Text: Sarah Merz — Fotos: Benjamin Jenak
Ein warmes Lachen umgibt Clarissa Fahrenholz alias Frau Erdnuss. Aus ihrem beschaulichen Dorf ist sie ins lebendige Köln gefahren: lockeres Sakko, blondierte kurze Haare, entspannte Haltung. Auch wenn sie strahlt, ist ein bedrückendes Thema direkt präsent: „Black Fatigue ist real“, beschreibt sie. Gemeint sind „Stress und Erschöpfung, die viele Schwarze Menschen aufgrund von Rassismus, Diskriminierung und ständigen Herausforderungen, die mit ihrer Identität verbunden sind, empfinden.“ So erklärt Frau Erdnuss das Phänomen auf Instagram.
Rassismuserfahrungen kosten unglaublich viel Kraft, bemerkt Clarissa Fahrenholz. Sich dann noch zu verteidigen oder gar andere Personen aufzuklären, raube noch mehr Energie. „Meine Frau überlegt sich manchmal zweimal, ob sie mit mir einkaufen geht, weil sie genervt ist vom ständigen Angestarrt-Werden. Wenn ich alleine rausgehe, bin ich ein pinker Elefant. Bin ich mit ihr unterwegs, dann bin ich ein pinker Elefant mit Glitzer. Das ist einfach anstrengend.“
Rausgehen, unter weiße Menschen, Blicken und strukturellem Rassismus standhalten – und dafür noch Ignoranz erfahren: das zehrt. Denn nicht nur in deutschen Behörden heißt es oft: „Wir sehen keine Hautfarben.“ Genau durch solche Behauptungen werde Rassismus zu einem Problem gemacht, das nur die Betroffenen selbst haben. Und die eigenen Verstrickungen in rassistische Strukturen würden gleichzeitig ignoriert.
Clarissa Fahrenholz nutzt Instagram dafür, um als Schwarze, queere Frau und Mutter über ihr Leben aufzuklären. Sie lädt dazu ein: „Bau dein Immunsystem gegen Rassismus!“ Auf ihrem Account spricht sie aus, was ihr als junge Frau gefehlt hat: Begriffe für Gefühle, die sie lange nicht benennen konnte. Und sie schafft gleichzeitig einen Raum, in dem Erfahrungen geteilt werden können. Das Gefühl zum Beispiel, als Schwarze Person in Räumen voller weißer Menschen zu existieren.
Fahrenholz kennt genau das. Sie wuchs bei ihrem Vater in einem weißen Umfeld in Gladbach und im Bergischen Land auf. „Schwarzsein und Rassismus sind zu Hause oder in der Schule nie Thema gewesen, sodass ich lange Zeit selbst gar keinen Rassismus erkannte“, stellt sie fest. Stattdessen blieb ein vages Gefühl von Unbehagen, das sie nicht einordnen konnte.
Instagram-Tagebuch
Erst vor etwa drei Jahren, als Erwachsene und Mutter, stellte sich Fahrenholz die Frage: „Wo stehe ich als Schwarze, queere Frau in dieser Gesellschaft und was bedeutet das für mich?“ Auf der Suche nach Antworten und in der Auseinandersetzung mit wichtigen afrodeutschen Stimmen wie Tupoka Ogette, Alice Hasters oder May Ayim bekamen Vorfälle aus Schulzeiten und die eigenen Schuldgefühle plötzlich einen Namen: Rassismus.
Später begann sie eine Ausbildung im Gesundheits- und Fitnessbereich – und ließ in diese Arbeit die Bestärkung von Frauen einfließen. Doch bald sei ihr klar geworden, dass sie viel mehr zu sagen hatte. Ihr Engagement wurde zunehmend politisch. „Der Fitness-Bereich kann sehr oberflächlich sein. Und ich merkte, dass ich immer mehr aneckte.“ Vor gut zwei Jahren brachte ihre Partnerin sie auf die Idee, bei Instagram ihre Anliegen mit anderen zu teilen. Und nach langem Grübeln über den perfekten Namen wurde „Frau Erdnuss“ geboren.
Ihr Pseudonym spiele nicht nur auf ihre Liebe zu Erdnussbutter an, sondern stehe genauso für Fahrenholz‘ westafrikanischen Wurzeln: „Auch die Erdnuss kommt aus Afrika – eine Erdfrucht, tief verbunden mit der Natur. Sie schenkt Leben, ernährt die Menschen und es ist nie so ganz klar, ob ein oder zwei Erdnüsse drin sind“, erklärt sie. „Es ist immer ein bisschen Überraschung dabei.“ Ihren Account sieht sie als öffentliches Tagebuch. Hier schreibt und spricht sie über Themen, die sie beschäftigen. Sie recherchiert dazu und verleiht ihnen Sichtbarkeit.
