Eine lange Tafel — Nedal Georges

Bei Elbēn in Münster gibt es nicht nur syrisches Streetfood, sondern auch Begegnungen. Nedal Georges möchte Kulturen verbinden. Das gelingt ihm mit Hefeteig und Käse – und mit einer Spur Gelassenheit.
25. Oktober 2021
4 Minuten Lesezeit
Text: Viktoria Pehlke — Fotos: Björn Hokamp

Hefe, Mehl, Wasser, Salz, Zatar, Öl. Das sind die Grundzutaten für Manakish: syrisches Streetfood. Das Elbēn in Münster bietet die Fladen im eigenen Bistro und an seinem Foodtruck an. Sozialunternehmer Nedal Georges kennt sie aus dem Heimatland seiner Eltern, in dem er als Kind seine Sommerferien verbrachte. „Als ich zum ersten Mal bewusst nach Syrien flog, um Familie zu besuchen, war ich acht Jahre alt“, erzählt er. „Manakish gibt es dort an fast jeder Straßenecke. Auch heute noch.“ Sein letzter Besuch liegt schon länger zurück. Die Kultur seiner Kindheit aber war ihm wieder präsent, als tausende geflüchtete Menschen aus Syrien nach Deutschland kamen.

Es war der Sommer 2016: Nedal Georges steht an einem Bahnsteig in Frankfurt am Main und heißt Menschen aus Syrien in der hessischen Metropole willkommen. Er studiert damals noch Jura. Das theoretische Wissen und seine arabischen Sprachkenntnisse nutzt er, um Geflüchteten zu helfen. „Wer sonst könnte diese beiden Welten miteinander verbinden.“ Es ist dieser Gedanke, der für ihn ausschlaggebend sein wird, um damit anzufangen, das Kulturprojekt Elbēn zu realisieren. 

Nedal Georges begeistert in Münster mit syrischem Streetfood.
Nedal Georges begeistert in Münster mit syrischem Streetfood.

Zusammen mit seinem Kollegen Jan Wehner will Georges einen Ort schaffen, der Begegnungen zwischen Geflüchteten und in Deutschland beheimateten Menschen ermöglicht. „Das hätten wir auch mit einem Fußball- oder Musikverein tun können, aber wir wollten unabhängig von anderen Institutionen und Geldern sein“, beschreibt Georges die Anfänge. Sie entscheiden sich fürs Essen – und laden zu Manakish und Gesprächen ein. Ihren ersten Foodtruck finanzieren sie sich über ein Crowdfunding.

Anfangs arbeiten bei Elbēn vor allem Menschen mit Fluchtgeschichte, viele von ihnen aus arabischen Ländern. Georges lernt sie über die syrische Community in Münster kennen, auch über seine Eltern. Eine Ausbildung in der Gastronomie hat jedoch niemand von ihnen. Um Nedal Georges sammeln sich Menschen, denen auf der Flucht nichts anderes übrig blieb als das Kochen zu lernen. In Ägypten, Griechenland oder der Türkei hätten sie dann in der Gastronomie gearbeitet. „Es ist der einzige Job, in dem du ohne Sprache arbeiten kannst“, meint er.

Kochkunst und Austausch

Das syrische Streetfood Manakish kommt in Münster von Anfang an gut an, vor allem unter Studierenden. Der Foodtruck steht damals viel auf Festivals, beliefert Hochzeiten und Geburtstage. Später wird die Kundschaft diverser – darunter viele Menschen aus dem Nahen Osten, die das Essen ihrer Heimat vermissen.

Im Sommer 2017 eröffnet Georges sein erstes Bistro: ein helles Ladengeschäft mit langen Tischen und Bänken. An den Wänden hängen Porträts, die aus kleinen Schnipseln verschiedener Fotografien zusammengesetzt sind. In einer Ecke entsteht zudem eine Bühne, die abends für Veranstaltungen genutzt werden kann. Auf der Speisekarte des Elbēn landen neben klassisch syrischen Varianten von Manakish mit Zatar, einer Thymian-Gewürzmischung, und Mhamara, einer Paprika-Creme, auch welche mit Gouda und Hirtenkäse. „Das ist sehr deutsch“, lacht Georges, „doch so schaffen wir Austausch.“

In seinem Lokal bringt Nedal Georges Menschen an einen Tisch.
In seinem Lokal bringt Nedal Georges Menschen an einen Tisch.

