Text: Meret Weber — Fotos: Benjamin Jenak
„Wiki fucking riooot!“ So stellt sich Wiktoria Phillips bei Instagram und auch im echten Leben vor. Sie gibt sich genau so, wie sie die fast 70.000 Menschen ihrer Online-Community kennen: energetisch, freundlich und super selbstbewusst. Die Idee für ihren Auftritt, der in den letzten zwei Jahren massiv gewachsen ist, kam spontan, erinnert sie sich – so wie die allermeisten Sachen, die sie dort postet. Mit ihrer Teilnahme an der lesbischen Datingshow „Princess Charming“ 2021 sei schließlich auch der „Mainstream“ auf sie aufmerksam geworden.
Ihr folgten immer mehr Menschen, „natürlich hauptsächlich Lesben“, fügt sie lachend hinzu. Eine sexistische Erfahrung zu viel motivierte sie schließlich dazu, ihren Alltag online sichtbar zu machen. Die Posts und Stories über Diskriminierung, Catcalling und Konsens fanden viel Resonanz – und so wurde aus Wiktoria Phillips die feministische Influencerin Wikiriot.
Eines ist seitdem immer wieder Thema: Scham oder eher die Abwesenheit von Scham. Viele Dinge, die für weiblich sozialisierte Menschen „durch das Patriarchat schambehaftet werden“, seien ihr so nie beigebracht worden: Sich nicht zu rasieren, laut und offen über Körper und Sex zu sprechen. Heute ist das anders. Mit ihrem offenen Umgang eckt sie deshalb bei manchen Menschen an, erhält jedoch überwiegend Dank, Bestätigung und das Feedback, dass sich Menschen, die ihr folgen und ihre Inhalte konsumieren, empowert fühlen. „Leute erhalten durch mich mehr Freiheit – das ist das Wichtigste.“
Nichtsdestotrotz gebe es Dinge, die Wikiriot selbst erst lernen oder verlernen musste. Raum einzunehmen, zum Beispiel. Aufzuwachsen als Schwarze Person in deutschen Dörfern und Städten sei nicht nur zutiefst isolierend – es führe auch dazu, durch die bloße Existenz schon als „zu viel“ wahrgenommen zu werden. Rassistische Erfahrungen trafen sie tief. „Natürlich werde ich dann leise und denke als Kind, es liegt an mir.“
Zwischen Unsichtbarkeit und Hypervisibilität hielt sich Wikiriot lange zurück. Erst mit dem Wechsel auf die Oberschule entschied sie sich: „Jetzt nehme ich mir meinen Raum.“ Über „race“ spricht sie dennoch selten, auch weil sie viele ihrer eigenen Erfahrungen noch nicht ganz aufgearbeitet habe. „Das hat für mich ein anderes Level an Angreifbarkeit, da ist noch viel mehr Schmerz als bei anderen Themen.“ Umso mehr tue es weh, wenn von anderen Schwarzen Menschen Kritik kommt, sie würde nicht ausreichend über Rassismus posten.
Wikiriot widerspricht: Nicht jeder Identitätsfaktor, den jemand hat, müsse dauerhaft online bespielt werden. Rassismus beschäftige sie trotzdem, auch über ihre eigene Positionierung und ihre Erfahrungen in der mehrheitlich weißen queeren Szene denke sie oft nach. Auf den „Lesbian Takeovers“, die Wikiriot und befreundete Menschen überall im Land veranstalten, seien fast ausschließlich weiße Gäste – und der Fakt, dass sie nach nicht-weißen queeren Events viel intensiver suchen muss, sagt für sie vieles über die Community aus.
Diese Community, über die Wikiriot viel spricht, existiert für sie noch gar nicht so lange. Erst mit ihrem Umzug nach Hamburg traf sie auf ein Umfeld, in dem „queer joy“ genauso selbstverständlich war wie eine politische Auseinandersetzung mit dem Patriarchat. In der Hansestadt lernte sie, viele ihrer Erfahrungen beim Namen zu nennen: Heterosexismus, Queerfeindlichkeit oder Diskriminierung. Aber auch: Solidarität. Als sie von ihrem ersten feministischen Kampftag 2020 erzählt, strahlen ihre Augen. In queerfeministischen Kreisen zu sein, habe ihre „Lebensqualität um 2 700 Prozent verbessert“, meint sie.
