Text: Jasmina Kuhnke — Foto: Benjamin Jenak
Sie sprechen vom „Menschenrechtsmuskel“. Das klingt fast so, als müsste die Menschlichkeit trainiert werden. Und so, als wäre Empathie nicht die logische Konsequenz, die dem Wissen um Ungerechtigkeit entspringt und nicht schon für Kinder deutlich zu benennen: da, wo sie ihnen begegnet. Gemeinsam mit ihren Promo-Teams und Personal Assistants wird die hohe Schlagzahl der öffentlich wirksamen Termine minutiös getaktet.
Jedes Wort, ob in Interviews, Talkshows, hochbezahlten Keynotes und Postings – gerne auch mit Markennennung (der eigenen Marke selbstverständlich) – ist hier genauestens geplant. Schließlich alles Profis, so als Dauergäst*innen aller bekannten deutschen Medienformate. Es wurde sich ja ein Ruf erarbeitet, sogar international, und den lässt Frau sich bestimmt nicht durch ein unbedachtes Wort zerstören oder andere Aktivist*innen streitig machen.
Sie balancierten nicht jahrelang auf einem Drahtseil zwischen Anbiederung bei den Großen und Mächtigen, also all jenen, die in der Regel bereits ihren „Menschenrechtsmuskel“ bis zur Verkümmerung NICHT genutzt haben, und dem höheren Ziel, der Kommerzialisierung der Menschlichkeit, um am Ende nicht tonangebend sein zu dürfen. Das ist es dann wohl, was sie meinen, wenn sie auf scheinwerferbeleuchteten Bühnen die Ambiguitätstoleranz predigen.
Es ist nicht an mir, dies zu beurteilen, immerhin stehe ich am Rand, beim Pöbel und Fußvolk. Ich lasse die Diskreditierung meines Aktivismus durch jene auch unberührt zu, denn während sie vom Mob – gemeint sind damit „radikale Aktivisti“ – fabulieren und in ihrer Hybris jegliche Kritik zum Mobbing deklarieren, bin ich emotional und intellektuell damit überfordert, dass ein Genozid und Apartheid dann nicht mehr als solche benannt werden, wenn sie durch eine befreundete Regierung ausgeführt werden.
Und dennoch gibt es sie: Die, die seit spätestens mehr als eineinhalb Jahren für genau diese Aussage harte Konsequenzen tragen müssen – weil Buchverträge wieder aufgelöst, Auftritte gecancelt, Interviews abgesagt und öffentlich abgestraft wurden. Zumeist rassifizierte Personen, denen nur allzu leichtfertig Antisemitismus vorgeworfen wird, was in Deutschland historisch schwerer wiegt als Rassismus. Denn in Deutschland scheint Einigkeit darüber zu herrschen: gegen jeden Antisemitismus und für ein bisschen Rassismus.
So bekommen diejenigen gesellschaftlich Zuspruch und auch Anerkennung, die sich Bühnen mit Rassist*innen teilen, solange sie sich nur laut genug gegen Antisemitismus aussprechen. Und so stehen sie da, halten ihre Bücher mit knallbunten Covern in die Kameras, oder eben jene Preise, die sie reihenweise für ihre „mutige Arbeit“ verliehen bekommen.
Und sie halten lange Reden, in denen sie von dieser Sache, dieser Menschlichkeit sprechen, während Kinder zerbombt, Menschen ausgehungert werden und Frauen per Kaiserschnitt ihre Kinder ohne Anästhesie unter Trümmern gebären. Dass diese Grausamkeiten lange Zeit nicht einmal ignoriert, sondern zum Zwecke der angeblichen, kaum mit Fakten belegbaren Selbstverteidigung öffentlich befürwortet wurden, ist allerdings kein Zufall: Monetisierung über Menschlichkeit, so könnte die Schlussfolgerung lauten.
Jetzt, da sich Fakten nicht mehr verschleiern lassen, sind sie plötzlich da! Zurück aus dem Trainingslager. Mit angeschwollenem Menschenrechtsmuskel tönen sie über die Dringlichkeit des Friedens. Jetzt, da es zu spät ist, aber das passende Timing für Promotionzwecke, halten sie ihre Gesichter in Kameras, verfassen Instagramposts und reden der Nation ins Gewissen.
Die viel gepriesene und geforderte Ambiguitätstoleranz bewirkt, dass ich persönlich sehen kann, dass auch sie, auf ihre eigene Art und Weise, wirklich gute und wichtige Arbeit leisten können und ich sie dennoch für opportune Arschlöcher halten darf, wenn sie von Moral sprechen und dazu auffordern, das Richtige zu tun. Ich werde mich auch weiterhin weigern, meine Menschlichkeit zu kommerzialisieren oder mich für Preise anzubiedern und meine Menschlichkeit zu verkaufen. Denn sie ist es, die auch für jene Mitgefühl aufbringt, die ihren „Menschenrechtsmuskel“ vielleicht nur unter der Zugabe von Steroiden einzusetzen wissen.
Jasmina Kuhnke wurde 1982 in Hagen (NRW) geboren. Sie ist Autorin und Filmschaffende und veröffentlichte die Bestseller „Schwarzes Herz“ und „White Lives Matter“.