Angestarrt — Pierre Vicky Sonkeng Tegouffo

Der Rassismus im Land ist ein ernstes Problem. Die Terrorakte von Halle und Hanau lassen viele hilflos und schweigend zurück. Pierre Vicky Sonkeng Tegouffo weiß um die schmerzlichen Diskussionen über das Anderssein.
25. Juni 2020
3 Minuten Lesezeit
Text: Tom Waurig — Fotos: Benjamin Jenak

Es sind die penetranten Blicke auf den langen S-Bahn-Fahrten raus aus der Stadt, die Pierre Vicky Sonkeng Tegouffo resignieren lassen. Diese Gesten, die für andere kaum sichtbar sind. Drastische Kommentare, auf die niemand reagiert. Eine Tortur für den großgewachsenen Mann, eine ständige Konfrontation mit der Frage des Andersseins, die für ihn so gar keine Rolle spielt, für andere umso mehr. Tegouffo weiß um die bedrohliche Stimmung, die alltäglichen Feindseligkeiten. Deutschland hat ein Rassismusproblem, ein schwerwiegendes. Und eins, das dem Terror den Boden bereitet.

„Rassismus ist ein Gift“, so hatte es Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wenige Stunden nach dem Terroranschlag von Hanau formuliert und mittlerweile sogar einen neuen Kabinettsausschuss gegen Rechtsextremismus und Rassismus einberufen. Zehn Menschen starben im Februar in der hessischen Stadt, erschossen von einem Neonazi. Es war die zweite Terrortat binnen weniger Monate, die eine ganze Republik erschütterte. In Teilen hilflos schien die Politik zu sein, das Land geschockt vom Hass, der immer unkontrollierbarer wirkt.

Pierre Vicky Sonkeng Tegouffo arbeitet für den Flüchtlingsrat Brandenburg.
Pierre Vicky Sonkeng Tegouffo arbeitet für den Flüchtlingsrat Brandenburg.

Pierre Vicky Sonkeng Tegouffo lebt in Berlin, pendelt allerdings fast täglich nach Brandenburg. Der Arbeit wegen. Beim Flüchtlingsrat bringt er Menschen mit Migrationsgeschichte in Arbeit, schafft Kontakte zu Unternehmen oder hilft bei der Suche nach Ausbildungsplätzen. Die meisten, erzählt er, würden sich nach Stellen in der Hauptstadt sehnen, weit weg vom ländlichen Umland. Denn dort seien die Anfeindungen oft nicht mehr zu ertragen. Mit der Aufnahme von Hunderttausenden Geflüchteten seit 2015 hätten ablehnende Haltungen weiter zugenommen, beobachtet Tegouffo.

Selbst Engagierte, die damals noch Deutschkurse angeboten haben, hätten sich zurückgezogen, wegen des gesellschaftlichen Drucks. Andere hätten aufgehört, weil ihre Frustration zu groß war. „Und das vergiftete Klima im Land macht es schwierig, neue Menschen zu finden“, weiß Tegouffo. Die AfD allein sei nicht das Problem, meint er. Die rassistischen Kommentare der Rechtsaußen-Partei versuche er weitestgehend zu ignorieren. Störender seien dagegen Aussagen wie die von CSU-Innenminister Horst Seehofer, der die Migration die „Mutter aller Probleme“ nannte.

Veto gedruckt

Wir widmen den Mutigen und Engagierten ein Magazin – 24/7 online und viermal im Jahr als gedrucktes Heft.

Tegouffo kam 2001 zum Studieren von Kamerun nach Potsdam. Ob er sich heute hier wohl fühlt? Es ist eine Frage, die ihn sichtlich aufwühlt. Eine, die sich nicht ohne langes Zögern beantworten lässt. Tegouffo schaut suchend nach draußen, versucht sich an einer Antwort, die er wenig später doch wieder unterbricht. Familiär sei er zufrieden, beginnt er, mit seiner Partnerin und einem Sohn im Kita-Alter. Doch gesellschaftlich gebe es noch immer riesige Lücken. „Es macht keinen Spaß, über positive Erfahrungen zu berichten, weil das Negative überwiegt“, fasst er zusammen.