Elbēn ist allerdings mehr als Gastronomie. Georges investiert das erwirtschaftete Geld aus Bistro und Foodtruck in gemeinnützige Projekte und eine gesellschaftliche Mission. Neben einer GmbH hat er daher noch den Verein „Zwei Herzen“ gegründet. Der Name ist die Übersetzung für das syrisch-arabische Wort Elbēn. In diesem Jahr etwa wollen der Sozialunternehmer und sein Team einer Initiative für Kinder im Libanon helfen. In Münster selbst stellt der Verein Kunstschaffenden kostenlos eine Bühne bereit, veranstaltet Abendessen, Kleider- oder Büchertauschtage.

Georges erzählt von einer besonderen Begegnung: „Es kam jemand mit einem Deutschlernbuch vorbei, ein anderer mit Goethe. Beide haben schließlich ihre Bücher getauscht und sich unterhalten. Das war natürlich nicht einfach, aber sie haben viel gelacht – und das ist der Effekt, den wir sehen wollen.“ Auch räumlich ist Elbēn gewachsen. Noch vor Ausbruch der Pandemie entstand im Zentrum von Münster eine Begegnungs- und Kulturstätte. Dort finden Chorproben, Konzerte und Yoga statt. 

Unerschütterlicher Glaube

Neben helfenden Händen und begeisterten Mitstreitenden habe es seit Beginn des Projekts auch Menschen gegeben, die Georges mit Skepsis und Rassismus begegnet seien. Schon bei der Suche nach einem geeigneten Ladenlokal sei er abgewiesen worden, so Georges. Vermietende hätten das Konzept oft nicht verstanden und ihn als unsicheren Mieter empfunden, erinnert er sich. „Und es kamen Leute ins Bistro, die sagten: ‚Wir wollen euch hier nicht haben.‘“ Von seinem Weg aber hat sich Georges trotz allem nicht abbringen lassen. „Begegnung mit Herz statt mit Hass“, so lautet der Glaubenssatz, den er bis heute vor sich herträgt und der ihn weitergebracht habe.

Nach zwei Jahren, erzählt er, hätten dieselben Nachbarn, die anfangs nicht einmal ihren Schlüssel bei ihm hinterlegen wollten, sein Essen bestellt. Sie hätten sich entschuldigt – und bei ihrem Auszug Möbel und Pflanzen an die Mitarbeitenden im Elbēn verschenkt. Georges hat dafür Verständnis: „Menschen haben Ängste, häufig dann, wenn sie andere Menschen nicht kennen.“ Er neigt nicht dazu, das zu verurteilen, er hegt keinen Groll, auch wenn er könnte. Georges sieht Verunsicherte, „die mit dem Unbekannten konfrontiert werden und denen die authentische Begegnung fehlt“. 

Nedal Georges’ Credo: „Begegnung mit Herz statt mit Hass“.
Nedal Georges’ Credo: „Begegnung mit Herz statt mit Hass“.

Heute arbeiten im Elbēn Menschen aus der ganzen Welt, auch Studierende aus Münster, viele von ihnen ehrenamtlich. Nicht alle haben eine Migrations- oder Fluchtgeschichte. Über ein Portal, das Jobs an Reisende im Ausland vermittelt, kommen zudem immer neue Gesichter dazu. Georges sieht  darin einen notwendigen Prozess der Integration: „Die Frage ‚Woher kommst du ursprünglich?‘ sollte sich nicht mehr stellen. Schließlich leben und arbeiten wir gemeinsam in dieser Stadt.“

Veto widmet den Mutigen und Engagierten im Land ein eigenes Magazin – 24/7 online und viermal im Jahr als gedrucktes (!) Heft: www.veto-mag.de/gedruckt

Weiterlesen

Blaxpertise — Kolumne Malonda

Alle wollen immer links sein – aber wer will (noch) links wählen? Wie das „Bündnis Sarah Wagenknecht“ eine ohnehin schon unruhige Parteienlandschaft in Deutschland weiter durcheinander bringt und wie es soweit kommen konnte.

