Text: Philine Schlick — Fotos: Jamal Cazaré
Milli Dance steht auf der Bühne, das Mikrofon locker in der Faust. Er scheint sich gegen das grelle Scheinwerferlicht zu stemmen, während er seinem Brustkorb ein voluminöses Shanty entlockt – da rauscht plötzlich der Ton ab. Stille im Saal. „Zu viel Bass“, heißt es trocken vom Technikpult. Selbst unter der schwarzen Sturmmaske ist Milli Dance‘ Grinsen deutlich zu erkennen. Das ist eine Diagnose, mit der er leben kann: „Schon das dritte Mal in Folge“, seufzt er theatralisch, während Mitarbeitende lossprinten, um das Problem zu beheben.
In gut einer Stunde wird die Halle des Westwerks am Connewitzer Kreuz in Leipzig mit mehr als 1000 Menschen gefüllt sein. Es ist das bis dato größte ausverkaufte Indoor-Konzert von Waving the Guns auf einer eigenen Tour – und mit den Jungs aus Rostock als Mainact. Vor dem Einlasstor bilden sich bereits Schlangen, Bierflaschen klimpern, Rauchwölkchen steigen auf. Während Milli Dance im Backstage Leute begrüßt, bereitet sich Alice Dee nebenan auf ihren Auftritt vor – und der Bass lässt durch die Wände hindurch die Nasenflügel vibrieren.
MC Milli Dance ist heute nicht nur Vollzeit-Rapper, sondern auch das (vermummte) Gesicht von Waving the Guns, nach dem sich die beiden Gründungsmitglieder Admiral Adonis und Dr. Damage verabschiedeten. Die Band konstituierte sich damals neu und veröffentlichte 2019 das Album „Das muss eine Demokratie aushalten können“. Für Milli Dance der entscheidende Moment: „Ich habe mir gesagt, ich mach das jetzt mal ein Jahr als Beruf. Jetzt sind es drei.“
Angefangen habe vor elf Jahren alles als „Kneipenidee“, sagt Milli Dance. „Damals war Rap in linken Kreisen weniger vertreten. Das hat jetzt eine andere Selbstverständlichkeit – besonders bei Jugendlichen.“ Punk hat in der musikalischen Sozialisation eine Rolle gespielt: „Mich hat das Aggressive interessiert“, meint Produzent Dub Dylan. Milli Dance kam früh zum Rap: „Meine Komfortzone liegt bei 83 bis 95 Beats per minute. Mir geht das ganz natürlich runter.“
An jede Zeile, die ihm runtergeht wie Öl, hält Milli Dance noch ein Feuerzeug – und er scheut sich nicht, auch Löcher in das eigene Rettungsboot der moralischen Überlegenheit zu hacken. Nichts und niemand ist sicher, wenn er ein Auge zukneift und durch das Zielfernrohr späht. „Eigentlich schreibst du die ganze Zeit nur Punchlines“, wendet sich Dub Dylan an Milli Dance. „Ich schreibe möglichst gute Zeilen gegen jemanden. Das kann ich ja genauso mit Zuständen machen“, erwidert er zustimmend. Dabei stehe er auch immer wieder vor Herausforderungen.
„Inwieweit passe ich mich der Realität an, ohne die ganze Zeit Hass zu verspüren? Mittlerweile bekomme ich eine gesunde Ignoranz hin. Und ich habe das Privileg, dass ich auf Tour gehen und die Band meine Arbeit nennen kann.“ Die Zeile „Alles, was ich machen will, ist mein Ding / Ich beweg mich irgendwo zwischen alles egal und alles hassen“ treffe auf ihn persönlich zu – der Verzweiflung aber habe er sich nie hingegeben: „Ich bin halt auch ein Lebemann. Ich mag depressive Ausdrucksweisen ganz gerne – aber ich bin nicht so veranlagt.“
Chaos-Gigs und Handarbeit
Waving the Guns stehen für Nihilismus mit Biss. Jeder Track ist dabei eine schonungslose Bestandsaufnahme – des eigenen Selbst, der Gesellschaft, der Politik. Jeder Diss eine so smarte Analyse, dass er gleichzeitig als Qualitätsmanagement gewertet werden könnte, wie in „Gran Canaria“: „Lieber hässlich malen statt schönreden / Und am Ende Hände zu obszönen Gesten Richtung Hundesöhne heben / Unverdienter Reichtum bedingt unverdientes Elend / und dein bedingtes Talent meine unbedingte Präsenz / Es tangiert dich nicht, solang es nicht dich umbringt, du Clemens / Spreu und Weizen trennen sich im Gegenwind / Auch meine Weste fleckig und die Hände blutig / Jedoch kotze ich im Bogen – warum du nicht?“
„Am Anfang haben wir einen Chaos-Gigs gespielt“, erzählt Milli Dance. „Wir haben alles mitgenommen, was geht.“ Harte Handarbeit sei das gewesen, neben Ausbildung und Lohnarbeit. Zwanzig Leute, fünfzig Leute: „Es war immer irgendwie Publikum am Start.“ Durch kleinere Konzerte haben sich Waving the Guns ihren Status erarbeitet. „Ich dachte damals, das kann nicht größer werden. Irgendwas haben wir also scheinbar richtig gemacht.“
Die schwarze Strickmaske trägt der Rapper seit er bemerkte, wie viele Mitschnitte von den Konzerten im Netz landen: „Ich will gerne öffentlich Musik machen, aber gleichzeitig eine Privatperson bleiben.“ Auch für den Fall, dass er eines Tages noch einmal etwas „anderes machen könnte als Rap“, bemerkt Milli Dance. „Wir sind musikalisch offener geworden und, um das mal unbescheiden zu sagen. Wir sind auch besser geworden. Die ganze Arbeitsweise hat sich verändert“, stellt Dub Dylan fest. Alteingesessene Fans wettern immer mal gegen diese Veränderung. „Es geht doch um Entwicklung“, antwortet die Band, und darum, Dinge zu revidieren oder auch anders zu schreiben.
