Text: Anne Brockmann — Foto: Paul Popanda
Gestalten, die sich frühmorgens aus einem überteuerten Mehrbettzimmer quälen und schnell noch ein Bier hinterkippen, damit sie aushalten können, was sie in den nächsten Stunden tun werden. Peter Hübner hat Szenen wie diese oft miterlebt. Mehr noch: Oft ist er ein Teil davon gewesen – in seinem früheren Leben als Metzger-Azubi. Da war es unter den Mitarbeitenden im Schlachthof Usus zum Frühstück Alkohol zu trinken und dann auf die Tiere einzudreschen. Heute nennt er das, was sich da in seine Erinnerung eingebrannt hat, „moderne Sklaverei“.
„Viele von denen, die in der deutschen Fleischindustrie die Drecksarbeit machen müssen, sind Billiglohnempfangende aus dem Ausland. Sie hausen in Wohncontainern, arbeiten unter Zeitdruck und mit barbarischem Gerät“, beschreibt Hübner die Situation. „Arme Schweine“ – am Ende des Tages sind das in einem Schlachthof womöglich alle. Diejenigen, die ihr Leben darin lassen mussten, aber auch jene, die wieder und wieder antreten, um abertausende Leben zu beenden. So zumindest hat es sich für Peter Hübner angefühlt. Deshalb hat er die Berufsausbildung zum Metzger im dritten Lehrjahr abgebrochen.
Nach einer Lehre zum Bürokaufmann und einigen Jahren als Chauffeur arbeitet er heute und seit inzwischen mehr als 20 Jahren als Allrounder bei einem Bio-Unternehmen. Von sich reden macht er aber abseits seines Alltags. Denn der ehemalige Fleischer lebt heute vegan und hat dazu noch mit dem Verein Metzger gegen Tiermord das Fundament für eine besondere Art des Tierrechtsaktivismus geschaffen.
Angefangen hat alles mit einem Video, das Hübner und vier Gleichgesinnte Anfang 2019 bei Youtube hochgeladen haben. In weniger als drei Minuten erzählen dort fünf Aussteiger aus der Fleischindustrie, was sie in ihrem Berufsalltag erlebt haben und warum sie jetzt vegan leben. Die fünf Männer erzählen davon darüber, wie sie realisierten, dass auch Tiere Leid und Schmerz empfinden. Über die Gewalt bei Tiertransporten. Und darüber, dass sie selbst den qualvollen Anblick von den Zuständen in den Mastanlagen nicht mehr ertragen konnten. Sie wollten nicht länger Teil eines Systems sein, dass den Planeten zerstört. Ihre Botschaft: „Wenn ich es kann, kannst du es auch.“
„Wir hatten gedacht, wenn es gut läuft, landen wir am Ende vielleicht bei 5 000 Likes. Damit haben wir uns total verschätzt. Schon nach einem Tag waren es 100 000“, erinnert sich Hübner. Die Kampagnen des Vereins sind seither professioneller, lauter und differenzierter geworden. Das Anliegen ist noch immer dasselbe. Werben für eine vegane Lebensweise – gerade vor dem Hintergrund der eigenen blutigen Berufsbiografien. „Wir nehmen an Demonstrationen teil, geben Workshops an Schulen, verteilen Flyer auf der Straße und unterstützen andere Organisationen mit ähnlichen Zielen“, beschreibt Hübner die Bandbreite ihres Aktivismus.
Unter dem Hashtag „Ich bin dabei“ melden sich immer wieder neue Menschen, die der Fleischbranche den Rücken gekehrt haben. So auch Eric Heiß und Markus Steudler, die zu den jüngsten Mitgliedern der Bewegung gehören. Heiß war einst stolzer Metzgerssohn und wollte eigentlich den Familienbetrieb übernehmen. „Einmal hat meine ganze Schulklasse einen Ausflug in die Metzgerei meines Vaters gemacht und alles besichtigt. Mann, war das toll. Sie durften lauter Häppchen probieren, fanden’s super und ich auch“, erinnert sich Heiß.