In diesem Ton — ManuEla Ritz

ManuEla Ritz würde gerne eine Weltreise unternehmen und erkunden, ob es Orte ohne Adultismus gibt. Bis es soweit ist, klärt sie über die wohl häufigste Form der Diskriminierung auf. Über das Leben in einer Erwachsenenwelt.

Platzverweis für Rassismus — Jo Ecker

Kann ein kleines Blechschild etwas gegen Rassismus auf dem Fußballplatz ausrichten? Jo Ecker meint: ja. Was mit einem erschreckenden Vorfall während eines Spiels begann, ist zu einer bundesweiten Aktion geworden.

Dichter und Denker — Ezé Wendtoin

Musiker Ezékiel Wendtoin ist allen als Ezé bekannt. Heimat denkt er im Plural – und besingt sie mehrsprachig. Nach Deutschland kam er, weil er sich in die Sprache verliebte. Jetzt nutzt er sie, um zu rebellieren.

Kleine Schritte — Mandy Vater

Wenn Gegenrede ausbleibt, verschieben sich die Grenzen des Sagbaren. Immer weiter nach rechts. Auf dem Land in Sachsen-Anhalt macht sich Mandy Vater dafür stark, dass Rassismus nicht länger unkommentiert bleibt.

Journalismus mit Haltung

Mit Veto geben wir Aktivismus eine mediale Bühne und stellen all jene vor, die für Veränderung etwas riskieren. Veto ist die Stimme der unzähligen Engagierten im Land und macht sichtbar, was sie täglich leisten. Sie helfen überall dort, wo Menschen in Not sind, sie greifen ein, wenn andere ausgegrenzt werden und sie suchen nach Lösungen für gesellschaftliche Probleme.

Mediale Aufmerksamkeit aber bekommen ihre mutigen Ideen nur selten. Das muss sich ändern – und Aktivismus endlich raus aus der Nische! Die Aktiven brauchen vor eine starke Stimme und Wertschätzung für ihre Arbeit. Mit Veto machen wir Engagement sichtbar und zeigen denen, die finden, dass es nun höchste Zeit ist, sich einzumischen, wie es gehen kann. Unsere Botschaft an alle Gleichgesinnten da draußen: Ihr seid nicht allein!

Mit Print gescheitert?

Veto gab es bis Sommer 2022 auch als gedrucktes Magazin. Doch die extrem gestiegenen Preise für Papier, Druck und Vertrieb wurden für uns zur unternehmerischen Herausforderung. Gleichzeitig bekamen wir Nachrichten aus der Community, dass sich viele ein Abo nicht mehr leisten können. Wir waren also gezwungen, das gedruckte Magazin nach insgesamt zehn Ausgaben (vorerst) einzustellen.

Aber – und das ist entscheidend: Es ist keinesfalls das Ende von Veto, sondern der Beginn von etwas Neuem. Denn in Zeiten multipler Krisen wird Veto dringend gebraucht. Um Hoffnung zu geben, zu verbinden, zu empowern und zu motivieren. Deshalb machen wir alle Recherchen und Porträts kostenfrei zugänglich. Denn: Der Zugang zu Informationen über Aktivismus und Engagement darf keinesfalls davon abhängen, was am Ende des Monats übrig ist.

Transparenzhinweis

Veto wird anteilig gefördert von der Schöpflin Stiftung, dem GLS Treuhand e.V., dem Presse- und Informationsamt der Bundesregierung und der Bürgerstiftung Dresden. Bis 2022 war auch die ZEIT STIFTUNG BUCERIUS beteiligt. Der Aufbau der Webseite wurden realisiert durch eine Förderung der Amadeu Antonio Stiftung (2019) und des Förderfonds Demokratie (2020).

Du kannst uns mit einer Spende unterstützen: DE50 4306 0967 1305 6302 00 oder via PayPal.