Text: Celia Parbey — Fotos: Johanna Lohr
Ein verregneter Tag in München, es ist Mittagszeit. Im Köftehaus im Stadtteil Neuperlach, weit im Südosten der Stadt gelegen, herrscht reger Betrieb. Der Autor, Musikproduzent, Rapper und Moderator David Mayonga – bekannt unter seinem Künstlernamen Roger Rekless – wartet etwas abseits in einer Ecke des Lokals. Er hat sich einen Tee bestellt. Mit seinen fast 1,90 ist Mayonga eine beeindruckende Erscheinung. Der 38-Jährige hat warmherzige Augen und ein einladendes Wesen. Seine sonore, wohlklingende Stimme eignet sich perfekt fürs Radio. Kein Wunder, dass er seine eigene Sendung beim Bayerischen Rundfunk hat.
Wir tauchen direkt ein ins Gespräch, mit Black Lives Matter. Kann er das Thema überhaupt noch hören? Schließlich war der Kongolese mit Wurzeln in der bayrischen Kleinstadt Markt Schwaben den Sommer viel unterwegs. Er hat Reden gehalten und gemeinsam mit anderen Schwarzen Menschen protestiert – und auch in Bayern verschafften sie sich endlich Gehör. Bei der N-Wort-stoppen-Demonstration zum Beispiel oder dem großen Black-Lives-Matter-Protest am Münchner Königsplatz, bei dem mehr als 25 000 Menschen zusammenkamen, um für Schwarze Leben einzustehen. „Auf dieser Demonstration habe ich uns zum ersten Mal wirklich gesehen“, meint Mayonga. Er habe viel weinen müssen an diesem Tag. Für ihn sei es ein unglaubliches Erlebnis gewesen, da er komplett isoliert von anderen Schwarzen Menschen aufwuchs.
Seine Erfahrungen mit Alltagsrassismus verarbeitete der Kampfsportbegeisterte 2019 in seinem Buch „Ein N* darf nicht neben mir sitzen“. Darin beschreibt er seine Kindheit in der Kleinstadt, die Blicke, die ständigen Ausgrenzungen, nur weil er vermeintlich anders ist. Mit Rassismus in Kontakt kommt Mayonga an seinem ersten Tag im Kindergarten, da ist er gerade mal drei. Er möchte sich neben einen Jungen mit Pilzfrisur und Latzhose setzen, erinnert er sich. Doch der hält die Hände über den Stuhl und sagt ihm, dass ein N* nicht neben ihm sitzen dürfe. Ein prägendes Erlebnis, mit dem er sein erstes Buch überschrieb. Den Titel aber würde er so heute nicht mehr wählen.
Der Sommer habe ihn verändert. Es war der gewaltsame Tod von George Floyd, der bei ihm das Fass zum Überlaufen brachte, wie er sagt. Zu lange habe er den „Erklärbär“ gespielt und versucht, weißen Menschen auf verständnisvolle Art beizubringen, was in der Gesellschaft nicht stimmt, warum Schwarze Menschen wütend sind, warum sie nach Veränderung schreien. Das ist nun vorbei.
Mayonga will seine Energie dort einsetzen, wo sie am produktivsten zu sein scheint – im Umgang mit Schwarzen Menschen, vor allem mit den jungen. Wie selbstverständlich diese sich heute mit ihrem Schwarzsein identifizieren, das beeindruckt ihn. Er selber musste sich seine Schwarze Identität mühsam über die Jahre zusammenbauen. Die Musik, seine Leidenschaft, spielte dabei die entscheidende Rolle.
An den prägendsten Moment erinnert sich Mayonga noch genau. Es war 1999, als er den jungen Samy Deluxe zum ersten Mal live sah: „Es gibt einen David vor Samy und einen danach“, erklärt er. Völlig eingenommen war Mayonga damals von dem jungen Mann mit der ähnlichen Familiengeschichte, den er auf der Bühne wütend rappen sah. Halb Sudanese, halb Deutscher; auch Samy Deluxe wuchs mit einer alleinerziehenden Mutter auf. „Da stand ein Schwarzer Mann auf der Bühne, der meine Hautfarbe und meine Struggles kennt und hat der Welt erklärt, er ist der Geilste.“
David Mayonga fühlte sich als Musiker und Mensch zum ersten Mal wirklich gesehen – und ihm sei bewusst geworden, dass er der „krasseste DJ“ werden möchte. Heute ist er als Rapper eine bekannte Größe in der deutschen Musikszene, veröffentlichte mehrere EPs und Alben. Zuletzt 2019 die Hip-Hop-Platte „Über die Natur der Dinge“. Mayonga macht nicht nur Rap. Er singt auch in der Hardcore-Punk-Band GWLT. Und Black Lives Matter half dem studierten Pädagogen dabei, sich von rassistischen Klischees zu befreien. „Ich lerne erst jetzt meine wahre Schwarze Identität kennen, als der Mensch, der ich bin“, bekennt Mayonga. Diesen Prozess beschreibt er als spannend, schmerzhaft und unglaublich empowernd zugleich.
Um die weiße, deutsche Gesellschaft zu überleben, nahm sich Mayonga Versatzstücke Schwarzer Kultur, die zu ihm passten: „Du wirst zu einem lebenden, zusammengeklebten Stereotyp“, beschreibt er. Der Austausch mit anderen Schwarzen Personen in diesem Sommer und danach öffnete ihm die Augen. Der Ur-Bayer ist heute gefestigter in seiner Identität, weil er für sich angenommen hat, dass diese nicht an ein bestimmtes Bild gebunden ist. Er lässt sich nicht mehr in irgendwelche Schubladen stecken. „Wenn mich heute jemand fragt, wo ich herkomme, und die Antwort Markt Schwaben reicht nicht aus, dann erwidere ich nur: ,Ist mir scheißegal, was du wissen willst. Du bist egal.‘“
Zu diesem neuen Schwarzen Selbstverständnis gehörte es auch, seine kongolesische Identität voll und ganz zu akzeptieren, selbst wenn er nicht perfekt Lingala spricht oder dort geboren ist. Mayonga fühlt sich der Kultur, den Menschen und dem Land verbunden. Seit diesem Sommer hat er das Selbstbewusstsein, das auch für sich einzufordern. „Ich bin Kongolese, ich bin Bayer und ich bin Deutscher, aber zu welcher Zeit ich welchen Teil mit welcher Ausprägung lebe, das ist alleine mir überlassen.“
Eine unglaublich wichtige Erkenntnis, schließlich ist er Vater einer anderthalbjährigen Tochter. Seine größte Angst sei es gewesen, alte Denkmuster und Strukturen an sie weiterzugeben. Für David Mayonga ist klar, dass Schwarze Menschen Vorbilder sind – Vorbilder im Kampf um eine gerechtere Gesellschaft. Äußerungen von Menschen, die das nicht begreifen wollen, müssten daher zu Nebengeräuschen werden, bemerkt er. „Wir bereiten eine Gesellschaft der Zukunft vor. Die anderen müssen da gedanklich erst noch aufschließen.“
Dieser Text erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe des Veto Magazins: www.veto-mag.de/gedruckt. Unsere Botschaft an alle Gleichgesinnten: Ihr seid nicht allein!