Text: Konstanze Popp — Fotos: Johanna Lohr
„Warum hast du das nicht gleich gesagt?“ Diese Frage bekommt Eva Apfl oft zu hören. Häufig dann, wenn sie sich gegenüber Menschen, die sie schon länger kennt, als lesbisch outet. Ein Satz, der bei Heterosexuellen so gut wie nie vorkommen würde, meint die junge Frau, „nur als Teil der LGBTIQ*-Community wirst du oft auf deine sexuelle Orientierung reduziert“.
Wenn die Münchnerin von solchen Situationen erzählt, wirkt sie allerdings weder betrübt noch resigniert, im Gegenteil: Ihre Augen leuchten vor Tatendrang. Sie hat noch einiges vor, will etwas erreichen, damit die Ungleichheiten weniger werden – und irgendwann ganz verschwinden. „Die Ehe für alle war ein wichtiger Schritt, aber wie lange hat das gedauert? Und genauso werden Menschen aus der LGBTIQ*-Community noch immer zur Zielscheibe von Diskriminierung oder Ausgrenzung.“
Apfl kämpft dagegen, mit Ausdauer, Begeisterung und Energie. Wo immer sie kann, setzt sie sich für eine offene und diverse Gesellschaft ein. Seit fast drei Jahren ist die 26-Jährige Teil der Jugendorganisation „Diversity“ in München, gehört inzwischen zum ehrenamtlichen Vorstand. Ihre Motivation? „Einen Schutzraum für junge Menschen schaffen, in dem sie sein können, wie sie sind und die Möglichkeit haben, mit anderen über ihre Erfahrungen zu sprechen. Das, was bei uns zählt, ist nicht die sexuelle Orientierung“, sagt sie, „wichtig ist der Mensch dahinter.“
In verschiedenen Freizeitgruppen können sich Gleichgesinnte austauschen. Der Bedarf sei in den vergangenen Jahren stetig gewachsen, 13 Gruppen zählt „Diversity“ heute. Neben Treffs für junge lesbische, schwule oder bisexuelle Menschen veranstaltet das Jugendzentrum Workshops an Schulen oder bietet Geflüchteten aus der Community Hilfe an, um schnell Anschluss zu finden.
Umgehen mit eigener Sexualität
Apfl selbst ist nicht mehr auf einen solchen Schutzraum angewiesen – und dennoch weiß sie, wie wichtig so etwas für andere sein kann. Sie outete sich mit 21, nachdem sie wegen einer Essstörung Zeit in einer therapeutischen Wohngruppe verbrachte und sich dort das erste Mal wirklich mit ihrer eigenen Sexualität auseinandersetze. Wenig später entschied sie, Menschen ehrenamtlich zu helfen, die Ähnliches durchleben.
Täglich erreichen sie E-Mails mit Gedanken wie: „Da stimmt was nicht mit mir.“ Mit ihrer eigenen Geschichte geht Apfl offen um. Für viele Jugendliche ist sie auch deshalb eine echte Vertrauensperson geworden, zum Beispiel wenn es um Unterstützung beim Outing vor den Eltern geht.
Wer sich an „Diversity“ wendet, wird erstmal eingeladen, alle sind willkommen, anmelden muss sich niemand. Bei Bedarf verweist Apfl an zwei sozialpädagogische Fachkräfte, die Beratung anbieten. Geld gibt es dafür von der Stadt München. Das meiste allerdings wird ehrenamtlich gestemmt, so wie die „Diversity Bar“, die jeden Mittwoch stattfindet. In den letzten Jahren ist sie zu einem beliebten Treffpunkt innerhalb, aber genauso außerhalb der Community geworden. Seit die Bar coronabedingt schließen musste, erreichen Apfl und das Team jeden Tag Anfragen, wann es denn endlich wieder losgehen könne. Noch ist das aber ungewiss.
Nach der Pause wieder treffen können sich dagegen die „JuLes“, abgekürzt für junge Lesben. Apfl betreut die Gruppe – und deren Mitglieder im Alter von 14 bis 19 Jahren. „Auf dem Papier haben wir die gleichen Rechte, das muss aber auch in die Köpfe der Menschen rein“, sagt sie. Nachfolgende Generationen sollen es in Zukunft leichter haben. Noch immer werden viele nicht heterosexuelle Menschen im Alltag von Diskriminierung begleitet und trauen sich nicht, offen zu zeigen, wen sie lieben.
Eva Apfl weiß sehr genau, wovon sie spricht. Als sie nach ihrem Outing auf ihr erstes Date mit einer Frau ging, wurden beide nicht in einen Bus gelassen, weil sie Händchen hielten – der Busfahrer machte ihnen die Tür vor der Nase zu, erinnert sie sich.
Aufklärung in Schulen gefordert
Es sind Situationen wie diese, die zeigen, dass die Gesellschaft noch einiges aufzuholen hat. Apfl hat sich vorgenommen, niemals lockerzulassen und immer weiterzukämpfen. Wichtig sei aber auch, das zu beschützen, was schon erreicht worden ist, erzählt sie. Denn noch immer kosteten Dinge wie das Zeigen von Zuneigung in der Öffentlichkeit für viele queere Menschen Überwindung. Ein heterosexuelles Paar dagegen sieht sowas meist als selbstverständlich an.
