Klamaukig ernst — Tarik Tesfu

Im Netz hat sich Tarik Tesfu seine eigene Bühne geschaffen. Ihm geht es um Feminismus, Gender und Rassismus – weniger akademisch, dafür provokant. Als nächstes will er den deutschen Late-Night-Talk aufmischen.
15. Mai 2019
6 Minuten Lesezeit
Text: Tom Waurig — Fotos: Luca Abbiento

Diese Meldung sorgte für Jubelstimmung in den bundesdeutschen Medien. Vor knapp einem Jahr gab die ARD bekannt, dass mit Schauspielerin Florence Kasumba erstmals eine schwarze Frau in der Kult-Krimiserie Tatort ermitteln werde, an der Seite von Maria Furtwängler in der Universitätsstadt Göttingen. Das sei gut, meinten viele, aber auch längst überfällig, kommentierten andere. Im Februar flimmerte dann die erste Folge über die Bildschirme – eine zweite ist schon in Planung. Kasumba selbst sieht in ihrem Auftritt einen „Türöffner für andere Filmschaffende“.

Doch bleiben die Öffentlich-Rechtlichen bei ihrer neuentdeckten Vielfalt? Dann könnte die Schlagzeile bald heißen: „Tatortermittler Tarik Tesfu“. Vielleicht an der Seite des populären Münsteraner Duos Börne/Thiel. Oder als klamaukiger Ermittler in Sachsen. Die nötige Portion Humor bringt er jedenfalls mit.

Es wäre nicht einmal eine teure Neuverpflichtung, sondern eine Lösung aus der eigenen Jugend. Denn Tesfu moderiert schon seit 2017 regelmäßig die Sendung Jäger & Sammler bei Funk – dem Jugendkanal von ARD und ZDF.

Aber Scherz und Orakelei beiseite: Für Tesfu jedenfalls geht die Tatort-Neubesetzung mit Florence Kasumba in eine richtige Richtung, weil das deutsche Fernsehen für die afrodeutsche Schauspielerin bislang nur Nebenrollen übrig hatte. Kritik findet er trotzdem, zu flach sei ihm die Rolle von Kommissarin Anaïs Schmitz gewesen.

Er stößt sich besonders am Bild der – wie er es ausdrückt – „angry black Woman. Eine Figur, die allen Menschen Ohrfeigen gibt, wenn sie sich nicht ernstgenommen fühlt.“ Ihm zeige das wieder einmal, dass diese Rolle im Tatort von keiner schwarzen Frau geschrieben sein könne. Also ist Tesfu doch bald selbst Teil des Krimi-Casts? 

Kameraerfahrung hat er auf jeden Fall genug. Bekannt geworden ist er mit seiner wöchentlichen Kolumne „Tariks Genderkrise“, die vor allem auf YouTube und in anderen sozialen Netzwerken lief – kurze Videos zum Thema Feminismus. Tesfu war genervt von den ausschließlich akademischen Diskursen darüber. Er ist selbst vom Fach, hat in Wien Medienwissenschaft und Gender Studies studiert und „selbstbestimmt (ohne Abschluss) beendet“.

Der Wahl-Berliner ist überzeugt davon, dass feministische Themen in den Mainstream gehören. Witzig, ironisch und pointiert sind seine kurzen Clips, aber nicht weniger inhaltsgeladen: Ehe für alle, Mannsweiber, ganze Kerle, pinke Ü-Eier. Klischees schüttelt Tesfu dabei ordentlich durcheinander. Diese Art des Herangehens hat ihn zum „Gender-Messias“ gemacht, zumindest war das sein selbstgewählter Twitter-Name.

Von Piraten und Prinzessinnen

Wie feministisch Deutschland heute ist? „Es gibt noch sehr viel Luft nach oben, gerade in Sachen Gleichstellung“, bemerkt Tesfu. Und Beispiele kennt er genügend: der Gender Pay Gap, sexuelle Gewalt, die zum größten Fall Frauen treffe, und Stereotype, die bewahrt und reproduziert werden und das sogar schon im Kleinkindalter. Tesfu hat eine Ausbildung zum Erzieher hinter sich, kennt sich also auch bei diesem Thema aus: „Ich war wirklich sehr überrascht, wie früh kleine Kinder in Geschlechterrollen gedrückt werden.“ Bausteine versus Puppen, blau versus pink, Pirat versus Prinzessin, Hose versus Kleid – die Liste ist lang und auch lange bekannt.

