Ostblick — Kolumne Jakob Springfeld

Dass die Union mit der AfD paktiert, hat viele erstaunt. Antidemokratische Ideen finden längst weltweit Zuspruch und rechte Gewalt wächst. Das alles wirkt oft entmutigend – und doch bietet sich eine Chance für progressive Veränderung.
3. Februar 2025
3 Minuten Lesezeit
Text: Jakob Springfeld — Foto: Karla Schröder

So kurz vor der Bundestagswahl will ich die neuesten Nachrichten eigentlich gar nicht mehr hören: Friedrich Merz und Christian Lindner nehmen die Zustimmung der rechtsextremen AfD in Kauf, um verfassungswidrige Asylrechtsverschärfungen durchzuboxen. Nur ein paar Tage vorher legte Donald Trump tatsächlich schon zum zweiten Mal seinen Amtseid als Präsident der USA ab. Und Elon Musk zeigt quasi zeitgleich vor laufenden Kameras den Hitlergruß.

Während weiße Männer in Machtpositionen laut und offensichtlich menschenverachtende Parolen und Positionen verbreiten, herrscht anderswo verdächtige Stille: In meiner Heimat Sachsen wird es, zumindest im Vergleich zum vergangenen Frühjahr, immer ruhiger – oder täuscht dieser Eindruck? Zeit für eine Bestandsaufnahme.

Ich schreibe diesen Text am Abend des 27. Januar – es ist der 80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Und ich komme von einer berührenden Gedenkkundgebung nach Hause und überlege, wieder einmal, ob wir dem so häufig zitierten „Nie wieder“ auch nur ansatzweise gerecht werden.

Ich denke zum Beispiel an den Protest gegen den Bundesparteitag der AfD in Riesa. 15 000, vor allem junge Menschen, stellen sich gegen eine Partei, die sich immer weiter radikalisiert. Während drinnen in der Halle ein autoritärer Staat propagiert und von Führerin Alice Weidel das Ende aller Windräder beschworen wird, gehen draußen Tausende – viele davon aus dem ländlichen Ostdeutschland – mit ihrem Widerstand ein Risiko ein. Manche werden Opfer teils brutaler Polizeigewalt. Und auf dem Parteitag hallt es: „Alice für Deutschland!“ Es ist die Neugeburt der nationalsozialistischen SA-Losung „Alles für Deutschland“.

An diesem Samstagmorgen steige ich um vier Uhr in den Bus und sitze drei Stunden später bei Minusgraden in einer Blockade. Es mag paradox klingen, aber das Gefühl von wehrhaft-demokratischer Stärke, die ich in diesem Moment mit so vielen anderen teile, gibt mir Mut, Aufwind und Hoffnung. Dabei frage ich mich auch, ob dieser Protest eine Art letzte Bastion ist. Ich schiebe diesen Gedanken beiseite, als ich höre, dass unsere Anwesenheit den Parteitag um mehrere Stunden verzögert hat. Genauso verdränge ich ihn, als ich wenig später sehe, wie abermals Tausende Menschen gegen den Auftakt des AfD-Wahlkampfes in Halle protestieren. 

Es ist das immer gleiche Bild, das mich in diesen Tagen begleitet. Es ist der Kontrast zwischen aufkeimendem Optimismus und apokalyptischem Gerede in Teilen der Zivilgesellschaft. Kein Ort hat mir das in den vergangenen Wochen so knallhart vor Augen geführt wie Chemnitz. Zur Eröffnung der Europäischen Kulturhauptstadt gingen hier am 18. Januar Hunderte Neonazis auf die Straße, während gleichzeitig Tausende ein vielfältig kulturelles Leben feierten. Diese Gleichzeitigkeit macht mich manchmal fertig und zeigt mir: Wir stehen am Scheideweg.

Ich habe Hoffnung, weil Menschen aufstehen und sich antidemokratischen Kräften in den Weg stellen. Auf der Shoah-Gedenkkundgebung waren zum Beispiel gefühlt mehr Leute als in den letzten Jahren. Doch dann wandert mein Blick zum Handybildschirm und ich lasse mich – obwohl ich weiß, dass es an mir abprallen sollte – von einer Hassnachricht runterziehen: „Du dreckiger linker Hur3nsohn ich hoffe du und deine Mutter werden enhaupt3t.“

In wenigen Wochen entscheiden wir: Wählen wir den zerstörerischen Schritt ins Gestern oder erhalten wir den Status Quo, auf dem progressiver Protest (weiter) wachsen kann. Wir haben die Wahl zwischen Demokratie und Autokratie, zwischen Rechtsoffenheit und klarer Kante.

Das mit der klaren Kante wurde in den letzten Monaten nicht unbedingt einfacher, ich weiß. Die Flut deprimierender Schlagzeilen und Bedrohungen erschwert es, sich klar demokratisch und antifaschistisch zu positionieren. Weil genau das mit einem Risiko verbunden ist. 

Doch noch gibt es Initiativen und Bewegungen, auf den wir aufbauen können. Ich denke an die „Lila Welle“ der Solidarischen Vernetzung Sachsen, mit der wir Proteste für Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und auch eine stabile Brandmauer durch Orte wie Bautzen, Waldheim, Zwickau oder Plauen getragen haben. Diese Kämpfe zeigen, dass wir als Zivilgesellschaft so gut vernetzt sind wie lange nicht. Ich denke auch an den, zumindest teilweise, erfolgreichen Arbeitskampf bei VW, durch den vorerst kein Werk schließen wird. Und an Riesa, Halle und alle Proteste, die in diesem so schwierig gestarteten Jahr schon stattgefunden haben. 

Unsere Gesellschaft hat das einzigartige Privileg, aus den schwersten Verbrechen der Menschheit zu lernen, mit Zeitzeug*innen zu sprechen oder die Großeltern zu befragen. Ich will weiter auf diejenigen zählen, die nach wie vor auch im ländlichen Ostdeutschland den Arsch in der Hose haben, Faschos zu widersprechen. Und die genauso nicht vor Kritik an Menschen zurückschrecken, die Nazis den Steigbügel halten. 

Und wir müssen umdenken! Denn die Zeit nach der Bundestagswahl ist nicht zwangsläufig bedrohlich und düster. Sie bietet eine Chance. Schließlich müssen wir uns dann nicht mehr mit Wahlkampf auseinandersetzen und können (wieder) unsere Anliegen in den Vordergrund stellen – durch Proteste, Bürger*innensprechstunden oder Diskussionsrunden. Vielleicht ist die Zivilgesellschaft derzeit ruhiger als nach den Correctiv-Recherchen vor gut einem Jahr. Doch die Grundlagen für progressive Veränderung sind da. Packen wir es an!

Jakob Springfeld wurde 2002 im sächsischen Zwickau geboren, ist Klima- und Antifa-Aktivist, Student und Autor des Buches „Unter Nazis. Jung, ostdeutsch, gegen rechts“.

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