Doch nicht immer gibt es Ablehnung. Auch positiver Diskriminierung sei sie als lesbische Frau im Alltag häufig ausgesetzt, erklärt Apfl. Sätze wie „Ich wäre auch gerne lesbisch, dann müsste ich mich nicht mit Männern rumärgern“ würden dazu beitragen, die Realität zu verzerren. Was die Mittzwanzigerin dabei am meisten stört, ist die Assoziation vieler Menschen, sie würde sich als lesbische Frau sofort zu jeder anderen Frau hingezogen fühlen. „Bei Heterosexuellen gehe ich ja auch nicht davon aus.“ Trotzdem habe sie nach ihrem eigenen Outing häufig zu hören bekommen, sie möge sich doch bitte nicht in ihr Gegenüber verlieben. „Was müssen diese Leute für ein Selbstbewusstsein haben, wenn sie davon ausgehen, dass alle gleich auf sie stehen?“
Um solchen Missverständnissen vorzubeugen und Vorurteile zu beseitigen, hat sich in München die Gruppe „Diversity@School“ gegründet. 30 Ehrenamtliche bieten Workshops an Schulen an, für Jugendliche und meist ganz ohne Lehrkräfte, „um ein möglichst sicheres und ungehemmtes Umfeld für die Fragerunde zu schaffen“, meint Apfl. Dafür hat sie auch im bayerischen Landtag gekämpft und dort viel Zuspruch erhalten. Was noch fehlt, sei eine Verpflichtung der Schulen, solche Workshops in allen Klassen durchzuführen, findet sie. Dass es aber die Möglichkeit gibt, Antworten zu bekommen, sieht Apfl als Voraussetzung, um mit Stereotypen brechen zu können.
Erfahrungen mit Diskriminierung
„Häufig steht da nicht mal eine böse Absicht dahinter, die Menschen wissen es oft einfach nicht besser.“ Ohne diesen Dialog mit Menschen aus der queeren Community kämen die Antworten aus unseriösen Quellen oder von heterosexuellen Menschen, die aus Mangel an persönlichen Erfahrungen unabsichtlich dazu beitragen würden, Vorurteile am Leben zu erhalten.
Gerade in Bayern haben es queere Menschen nach wie vor schwer. Das zeigen die Ergebnisse einer im Mai veröffentlichten Studie zum queeren Leben im südlichen Freistaat. Im Auftrag der Grünen-Landtagsfraktion haben die Wissenschaftlerinnen Barbara Thiessen und Alis Wagner von der Hochschule Landshut 900 Online-Fragebögen ausgewertet. Knapp jede zweite Person hat demnach schon einmal Diskriminierung erleben müssen. Der Studie zufolge werden die häufigsten Diskriminierungserfahrungen im öffentlichen Raum gemacht – beispielsweise Beschimpfungen im Bus.
Und gerade im städtischen Raum gebe es mehr Gelegenheiten für diskriminierende Situationen, erklären die Forscherinnen. In Städten sei auch die Anonymität höher und damit die Hemmschwelle für Taten niedriger. Auf dem Land dagegen sei vor allem die Heftigkeit der Diskriminierung eine andere und die Repressionen offensichtlich größer.
Eva Apfl kennt das und sie ist neben ihrem Engagement bei der Organisation „Diversity“ auch Jugendreferentin im Gay Outdoor Club, einer 1986 gegründeten Sektion des deutschen Alpenvereins. Dort hat sie auch eine queere Jugend, genannt J-goc, mitiniiert. Die Mitglieder sind nicht ausschließlich homosexuelle Menschen. Zusammen gehen sie bouldern oder unternehmen längere Ausflüge.
Erwartung nach mehr Solidarität
Vor drei Jahren trat Eva Apfl auch noch der bayerischen Kleinstpartei Mut bei. In Zeiten eines massiven Rechtsrucks habe sie den Wunsch verspürt, erklärt sie, sich „politisch einzubringen“. Mit den Werten der Partei stimme sie absolut überein.
Programmatisch gefordert werden unter anderem eine „gendergerechte Erziehung“, mehr gesetzliche Anstrengungen zur Gleichstellung von Frauen und Männern und flexiblere Betreuungsmöglichkeiten für Kinder. 2018 trat die Partei erstmal zu einer Wahl an. Bei der Landtagswahl in Bayern erreichte sie 45 243 Stimmen, gerade einmal 0,3 Prozent. Apfl allerdings geht es gar nicht nur um schnelle Wahlerfolge, sie schätzt vor allem die offene Art des Arbeitens in einer neuen und jungen Partei.
Wie sie all ihre Ehrenämter neben ihrer Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten unter einen Hut bekommt, das kann sie selbst gar nicht genau sagen. „Noch klappt es“, lacht sie. Nur mehr dürfe es nicht werden, gibt sie zu. Irgendwann leide die Qualität ihrer Arbeit. Also müssten auch andere mittun im Kampf für Gleichberechtigung.
Was sie Menschen außerhalb der queeren Community mit auf den Weg geben kann? „Sich selbst gegen Diskriminierung zur Wehr zu setzen, ist sehr viel schwieriger, als anderen in solchen Situationen zur Seite zu stehen. Es wäre wünschenswert, dass Menschen eingreifen, die Anfeindungen miterleben.“ Auch sich zu informieren, könne helfen – und eine ehrliche Auseinandersetzung zum queeren Leben. Bis andere aber diese Form von Solidarität zeigen, sei es noch ein langer Weg. Eva Apfl will und muss weiterkämpfen, bis die Gleichberechtigung wirklich in den Köpfen angekommen ist.
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