Freisein — Christelle Nkwendja-Ngnoubamdjum

Rassismus und Fettfeindlichkeit hängen seit jeher zusammen. Christelle Nkwendja-Ngnoubamdjum kämpft auf den Spuren Schwarzer Freiheitsbewegungen – und dafür, dass sich Sehgewohnheiten endlich ändern.
15. November 2021
4 Minuten Lesezeit
Text: Pia Benthin — Fotos: Katrin Binner

Christelle Nkwendja-Ngnoubamdjum beschreibt sich selbst als Schwarz – und fett. Ein Wort, vor dem viele zurückschrecken würden, wählt die 33-Jährige selbstbewusst. Sie kritisiert damit das vorherrschende Schönheitsideal, das nur eine Form zur Norm erhebt – die der dünnen Körper. Das Stigma eines „zu großen“ Körpers äußere sich schon bei der beschränkten Verfügbarkeit an Kleidergrößen in Geschäften, bei schiefen Blicken beim Verzehr von Speisen oder wenn eine Krankheitsdiagnose sofort auf das Gewicht zurückgeführt werde: „Fettfeindlichkeit ist eine Diskriminierungsform, die noch nicht so viel Anerkennung erfährt.“ Dagegen rebelliert die Fat-Acceptance-Aktivistin

Nkwendja-Ngnoubamdjum ist Mit-Herausgeberin und Autorin verschiedener Publikationen, zum Beispiel von „Schwarz wird großgeschrieben“, sie gibt ihr Wissen in Workshops weiter und klärt via Instagram auf. Schon als Kind habe die Tochter kamerunischer Eltern gelernt, Rassismus zu erkennen und ihn klar zu benennen.

Mit ihrem Schwarzsein hat sie sich früh auseinandergesetzt und ihren Weg in aktivistische Bewegungen gefunden. Doch als sie älter wurde und ihr Körper wuchs, realisierte sie noch etwas anderes: „Dass mein Umfeld aufgrund meines Schwarzseins auf mich reagiert, war mir klar. Aber, dass mein Umfeld aufgrund meiner Körperform, meiner Körpergröße auf mich reagiert, begriff ich erst später. Weil Fettfeindlichkeit immer individualisiert wird, habe ich das nicht zusammengebracht.“

Ihren persönlichen Aha-Effekt hatte sie während des Studiums. Auch wenn die Universität an sich eine Institution sei, die ungleiche Machtverhältnisse manifestiere und ihr Studienfach Amerikanistik weiß- und US-zentriert geprägt war, sei die Lehre aufschlussreich gewesen: „Damals habe ich zum ersten Mal im akademischen Kontext von Race Theory, Feminismus und Intersektionalität gehört.“ Letzteres beschreibt einen Begriff, der Ende der 1980er-Jahre von der Schwarzen Juristin Kimberlé Crenshaw geprägt wurde und die Überschneidung von Diskriminierungsformen beschreibt. Wie an einer Kreuzung, englisch „intersection“, treffen demnach strukturelle Formen der Unterdrückung aufeinander und überlappen sich. 

Aus den Theorien hat Christelle Nkwendja-Ngnoubamdjum ihre eigenen Schlüsse gezogen: „Fettfeindlichkeit und Anti-Schwarzer-Rassismus sind tief miteinander verschränkt. Das kann, wie in meinem Fall, nicht einzeln betrachtet werden. Mein Schwarzsein, mein Fettsein und meine Genderidentität stellen eine von vielen Intersektionalitätserfahrungen dar.“

Kolonialvergangenheit aufarbeiten

Das unterstreicht der Blick in die Geschichte der Fettfeindlichkeit, der Schwarze Menschen ausgesetzt sind, wie es Sabrina Strings in „Fearing the Black Body: The Racial Origin of Fatphobia“ beschreibt. In ihrem Buch schildert die Professorin der Universität Kalifornien eingehend wie weiße, christliche Kolonialsiedler das rassistische Stereotyp der „wilden Schwarzen“ erfanden. Dem gegenüber stehe die weiße, dünne Norm, in der ein schlanker Körper als erstrebenswert und eine Abweichung davon als Makel betrachtet werde. Dieses Bild, das Mehrgewicht als Krankheit oder Fehler sieht, hat sich über die Jahrhunderte verfestigt und wird stetig reproduziert.