2001 kam Pierre Vicky Sonkeng Tegouffo zum Studieren nach Potsdam.
2001 kam Pierre Vicky Sonkeng Tegouffo zum Studieren nach Potsdam.

Und er wiederholt schließlich auch das, was die meisten Menschen mit Migrationsgeschichte zu erzählen haben – die hohen Ansprüche, die verlangt würden, um überhaupt akzeptiert zu werden, die fehlende Teilhabe und Sprachbarrieren. „Die Hürden sind immens und beurteilt wird meistens danach, ob ich Dativ und Akkusativ immer korrekt einsetze. Das lassen sie dich deutlich spüren.“ Tegouffo kennt viele, die das irgendwann nicht mehr aushalten würden. Auch weil Menschen, die hier geboren sind, für sich beanspruchen, zu bestimmen, „wer sich wie zu integrieren hat“.

Die Migrationspolitik nennt Tegouffo das einzige Politikfeld, „das nicht ernstgenommen wird“. Er wünscht sich Parteien und Abgeordnete, die sich diesem Thema stellen, die näher dran sind an den Problemen und Wünschen von Menschen mit Migrationsgeschichte. Häufig werde nur über sie statt mit ihnen gesprochen – nicht allein im Bundestag, sondern genauso in TV-Talkshows. Dort würde Tegouffo immer wieder den gleichen Gesichter begegnen. Viel zu selten kämen Menschen zu Wort, „die Graswurzelarbeit leisten“ – also Menschen wie er.

Tegouffo begann früh sich zu engagieren, seine Meinung zu sagen, erzählt er, schon in Kamerun – und auch politisch. In Deutschland blieb er dabei, gehörte zum ASta der Universität Potsdam und ist bis heute Teil der afrikanischen Studentenunion. Später fand Tegouffo zur Flüchtlingsinitiative Brandenburg, war an Demonstrationen und Kampagnen beteiligt. Er wollte damals raus aus dem studentischen Milieu. Denn die meisten Landsleute, auf die er in Deutschland getroffen sei, waren Geflüchtete, viele ohne Aufenthaltsstatus, sondern „nur geduldet“, erinnert er sich.

Die Migrationspolitik werde nicht genug „ernstgenommen“, meint Sonkeng.
Die Migrationspolitik werde nicht genug „ernstgenommen“, meint Sonkeng.

Und weil ihm die neue Sprache schon damals sehr vertraut war, half er anderen beim Lesen von Briefen, bei Behördengängen und gewährte sogar Asyl in seiner Wohnung. Er habe das als seine Pflicht verstanden, meint er heute. Eines hingegen müssten andere aufarbeiten: „Der Rassismus in der deutschen Gesellschaft ist nicht mein Problem, sondern das der Mehrheitsgesellschaft. Sie erwarten von mir, dass ich mich verteidige, aber das werde ich nicht tun. Ich kann auf idiotische Kommentare reagieren, eine Antwort geben, aber das ist meistens nur verschenkte Zeit.“

Dieses Land sei ohne Migration nicht mehr zu denken, stellt Tegouffo klar. „Das sollten wir einmal festhalten, um zu überlegen, wie wir in Zukunft zusammenleben wollen.“ Den deutschen Pass hat er bis heute nicht beantragt, aus Überzeugung. Er weiß um die Vorzüge, das visafreie Reisen, sieht aber genauso die Probleme im Land. „Es geht mir nicht um den eigenen Vorteil. Ich möchte mich damit identifizieren und meinem Sohn erklären können, warum ich mich dafür entschieden habe. Ich will sicher sein, dass ich dazugehöre. Doch dieses Gefühl habe ich bislang nicht.“

Dieser Text erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe des Veto Magazins: www.veto-mag.de/gedruckt. Unsere Botschaft an alle Gleichgesinnten: Ihr seid nicht allein!

