Es ist angerichtet — Jessica Wolf

Frauen sind in der Gastronomie meistens Kellnerin und selten Chefin. Jessica Wolf wollte es anders machen. Mit ihrem veganen Restaurant bleibt sie die Ausnahme in einer männer- und fleischdominierten Branche. Ein Besuch.
15. Dezember 2022
3 Minuten Lesezeit
Text: Viktoria Pehlke — Fotos: Martin Lamberty

Rauer Ton, körperlich harte Arbeit und familienunfreundliche Arbeitszeiten. Gründe dafür, warum die Gastronomie männlich dominiert ist, gibt es noch immer genügend. Sexismus bedeutet in der Branche nicht nur sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, sondern genauso limitierte Aufstiegsmöglichkeiten. Gerade einmal zwei Frauen in Deutschland wurden bislang mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet – im Gegensatz zu über 40 Männern. Um an diesen Strukturen etwas zu ändern, braucht es vor allem Mut und Durchhaltevermögen. Jessica Wolf bringt beides mit: „Wir sind damit aufgewachsen, Dinge hinzunehmen, ohne das System zu hinterfragen. In der Gastronomie sind das nicht nur die männlich-hierarchischen Strukturen, sondern auch, dass die Verarbeitung des vielen Fleischs mit großem Tierleid verbunden ist.“

2019 eröffnete Wolf zusammen mit ihrer Geschäftspartnerin Kristina Mohr „Die Fette Beete“ im nordrhein-westfälischen Krefeld. Auf ihrer wöchentlich wechselnden Speisekarte landet neben experimentellen Gemüsegerichten auch klassische „Hausmannskost“. Ein Begriff, über den Wolf im Gespräch stolpern wird, klingt es doch nach Patriarchat und Schweinshaxe – zwei Dinge, die keinen Platz haben bei ihr im Restaurant. „Ich sag jetzt mal Comfort Food.“

Denn es gehe ihr nicht um Gerichte, die die Herren des Hauses mit üppig Speck und Butter satt machen sollen, sondern vielmehr um ein „Heimatgefühl“. Und gerade mit Essen ließen sich „Emotionen nachbauen“, meint sie. Die Königsberger Klopse ihrer Mutter zum Beispiel seien ihr Leibgericht gewesen. „Sowas lässt sich auch vegan machen. Wir sind ja nicht vegan, weil wir Fleisch nicht mögen, sondern weil wir für unser Essen keine Lebewesen töten wollen.“

Jessica Wolf ist Anfang 20, als sie mit ihrem Auto eine Entenfamilie überfährt. Am selben Tag beschließt sie, kein Fleisch mehr zu essen. Zum Veganismus findet sie dann ein paar Jahre später, als sie in Düsseldorf Geschichte, Germanistik und Politikwissenschaften studiert – und zunehmend in „linken Kreisen“ unterwegs ist, wie sie sagt. Ihre ersten Berührungspunkte sind Konzerte, bei denen veganes Essen angeboten wird. „Veganismus war für mich im Studium ein Teilbereich des Wahrnehmens von Ungerechtigkeit, Teil eines links-grünen Umdenkens.“

Essen als Botschaft

Nach ihrem Abschluss arbeitet Wolf als Pressereferentin bei den Stadtwerken in Neuss. Ihre Liebe zum Kochen, die sie schon als Jugendliche entdeckte, behält sie sich als Hobby bei. Mit ihrem damaligen Partner gründet sie den veganen Supper Club „Herr Johann“ und bekocht so bis zu 40 Leute. Im Wohnzimmer ihres Industrielofts zaubert Wolf Fünf-Gänge-Menüs und ganze Tortenbuffets. Als sie in Krefeld ihre spätere Geschäftspartnerin kennenlernt – und die beiden kulinarisch wie unternehmerisch zueinander passen –, fasst sie den Entschluss, sich neu zu orientieren. Wolf ist fasziniert von der Schönheit und Vielfalt pflanzlichen Essens: „Du kannst Veganismus als komplett neue Küche begreifen. Du denkst dir etwas aus und würfelst Sachen zusammen. Es macht Spaß, wenn Essen bunt ist und verschiedene Konsistenzen und Geschmacksrichtungen hat. Wenn du etwas ausprobierst, was du noch nie gemacht hast.“