„Die Zuschreibungen haben nur ein Ziel: Das Aufrechterhalten eines bestimmten Ideals, was weiß, dünn, männlich, cis-heteronormativ und ohne Behinderung ist“, kritisiert Nkwendja-Ngnoubamdjum. „Je mehr unsere Körper von dieser konstruierten Norm abweichen, desto mehr werden sie auch an den Rand der Gesellschaft gedrängt, desto weniger Ressourcen werden ihnen zur Verfügung gestellt.“ Teilhabe werde so verunmöglicht. Das zeige sich im Alltag genauso wie in der Wissenschaft. Die Aktivistin stört sich oft an den westlich zentrierten Perspektiven der Diskurse: „Wo sind denn zum Beispiel die afrikanischen, feministischen Menschen und deren Theorien? Ich versuche weiterzudenken und tiefer zu graben.“

Bevor Nkwendja-Ngnoubamdjum näher auf die Geschichte einer historischen Persönlichkeit eingeht, ist es ihr wichtig, eine Triggerwarnung zu Kolonialrassismus, Fettfeindlichkeit und Rassismus auszusprechen. Dann beginnt sie: „Sarah Baartman war eine Khoikhoi mit einem großen Körper, anhand dessen fettfeindliche und rassistische Stereotype aufgemacht wurden.“ Die Schwarze Frau des indigenen Volksstammes aus dem südlichen Afrika, geboren 1789, wurde aufgrund ihrer Körperform in sogenannten „Freak Shows“ in Europa ausgebeutet und war sexualisierter Gewalt ausgesetzt. Auch nach ihrem Tod wurde ihr Körper aufgrund ihres sogenannten „Fettsteiß“ zu voyeuristischen Zwecken ausgestellt. 

Instagram, Inspiration und Ikonen

Christelle Nkwendja-Ngnoubamdjum erzählt ihre persönliche Geschichte, um aufzuklären und andere Menschen zu bestärken. Auf ihrem Instagram-Account bloggt sie und postet Bilder von sich – in einem rosa Pulli mit der Aufschrift „Fat Icon“ oder in einem leuchtend gelben Bikini. Eine Inspiration sei ihr die Schwarze Künstlerin Lizzo: extravagante Outfits und Frisuren, gepfefferte Texte, aber vor allem ein offensiver, liebevoller Umgang mit ihrem Körper machten die Sängerin weltweit zu einer Ikone der Body-Positivity-Bewegung. Auf dem Albumcover „Cuz I love you“ posiert sie nackt vor einem schwarzen Hintergrund, gehüllt in einen Vorhang langer Haare – stark, schön und selbstbewusst. Die Zeile „I am my own Inspiration“ aus „Water me“ hat es Nkwendja-Ngnoubamdjum besonders angetan. 

Für Instagram habe sie sich bewusst entschieden, obwohl die Plattform auch zu kritisieren sei. Zum Beispiel sorge der Algorithmus dafür, dass marginalisierte und aktivistische Personen möglichst unsichtbar gemacht werden, kritisiert sie. Gleichzeitig handle es sich um eine niedrigschwellige Plattform, die dazu beitragen kann, Sehgewohnheiten zu verändern und so Denkmuster aufzubrechen. Das will sie nutzen: „Ich möchte mich sehen. Während meiner Jugend habe ich mich im Fernsehen und den Zeitschriften nicht wiederfinden können.“

Ein Tipp der 33-Jährigen: Den eigenen Feed so kuratieren, dass es sich gut anfühlt. Dadurch könne sich die eigene Wahrnehmung ändern. Mit der eigenen Sichtbarkeit schwinden auch diskriminierende Bilder, hofft die Aktivistin. Das sei essenziell in einer Gesellschaft, in der mehrfach marginalisierte Körper strukturell aus dem Bewusstsein verdrängt würden. 

Nkwendja-Ngnoubamdjum wünscht sich, dass Menschen sich ihrer Privilegien bewusst werden. Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten zu realisieren, sei ein Geschenk, weil es Veränderungen ermögliche: „Wir dürfen nicht aufhören dazu zu lernen und unsere Rollen sowie den Status Quo stetig zu hinterfragen. Aktivistische Arbeit bedeutet: zuhören, Fragen stellen und ins Handeln kommen“, erklärt sie.

„Ich wünsche mir, dass die Menschen, denen seit Jahrhunderten keine Freiheit zugestanden wird, diese endlich erleben dürfen – Menschen in kolonialisierten Ländern, die heute immernoch unter Neo-Kolonialismus leiden. Menschen, die an den Rand unserer Gesellschaft geschoben werden und tagein tagaus unter den herrschenden Unterdrückungssystemen ums Überleben kämpfen. Denn die Spuren, auf denen ich mich bewege, sind die von Freiheitsbewegungen.“

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