Wer eine geschönte, gefilterte Instagram-Welt sucht, ist hier falsch. „Erst als die Dinge einen Namen bekamen, konnte ich verstehen: Das, was ich erlebt habe, war rassistisch. Das, was in der Schule passiert war, war rassistisch“, so Fahrenholz. „Ich bin dreifache Mutter – und das, was ich im Krankenhaus erlebt habe, das war rassistisch. Und Situationen, die ich in früheren Beziehungen mit Männern hatte: Das war rassistische Exotisierung.“ Über ihren Kanal erfährt sie: anderen geht es genauso. Und sie melden sich, weil sie sich damit allein fühlen.
Auf politischer Bühne
Anderen eine Unterstützung sein, eine Ratgeberin oder einfach nur ein Spiegel: das treibe sie an in ihrem Tun. „Ich rede für die, die es nicht können.“ Bei all dem sei es wichtig, immer auch das eigene Privileg im Blick zu behalten. Nicht alle haben die Zeit und Kraft, sich intensiv mit politischen Fragen zu beschäftigen – und doch möchte sie anderen ein Vorbild sein und Mut geben, denn: „So hat jede Veränderung, die wir erreicht haben, begonnen.“
Die politische Lage im Land bereitet Fahrenholz schon lange Sorgen. Und täglich wachsen die Bedenken, wenn sie aus dem Haus geht: „Wie vielen Menschen, die AfD wählen und mich aus meiner Heimat vertreiben wollen, werde ich heute begegnen?“ Sie erinnert sich, wie sie eine der ersten Brandmauer-Demos in Köln besuchte: Zunächst begeisterte sie die große Menge. Doch kurz darauf habe sie realisiert, dass sie eine der wenigen Schwarzen Personen vor Ort war. Auch bei einer Demo in ihrem Heimatort fehlten eben diese migrantischen Perspektiven.
Sie sprach den Veranstalter darauf an und stand bei der nächsten Kundgebung selbst auf der Bühne. Fahrenholz forderte in ihrer Rede die anwesenden weißen Menschen auf: „Checkt eure Privilegien und nutzt eure Privilegien!“ Es reiche nicht, gegen Rechtsextremismus zu sein – weiße Menschen müssten aktiv ihre gesellschaftlichen Privilegien hinterfragen und für eine Veränderung eintreten.
Doch was bedeutet das genau? „Sich bewusst zu machen, an welchen Stellen im Leben oder in welchen Situationen ich Vorteile habe oder Gehör finde, weil ich weiß bin. Und andere dagegen nicht. Du kannst deine weißen Privilegien nutzen, um zu helfen. Zum Beispiel, wenn Menschen bei der Fahrkartenkontrolle schikaniert werden, weil sie nicht perfekt Deutsch sprechen.“ Es bedeute aber auch, sich nicht nur in der eigenen Blase zu bewegen, sondern offen für intersektionale Allianzen zu sein, bei denen queere, Schwarze und migrantische Menschen zusammenarbeiten. „Denn wir brauchen einander, jetzt mehr denn je“, betont sie.
Afrodeutsch zu sein, nennt Clarissa Fahrenholz eine „schmerzliche Liebe“. „Ich kann gerade nicht behaupten, stolz auf Deutschland zu sein, das bekomme ich nicht über die Lippen.“ Tief sitze der innere Konflikt, in dem sich viele Afrodeutsche befinden. Einerseits der Wunsch nach Zugehörigkeit und Liebe zu den Menschen im Land, andererseits die konstante Konfrontation mit institutionellem und alltäglichem Rassismus. „Das zu ändern, liegt noch vor uns und wird auch sehr viel Einsatz von Einzelnen fordern. Aber auch die gesamte Gesellschaft wird sich reflektieren müssen“, fasst sie zusammen.
