez, im nächsten Wald.“
Aus der Besetzung in Grünheide soll in den kommenden Wochen ein Begegnungsort werden, sagt Robin. Menschen sollen in Kontakt kommen, Debatten führen, einander zuhören. „Wenn dieser Ort alles geleistet, die Erweiterung verhindert und dazu inspiriert hat, Menschen Kraft und Hoffnung zu geben, können wir den Wald wieder verlassen. Abbauen, was wir aufgebaut haben und unsere Fähigkeiten an einen anderen Ort tragen, der das genauso braucht.“
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