Ein radikaler Umbruch
Dass er inzwischen selbstständiger Berater für vegane Ernährung ist, hat mit seiner Frau zu tun. Die sei zunächst selbst Vegetarierin geworden und hat in ihrem Beruf als Erzieherin dann in einer Projektarbeit ein Konzept dafür entworfen, Kindern das Thema „Massentierhaltung“ zu veranschaulichen. „Mir ist Austausch wichtig in einer Beziehung und das Interesse an dem, was meine Partnerin tut. Wir haben verschiedene Dokus angesehen und auch vegetarische Gerichte ausprobiert, die uns überzeugen konnten. So kam dann eins zum anderen“, resümiert Heiß, der heute als „Vetzgermeister“ mehrere Tausend Follows in sozialen Netzwerken zählt.
Markus Steudler war in einem namhaften Fleischkonzern für die Qualitätssicherung zuständig und hat dort „viel gesehen“, wie er es nennt. „Ich habe bemängelt, dass ein Förderband, das Kochschinken transportiert, total verdreckt war. Nicht einmal, mehrmals. Es hat nicht lange gedauert, dann wurde ich gekündigt.“ Zuvor hatte er sich selbst schon des Öfteren die Frage gestellt, wofür er eigentlich da sei, wenn auf seine Beanstandungen hin nie etwas passiere. Durch eine Depression sei er schließlich wieder stärker in Kontakt mit der Natur und Tieren gekommen. „Draußen sein, Ruhe haben, Lebendiges erleben – das hat mir gut getan.“
Den endgültigen Bruch mit seinem einstigen Beruf habe ein Kalb herbeigeführt, das zum Schlachter geführt werden sollte. „Ich habe die Angst in seinen Augen gesehen, weil es genau wusste, was es erwartet. Und ich bin mir sicher, dass ich Tränen erkannt habe. Dieses Kalb hat geweint und dadurch bin ich aufgewacht. Mit einem Schlag war mir klar, Tiere fühlen genauso wie wir“, schildert Steudler den entscheidenden Moment.
Sein Plan ist jetzt, in naher Zukunft durchs Land zu ziehen und sich jeweils für unbestimmte Zeit verschiedenen Lebenshöfen anzuschließen. Auf Lebenshöfen dürfen alte, kranke und aussortierte Tiere schlichtweg sein, wer sie sind – ohne Zweck und Nutzen. Steudler möchte helfen, sie zu versorgen. Vor zwei Jahren zog er bereits eine Schar verwaister Ziegenbabys zuhause von Hand auf. Auch damals schon war er Gast auf einem Lebenshof. Die Ziegen waren einem unseriösen Händler entzogen worden und Steudler hatte sie bei sich aufgenommen.
Unter dem Namen „Kräuterbengel“ bietet er derzeit besondere geführte Wanderungen im Münsterland an. „Auf meinen Kräuterwanderungen zeige ich den Menschen, wie sie sich selbst eine wilde Hausapotheke schaffen können oder welche Superfoods vor ihrer Haustür wachsen. Ein Tee gegen Blasenentzündungen, Harzsalbe für Wunden und Efeu als Spülmittel – die bestimmen jetzt seinen Arbeitsalltag. „Das Geld, das ich dabei einnehme, geht zum Großteil an den Tierschutz“, erzählt Markus Steudler.
Konfrontiert mit Leiden
„Uns vereint die gemeinsame Vergangenheit als Metzger – vor allem aber der Schritt, damit gebrochen zu haben und das Ziel, möglichst vielen Menschen ein Vorbild für eine vegane Lebensweise zu sein. Aber wie wir uns bei unseren Mitmenschen für Tiere einsetzen, sieht ganz unterschiedlich aus“, sagt Peter Hübner. Nur eines ist klar: Gewalt ist ein No-Go. „Wir können nicht Gewalt mit Gewalt bekämpfen“, zitiert er eines seiner Vorbilder Roger Yates.