Wer vegan lebt, verzichtet ganzheitlich auf tierische Produkte. Dazu gehören neben Milch, Eiern oder Honig auch Kleidung oder Hygieneartikel. Veganismus und Feminismus liegen für Wolf nah beieinander und kreuzen sich unter anderem an der Stelle, die Charlotte Roche in ihrer Kolumne „Jetzt könnte es kurz wehtun“ im Süddeutsche Zeitung Magazin 2018 als Tier-Feminismus bezeichnet. Die Autorin schrieb dort, dass für tierische Produkte wie Milch und Eier die weibliche Reproduktionsfähigkeit ausgenutzt würde: Eine vegetarische Ernährung beende durchaus das Leid männlicher Tiere, das Halten von Milchkühen und Legehennen nutze aber die Produktivität weiblicher Tiere weiter aus.

Eine gelebte Utopie

Dass solche Missstände nicht nur auf Demonstrationen oder in Hörsälen thematisiert werden, sondern auch in der Küche, dafür sorgt sie selbst. „Die Fette Beete“ liegt versteckt in einem Hinterhof unweit des Krefelder Hauptbahnhofs. Der ausladende Garten mit zartrosa Wänden und leuchtend pinken Sonnenschirmen ist eine kleine Oase inmitten des grauen Betons. „Ich weiß, dass sehr viele Leute es schätzen, in diesem Gartenidyll eine Pause von ihrem Alltag zu bekommen“, bemerkt Wolf. Im Sommer möchten die beiden Inhaberinnen hier Akustikkonzerte und Lesungen stattfinden lassen, um Menschen eine Bühne zu bieten, die noch nicht im Rampenlicht stehen. 2020 eröffneten Wolf und Kristina Mohr außerdem eine Kochschule, die als Ort für Austausch und Antidiskriminierungsarbeit gedacht ist. Die Gründerin denkt zum Beispiel auch an einen Stammtisch für Regenbogenfamilien und trans Personen.

„Es macht schon einen Unterschied, dass wir ein frauengeführtes Unternehmen sind. Aber nicht aufgrund der Biologie, sondern aufgrund unserer Sozialisation“, meint Jessica Wolf. In Gesprächen merke sie selbst noch viel zu oft, wie sie Dinge weglächle, wie sie an alltäglichen Sexismus gewöhnt sei. Die eigenen Erfahrungen in der Gastronomie hätten den Ausschlag gegeben, bewusst andere Strukturen etablieren zu wollen. Mitarbeitende der „Fetten Beete“ sollen weder 16-Stunden-Tage haben noch auf freie Wochenenden verzichten müssen.

Die wohl größte Herausforderung im Job allerdings sei es, sich selbst eine gesunde Work-Life-Balance zu schaffen. In der gemeinsamen Zeit mit ihrem Partner oder mit befreundeten Menschen findet Jessica Wolf Ruhe, auch beim Lesen und Malen. Ganz nebenbei sorgen ihre Aquarelle für eine gemütliche Atmosphäre im Gastraum. Es ist „Weltschmerz“, der sie oft plagt und sie gleichzeitig antreibt. Sie glaubt fest an ihre Ideen einer gerechteren Welt für Tiere, Natur und alle Geschlechter: „Wir brauchen Utopien, damit wir wissen, wohin wir wollen. Ohne Ideale zu haben, können wir keine Kompromisse eingehen.“

Dieser Text erschien zuerst im gedruckten Magazin. Mit Veto geben wir dem Aktivismus im Land eine mediale Bühne. Warum? Weil es Zeit ist, all jene zu zeigen, die sich einmischen.

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