Und dennoch hat er Hoffnung: „Es gibt sie, die feministischen Kämpfe, die Erfolge feiern. Ich kenne viele Menschen, die sich positionieren, weil ihnen gerade das Netz dafür eine barrierefreie Bühne bietet.“ Der Hashtag #metoo und die persönlichen Erzählungen von Frauen über sexuelle Übergriffe zum Beispiel haben eine Debatte losgetreten – auch über die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Es wird mittlerweile sehr viel offener diskutiert, wenn auch meistens noch sehr hitzig.

Wohl am heftigsten gestritten wird momentan über die geschlechtergerechte Sprache. Die einen sehen im Gendersternchen einen sinnvollen Weg, Männer, Frauen sowie Identitäten jenseits der beiden klassischen Geschlechter in nur einem Wort abzubilden. Und die anderen ärgern sich über die „Sprachverhunzung“. Es haben sich tiefe Gräben aufgetan und der Geduldsfaden ist dünn. Im November 2018 entschied Der Rat für deutsche Rechtschreibung, den Genderstern vorerst nicht in den Duden zu übernehmen, zu kontrovers sei die Debatte, so die Begründung des Gremiums. 

Auch in Teilen der Politik trifft die Offenheit auf heftige Gegenwehr – vor allem am rechten Rand. Altkonservative sehen sich bedroht in ihren bewährten Konventionen und Traditionen, sie wettern gegen die vom Bundestag beschlossene Ehe für alle und sagen dem „Gender-Wahn“ den Kampf an. Doch nicht nur die AfD munitioniert auf, auch die Union wagt sich aus der Stellung. Eine stellt sich dabei an vorderste Front – die designierte Merkel-Erbin AKK. In einem kräftig kritisiertem Karnvelskalauer propagierte Annegret Kramp-Karrenbauer: „Guckt euch doch mal die Männer von heute an. Wer war denn von euch vor kurzem mal in Berlin? Da seht ihr doch die Latte-Macchiato-Fraktion, die die Toiletten für das dritte Geschlecht einführen.“ Tesfu war schockiert, aber auch froh über den Widerstand. Doch auf eine Entschuldigung der Vielleicht-Bald-Bundeskanzlerin warten viele bis heute.

Jung, schwarz und homosexuell

Bedroht denn ein kleines Sternchen (*) die von vielen offensichtlich abgöttisch geliebte deutsche Sprache? Wohl eher nicht. Und doch steht die sprachliche Rücksichtnahme auf Minderheiten immer noch hinten an – gerade in den Redaktionsstuben des Landes. Viele Verlage hätten Angst, meint Tesfu, dass ein Gendersternchen die Auflage rapide in den Keller sinken lasse. „Die, die was zu sagen haben, sind Männer. Und die werden natürlich kaum ein Problem damit haben, dass die Sprache männlich dominiert ist. Das ist auch mit ein Grund dafür, warum weiterhin das generische Maskulinum dominiert.“

Das bedeute aber nicht, dass alle Frauen die gendergerechte Sprache toll finden würden. „Die Medienhäuser sind generell alles andere als divers aufgestellt.“ Es fehlen nicht nur Frauen, sondern auch queere Menschen und Migrationsgeschichten. 

Tesfu ist einer von rund 20 Millionen Menschen in Deutschland, die einen Migrationshintergrund haben. In den Redaktionen spiegelt sich das allerdings so gut wie gar nicht: Schätzungen gehen von vier bis fünf Prozent aus. Genaue Zahlen aber gibt es kaum. Tesfu wäre ergo nicht nur eine Bereicherung im Tatort, sondern auch in den Redaktionen. Er ist so etwas wie der klassische Gegenentwurf zum herrschenden gesellschaftlichen Bild, ein Anti-Held – weder alt noch weiß und auch nicht heterosexuell.

Nicht allen passt, was Tesfu macht. In den Kommentaren unter seinen Videos wird er beschimpft. Mit einem Hackerangriff wurden im letzten Jahr sämtliche Konten und Accounts in Netz gekapert oder gelöscht. Auch private Dokumente wurden online veröffentlicht. Ans Aufhören hat Tesfu schon nachgedacht, aber diese Gedanken schnell wieder verworfen.