Der englische Soziologe ist wie Hübner Tierrechtler und Mitbegründer der Animal Liberation Front, die weltweit versucht, Tierversuche und das Töten zu verhindern. „Menschenrechte sind uns aber genauso wichtig wie Tierrechte. Deshalb sind die Formen unseres Aktivismus immer friedlich“, so Hübner. Einbrüche in Betriebe der Fleischindustrie und das Einschleusen von Menschen zu Recherchezwecken seien damit raus, tätliche Angriffe sowieso.
Grundsätzlich kompromissbereit zu sein, bedeutet das für ihn aber noch lange nicht. „Wer Fleisch kauft, ist genauso schuldig wie der Täter im Schlachthof. Das steht für mich fest. Da lasse ich nicht mit mir reden“, sagt er und untermauert damit, dass auch „Worte starke Waffen sind“. Diese Art der Positionierung und Konfrontation ziehen aber auch Gegenwehr an. So habe Peter Hübner schon erlebt, dass ihm tote Tiere über den Zaun seines Grundstücks geworfen wurden. Auch ein Kopfgeld auf gebrochene Arme sei schon ausgelobt worden.
„Ohne Widerstand geht es nun mal nicht. Alle großen Errungenschaften unserer Menschheit sind nur gegen heftigen Widerstand erreicht worden – ob es die Einführung der Demokratie oder die Gleichstellung der Frau ist“, fasst Peter Hübner zusammen.
Vor Kurzem erst sind sich Hübner, Heiß und Steudler nach längerer Zeit mal wieder persönlich begegnet – leben sie doch in ganz unterschiedlichen Ecken der Republik. Während Hübner in der Nähe von Bremen zu Hause ist, lebt Heiß in der Gegend um Speyer. Und Steudler hält sich aktuell noch im Münsterland auf, plant aber sein Leben als Vagabund. Zusammen haben sie am Lichtermarsch für die Tiere in Laboren teilgenommen. Der Demozug durch die Innenstadt von Münster prangert Tierversuche an und gedenkt der Lebewesen, die in medizinischen Versuchslaboren ihr Leben fristen. Organisiert wirde die Veranstaltung, die bewusst auch an Weihnachtsmärkten und den unzähligen Bratwurstbuden vorbeiführt, von der ortsansässigen Arbeitsgemeinschaft der „Ärzte gegen Tierversuche“. Um bei Events wie diesem präsent zu sein, legt Hübner jährlich bis zu 30 000 Kilometern zurück.
Veganismus, davon sind alle drei überzeugt, ist eine realistische Chance für das Überleben der Menschheit. „Allein schon im Hinblick auf den Klimawandel und den Hunger in der Welt. Der Welterschöpfungstag war dieses Jahr bereits am zweiten August“, so Hübner. Das Datum gibt bereits seit 1961 an, an welchem Tag des laufenden Jahres die menschliche Nachfrage nach nachwachsenden Rohstoffen das Angebot und die Kapazität der Erde zur Reproduktion dieser Ressourcen übersteigt. Und er wird kontinuierlich früher erreicht.
Die Veränderung, so sagen die Metzger gegen Tiermord, fange auf dem eigenen Teller an und sie sei überhaupt nicht davon abhängig, wie alt ein Mensch sei, welches Geschlecht er habe, ob er in der Stadt oder auf dem Land lebe. Das möchten sie betonen. „Das einzige, was ich für diese Veränderung brauche“, meint Hübner, „sind Herz und Erkenntnis.“
Mit Veto geben wir dem Aktivismus im Land eine mediale Bühne. Warum? Weil es Zeit ist, all jene zu zeigen, die sich einmischen. Unser Selbstverständnis: Journalismus mit Haltung. Du kannst uns mit einer Spende unterstützen: DE50 4306 0967 1305 6302 00 oder via PayPal.