Weiterlesen

All Cops Are Busted — Jerry und Tom

Auf kritische Fake-Werbeplakate im öffentlichen Raum reagiert die Polizei immer mehr mit strafrechtlichen Maßnahmen wie Hausdurchsuchungen. Veto hat ein Adbusting-Kollektiv exklusiv bei seinem neuesten Coup mitten in Berlin begleitet.

Blaxpertise — Kolumne Malonda

Alle wollen immer links sein – aber wer will (noch) links wählen? Wie das „Bündnis Sarah Wagenknecht“ eine ohnehin schon unruhige Parteienlandschaft in Deutschland weiter durcheinander bringt und wie es soweit kommen konnte.

In diesem Ton — ManuEla Ritz

ManuEla Ritz würde gerne eine Weltreise unternehmen und erkunden, ob es Orte ohne Adultismus gibt. Bis es soweit ist, klärt sie über die wohl häufigste Form der Diskriminierung auf. Über das Leben in einer Erwachsenenwelt.

Platzverweis für Rassismus — Jo Ecker

Kann ein kleines Blechschild etwas gegen Rassismus auf dem Fußballplatz ausrichten? Jo Ecker meint: ja. Was mit einem erschreckenden Vorfall während eines Spiels begann, ist zu einer bundesweiten Aktion geworden.

Dichter und Denker — Ezé Wendtoin

Musiker Ezékiel Wendtoin ist allen als Ezé bekannt. Heimat denkt er im Plural – und besingt sie mehrsprachig. Nach Deutschland kam er, weil er sich in die Sprache verliebte. Jetzt nutzt er sie, um zu rebellieren.

Journalismus mit Haltung

Mit Veto geben wir Aktivismus eine mediale Bühne und stellen all jene vor, die für Veränderung etwas riskieren. Veto ist die Stimme der unzähligen Engagierten im Land und macht sichtbar, was sie täglich leisten. Sie helfen überall dort, wo Menschen in Not sind, sie greifen ein, wenn andere ausgegrenzt werden und sie suchen nach Lösungen für gesellschaftliche Probleme.

Mediale Aufmerksamkeit aber bekommen ihre mutigen Ideen nur selten. Das muss sich ändern – und Aktivismus endlich raus aus der Nische! Die Aktiven brauchen vor eine starke Stimme und Wertschätzung für ihre Arbeit. Mit Veto machen wir Engagement sichtbar und zeigen denen, die finden, dass es nun höchste Zeit ist, sich einzumischen, wie es gehen kann. Unsere Botschaft an alle Gleichgesinnten da draußen: Ihr seid nicht allein!

Mit Print gescheitert?

Veto gab es bis Sommer 2022 auch als gedrucktes Magazin. Doch die extrem gestiegenen Preise für Papier, Druck und Vertrieb wurden für uns zur unternehmerischen Herausforderung. Gleichzeitig bekamen wir Nachrichten aus der Community, dass sich viele ein Abo nicht mehr leisten können. Wir waren also gezwungen, das gedruckte Magazin nach insgesamt zehn Ausgaben (vorerst) einzustellen.

Aber – und das ist entscheidend: Es ist keinesfalls das Ende von Veto, sondern der Beginn von etwas Neuem. Denn in Zeiten multipler Krisen wird Veto dringend gebraucht. Um Hoffnung zu geben, zu verbinden, zu empowern und zu motivieren. Deshalb machen wir alle Recherchen und Porträts kostenfrei zugänglich. Denn: Der Zugang zu Informationen über Aktivismus und Engagement darf keinesfalls davon abhängen, was am Ende des Monats übrig ist.

Transparenzhinweis

Veto wird anteilig gefördert von der Schöpflin Stiftung, dem GLS Treuhand e.V., dem Presse- und Informationsamt der Bundesregierung und der Bürgerstiftung Dresden. Bis 2022 war auch die ZEIT STIFTUNG BUCERIUS beteiligt. Der Aufbau der Webseite wurden realisiert durch eine Förderung der Amadeu Antonio Stiftung (2019) und des Förderfonds Demokratie (2020).

Du kannst uns mit einer Spende unterstützen: DE50 4306 0967 1305 6302 00 oder via PayPal.