Der Moderator ist überzeugt davon, dass junge Generationen anders mit Gender, Feminismus oder Homosexualität umgehen. Das weiß er aus einen Workshops, die er hält. „Die Jugendlichen von heute bringen ein ganz anderes Vorwissen mit. Sie werden mit einer Bundeskanzlerin groß – und mit Netflix-Serien wie „Pose“. Mir geht es aber auch gar nicht darum, dass es keine konservativen Serien mehr geben soll. Es braucht einfach breitere Angebote.“

Und trotz dieses Aufgeklärt-Seins ist der Begriff „Schwuchtel“ gerade auf den deutschen Schulhöfen eins der am meisten benutzten Schimpfwörter. „Wir müssen dafür sorgen, dass der Mainstream sensibler für Diskriminierung wird. Das N-Wort war noch nie in Ordnung und trotzdem schnallen es einige immer noch nicht. Heute bekommen sie dafür aber eher eins auf den Deckel als noch vor zehn Jahren.“  

Rassismus – kein Randphänomen

Er wünscht sich auch mehr Inspiration und mehr Vorbilder, die gebe es zwar, aber sie kämen öffentlich nicht vor. Tesfu setzt sich deshalb auf Quotenregelungen – in Medien, Behörden und in der Politik. Die Zuversicht lässt er sich auf keinen Fall nehmen, sonst würde er das alles nicht machen. „Ich mag keine Trauerfeiern. In Deutschland zu leben, ist ein krasses Privileg. Das will ich nutzen, um geilen Scheiß zu machen. Auch wenn unsere Demokratie vielleicht nicht perfekt ist, arbeiten wir doch alle gemeinsam daran, damit es besser wird. Und wenn ich dann an die Stimmen bei den Wahlen für die AfD denke, sage ich mir manchmal: „Macht es doch einfach und nervt mich nicht damit.“ Viel wichtiger sei es doch, dass die anderen 87 Prozent in diesem Land auf Kurs bleiben – wohlwissend, „dass es unter denen genauso Vorurteile und Rassismus gibt.“

Auch unter Engagierten erlebt Tesfu immer wieder ein fehlendes Bewusstsein für Privilegien und den eigenen Rassismus. „Es reicht nicht, nur „Refugees welcome“ zu rufen. Wir müssen uns auch eingestehen und reflektieren, dass wir uns alle diskriminierend verhalten.“ Er selbst will sich nicht davon ausnehmen.

„Ich bin genauso Teil des Systems. Ich kenne die medialen Bilder und weiß, wie Geschlecht konstruiert wird.“ Tesfu wünscht sich deshalb einen offeneren Austausch in der feministischen Szene. Denn oft seien es weiße, privilegierte Mittelschichtsfrauen, die auf Podien über Probleme diskutierten. „Ich will die nicht von der Bühne runterstoßen, aber schwarze Frauen oder Muslimas sehe ich bei solchen Themen ganz selten.“ Das heißt konkret: Auch gutgemeinte Aktionen können starre Rollenbilder reproduzieren. Die Frauenfrage sei intersektional zu denken.

Das gilt genauso beim Tatort. Aber die Krimi-Karriere des Tarik Tesfu wird noch warten müssen. Vorher will er die Late-Night aufmischen. Ein eigenes Format mit Talkgästen, Publikum und freiem Eintritt als Alternative zu Böhmermann, Welke und Co.

Nach der gelungenen Premiere soll „Tariks Trallafitti-Show“ bald regelmäßig laufen. Trallafitti heißt im Ruhrpott, da kommt Tesfu nämlich her, so viel wie Ausgehen, Party machen, Spaß haben. „Die Leute haben Bock auf neue Erzählweisen. Es ist aber gar nicht so einfach, feministischen Stand-Up zu machen. Witze leben ja davon, dass sie auch mal fies sind.“ Er adressiere seine Pointen meistens an die Mehrheitsgesellschaft. Denn es wäre Unsinn, wenn er auch auf Homosexuelle eindresche. „Das ist nicht mein Humor.“ Am allerliebsten lache er über sich selbst“, meint Tesfu, „denn das kann mir niemand nehmen“.

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