„Diesen Support untereinander zu erfahren, so connected zu sein, wie cis Männer 16 es ja immer schon sind.“ Auch dem Feminismus kam Wikiriot durch Hamburger Bekanntschaften näher. Lange habe sie sich von dem Begriff distanziert, „weil das Wort gesellschaftlich negativ besetzt war. Ich war nicht in den Kreisen, aber ich war eigentlich schon immer feministisch. Ich musste also nicht viel ablegen, sondern mich einfach mit dem Wort anfreunden.“
Unangebrachte Kommentare
Heute sagt Wikiriot deutlich: Feminismus ist Kampfansage. Als weiblich gelesene, lesbische Person gebe es das „Unpolitische“ nicht. „Eigentlich gibt es das für niemanden“, meint sie. „Auch ein Nicht-Positionieren zu irgendwas ist letztendlich immer eine Positionierung. Wenn es nach Instagram geht, wird es ja sogar zu einem politischen Akt, wenn ich als weiblich gelesene Person scheißen gehe.“ Denn auch das ist auf ihrem Account zu sehen: Wikiriot auf Toilette, im Bett, mit unrasierten Beinen und Pickeln auf dem Po. Es gehe eben darum, Realität tatsächlich abzubilden. Nur so würden sich Menschen daran gewöhnen, erklärt sie. Nur so könne deutlich werden, dass fast niemand den Körpernormen dieser Welt wirklich entspreche. Und nur so könne auch an diesen Normen gerüttelt werden.
Wofür Wikiriot und ihr Account stehen, ist das Vertrauen in die Lernfähigkeit von Menschen. Darin, dass mit Fehlern, Kritik und neuen Konzepten transparent umgegangen wird. Das sei vor allem wichtig, meint sie, um mit politischen Inhalten Menschen zu erreichen, die dem sonst nicht unbedingt ausgesetzt sind. Andere wirkten oft sehr akademisch, und wer nicht Gender Studies studiert oder seit Jahren Theorien liest, könne da schnell untergehen. „Es geht nicht darum, total seriös zu wirken und sich auf eine besondere Weise artikulieren zu können. Ich bin auch smart. Ich kann ‚Ficker‘ sagen und bin trotzdem schlau.“
Für Wikiriot bedeutet das, komplexe Begrifflichkeiten regelmäßig zu erklären – nicht davon auszugehen, dass alle schonmal von Konsens gehört haben oder wissen, warum es eben unangebracht ist, Körper und das Gewicht anderer Menschen ungefragt zu kommentieren. Es heißt genauso, sichtbar zu machen, dass sie als Aktivistin Spaß haben kann. Ihre Stories handeln deshalb auch oft von ihren Partys. Es wird getrunken und durch die Stadt getanzt.
Öffentlichen Raum einzunehmen, Liebe zu zeigen und sich frei zu bewegen, ist für queere Menschen nicht selbstverständlich. Wikiriot will diese „queer joy“ mit ihrer Community teilen – sagt aber auch, dass sie ihr Leben nicht für den Account einschränken will. „Ich mache das, solange ich Bock drauf habe. Ich will da keinen Druck spüren, immer irgendwie zu irgendwas etwas sagen zu müssen oder so und so viele Beiträge pro Tag zu machen. Ich mache einfach, wonach ich mich gerade fühle.“
Diese Bildungsarbeit, die sie auf Instagram macht, trägt sich in Wiktoria Phillips „echtem“ Leben weiter. Mehr als zehn Jahre schon arbeitet sie als Erzieherin. In der Pädagogik, in der Arbeit mit jungen Leuten, müsse auch die feministische Arbeit beginnen, sagt sie. Die wenigen neuen Ansätze und Konzepte, die sich in der Erziehungsarbeit explizit mit Gender und Sexualität auseinandersetzen, reichen ihr nicht. So gebe es bis heute kein Konzept, das gegen sexistische Rollenbilder arbeitet. „Es steht jetzt zwar immer mit drin, dass alle super tolerant sind, aber die Sachen passieren halt trotzdem.“ Diskriminierung zwischen den Kindern, Eltern und dem Personal werde so nicht weniger, meint Wiktoria Phillips.
Auf Instagram und in der Arbeitswelt kritisiert sie vor allem die Entwicklung, sich Feminismus, Antirassismus und Co. auf die Fahne zu schreiben, ohne tatsächlich etwas an der Situation zu verändern: „In dem Moment, wo Schulen oder Kitas sich das irgendwo hinschreiben, hören sie oft auf, sich damit auseinanderzusetzen.“
Ob Instagram oder „echte Welt“, Wiktoria Phillips bleibt sie selbst. Ohne Kompromisse. Es sei schließlich nicht ihre Aufgabe, nicht zu stören. Denn selbst wenn Queerness auch in der Mehrheitsgesellschaft immer mehr zum Thema werde, es mehr Rechte und Freiheiten gibt, bleibe ihre lesbische Sichtbarkeit trotzdem häufig Störfaktor. „Und das ist in diesem System auch gut so. Dass ich zu laut bin, zu vulgär, ist die Kritik, die ich am häufigsten kriege. Und es ist auch okay. Nicht alle Menschen müssen meine Art mögen. Aber ich kanns ja trotzdem machen. ‚Du musst mich nicht lieben, aber ich werde mich deinetwegen nicht ändern – außer ich diskriminiere dich unwissenderweise. Ansonsten liebe ich mich genau so, wie ich bin.‘“
Dieser Text erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe des Veto Magazins: www.veto-mag.de/gedruckt. Unsere Botschaft an alle Gleichgesinnten: Ihr seid nicht allein!