Gefährliche Debatten
Ihre Sorge gelte aber vor allem ihrem kleinen Sohn. Sie mache sich Gedanken darüber, wie er in dieser Gesellschaft bestehen kann, ohne ständig rassistischen Anfeindungen ausgesetzt zu sein – sei es in der Schule, im Internet oder in der Öffentlichkeit. „Immer, wenn ich auf die Straße gehe, gehen gefühlt 3 000 andere Schwarze, queere Menschen mit mir auf die Straße und wenn ich einen Fehler mache, werden alle anderen mit über einen Kamm geschert.“
Sie nennt das Beispiel Solingen: Im August 2024 tötete ein Mann aus Syrien bei einem Attentat auf einem Stadtfest drei Menschen mit einem Messer und verletzte acht weitere, teilweise schwer. Nach der schrecklichen Tat erfuhren muslimische Menschen oder Menschen, die von der weißen Mehrheitsgesellschaft muslimisch gelesen werden, noch mehr Vorverurteilung. Migration werde mit Kriminalität und mit Gefahr gleichgesetzt, meint Clarissa Fahrenholz. In der Debatte sei so ein gefährlicher Widerspruch entstanden: „Deutschland will ausländische Fachkräfte, schafft es aber nicht einmal, nicht-weiße Deutsche zu akzeptieren.“
Dieser Kontrast zwischen angeblicher Offenheit und tief verwurzelter Ablehnung gegenüber migrantischen und nicht-weißen Menschen ziehe sich durch viele politische Diskussionen. Währenddessen sitzen Geflüchtete ohne echte Perspektive in überfüllten Einrichtungen fest.
Fahrenholz hat selbst Geflüchtetenunterkünfte besucht und sieht trotz der schwierigen Lage Lösungen: „Du musst die Menschen in die Selbstwirksamkeit bringen und der so Gesellschaft klar machen, dass sie ein Mehrwert für unsere Gesellschaft sind.“ Aus Erfahrung weiß sie, dass Veränderung im Bildungssystem beginnt. Als Quereinsteigerin unterrichtete sie sechs Jahre lang Sport und erlebte dabei aus nächster Nähe, wie tief Rassismus verwurzelt ist. „Besonders gravierend finde ich, dass es die am meisten schutzbedürftigen Personen trifft: Kinder.“ Diese Ungerechtigkeit wollte sie nicht länger mittragen und beendete daher ihren Job als Lehrerin.
Bildung als Schlüssel
Ihre Kritik am veralteten Schulsystem aber bleibt. Es habe bis heute seine „preußischen Züge“ aus Kaiserzeiten bewahrt. Sie zählt auf: Erwartungsdruck und Versagensangst, manifestiert im gefürchteten Sitzenbleiben und Notensystem, Bulimielernen, Prüfungsangst. Genauso die „knappen“ sechs Wochen Sommerferien oder der Vormittagsunterricht – alles Überbleibsel aus einer inzwischen längst vergangenen Zeit, in der Kinder für die Arbeit in der elterlichen Landwirtschaft und die Haupterntesaison freigestellt wurden.
Dass es angemessenere Unterrichtszeiten brauche, liegt für Fahrenholz auf der Hand. Und sie fordert Anpassungen an vielfältige Lebensrealitäten. Diese spiegelten sich gegenwärtig aber weder in Schulbüchern noch in Lehrplänen wider. Problematisch sei auch die Machtposition, die Lehrkräfte hätten. „Das kann gefährlich sein, besonders dann, wenn der eigene Rassismus nicht reflektiert wird.“ Um aktiv Veränderung anzuschieben, arbeitet sie deshalb am Projekt „Diversity Scouts“. Hier sollen Kinder ausgebildet werden, um Diskriminierung an ihrer Schule zu erkennen und aufzuklären: eine neue Generation.
„Es passiert ja alles gleichzeitig. Wir ziehen hier keine Nummer: Heute ist Rassismus dran und morgen geht es dann um Sexismus.“ Ein Bildungssystem, das Rassismus reflektiert und auch erklärt, könne einen entscheidenden Unterschied machen. „Dass junge Menschen bestärkt werden, sich für die wichtigen Sachen einzubringen und sich Hilfe zu holen“ – das könne eine grundsätzliche Sensibilisierung für Diskriminierung in der Gesellschaft bedeuten, die echte Gleichberechtigung überhaupt erst möglich macht. Ob in Firmen oder auf dem Amt.
Darüber hinaus ist Fahrenholz Fachberaterin für Antidiskriminierung, Interkulturalität und Rechtsextremismusprävention beim Landessportbund Nordrhein-Westfalen. Sie wird also angefragt, wenn es innerhalb eines Vereins zu rassistischen und rechtsextremen Vorfällen kommt. Und sie organisiert Retreats, also Auszeiten zum Erholen und Zurückziehen für nicht-weiße Frauen. Auch ein politisches Amt kann sie sich vorstellen: „Ich wäre gerne in einer Position als Entscheidungsträgerin, in der ich anderen die Hand reichen könnte.“
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