„Dieses ‚Wir sind immer gleich geblieben‘ geht nur dann, wenn du so privilegiert bist, dass das nicht durch krasse Extremsituationen auf den Prüfstand gestellt wird“, sagt Milli Dance. „Wenn dir das passiert ist, können wir ja nochmal neu reden. Das ist auch ein bisschen Selbstüberhöhung zu sagen: So und so wird es immer sein.“ Das sei auch eine Frage der Tragweite der Prämissen, meint Dub Dylan. „Antifaschismus wird immer eine sein, andere kannst du über den Haufen werfen.“
Von Punchline zu Punchline
Ein gutes Beispiel dafür sei die Pazifismus-Debatte im Zuge der russischen Invasion in der Ukraine, schiebt Milli Dance nach: „Da holt die Realität dich ein und du kannst nicht mehr einfach sagen: ‚Auf keinen Fall Krieg!‘ Was ist denn eigentlich mit ‚Nie wieder Krieg‘ gemeint? Zuzugucken, dass Leute abgeknallt werden? Ich habe darauf keine Antwort. Ich weiß auch nicht, was richtig und was falsch ist. Prinzipientreue musst du dir leisten können.“ Er reibt sich kurz nachdenklich die Hände, fährt sich über das Gesicht. Was unerlässlich sei, fasst Milli Dance schließlich zusammen, „die eigene Position zu erkennen und zu reflektieren, gerade in Bezug auf Rassismus und Diskriminierung“.
Mit einer Schublade tun sich Waving the Guns nach wie vor schwer: „Das Wort ‚Zeckenrap‘ verabscheue ich“, sagt Milli Dance. „Und der Begriff Politrap weckt bei mir Assoziationen von gerappten Erklärbär-Redebeiträgen.“ Dub Dylan ergänzt: „Was ich schwierig finde am Begriff Politrap ist, dass es den Anschein macht, als könnte Rap, der nicht so betitelt ist, dann nicht politisch sein.“ Das frühe Label der Band „Rap mit Antihaltung“ sei mittlerweile auch verjährt: „Die Frage ist immer: anti wozu?“, bemerkt Milli Dance.
Selbstreflexion und Professionalität – mit der Band habe auch die Melange des Publikums bei Konzerten eine Wandlung erfahren: „Wir sehen aber schon, dass unsere Crowd relativ divers ist. Alle, die in die Polit-Richtung gehen und gleichzeitig ernsthaft Rap-Fans sind, wollen auch im ‚normalen‘ Rap-Kontext stattfinden – wir auch“, beschreibt Milli Dance die Situation. „Klar haben wir krasse Trottel im Publikum. Wie andere auch. Und wir haben richtig geile Leute. Wie überall. Wir bekommen unsere Anerkennung, weil niemand leugnen kann, dass es relevant ist und eine gewisse Qualität hat. Es muss ja nicht allen gefallen.“
Waving the Guns sind bereit, weiter zu wachsen – allerdings auch nicht um jeden Preis: „Die Grenze ist dann erreicht, wenn auf einem Festival mit Hunderttausenden Besuchenden ein Riesenrad steht – da siehst du schon: das ist eine krasse Gelddruckmaschine.“ Ansonsten führe der Weg von Bühne zu Bühne, von Punchline zu Punchline. „Ich bin sehr im Moment“, beschreibt sich Milli Dance selbst. „Es ist pathetisch, aber ich lebe nur einmal und möchte nur für mich selbst Verantwortung tragen. Ich denke gerade nicht dran, was in zehn Jahren sein soll. Wir haben jetzt die beste Zeit und Bock, dass das noch so lange wie möglich weitergeht.“
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