Gefährliche Erheiterung — Giulia Silberberger

Giulia Silberberger amüsiert sich gerne über Verschwörungstheorien – sieht darin aber auch ein großes Risiko. Die Gründerin der Initiative „Der goldene Aluhut“ berät Ausstiegswillige und Angehörige und teilt ihr Wissen.  
5. März 2019
3 Minuten Lesezeit
Text: Susanne Kailitz — Fotos: Peter van Heesen

Veto: Frau Silberberger, welche ist Ihre liebste Verschwörungstheorie?

Giulia Silberberger: Ich stehe besonders auf die Neuschwabenland-Theorie, nach der es eine Nazi-Festung in der Antarktis gibt. Hitler soll dort gemeinsam mit Reptiloiden leben. Das ist eindeutig mein Favorit.

2014 haben Sie die Initiative „Goldener Aluhut“ gegründet, die jährlich einen Preis für die absurdeste Verschwörungstheorie vergibt und auf einer Facebook-Seite informiert. Warum?

Ich bin irgendwann im Internet auf diverse Verschwörungstheorien gestoßen, das hat mich fasziniert und ich bin tiefer eingetaucht. Doch dann wurde in den letzten Jahren immer deutlicher, dass viele Menschen an so etwas glauben und sich in ideologischen Strukturen verstricken. Außerdem sitzt die AfD inzwischen im Bundestag. Damit haben Verschwörungstheorien Auftrieb bekommen – etwa die von der Umvolkung oder einer jüdischen Weltverschwörung. Wir haben uns deshalb dazu entschieden, über so etwas aufzuklären und haben dafür den humorvollen Weg als niedrigschwelligen Zugang gewählt. Auf unserer Facebookseite, in unserer eigenen Community und mit dem jährlichen Award wollen wir gleichzeitig unterhalten, aber eben auch aufklären.

Was können Verschwörungstheorien Ihrer Meinung nach anrichten?

Da müssen wir doch nur in die aktuelle politische Diskussion schauen: Die Idee, die Regierung könne einen groß angelegten Bevölkerungsaustausch betreiben, führt zu Hetze und Hass etwa gegen Geflüchtete. Das schadet insgesamt der Demokratie. Und über Verschwörungstheorien werden Strukturen psychischer Manipulation etabliert – etwa bei Religionsgemeinschaften wie den Zeugen Jehovas oder rechten Gruppen wie dem Milieu der Reichsideologie. Wer dort aussteigen will, wird bedroht und gestalkt. Und Verschwörungstheorien rund um die Pharmaindustrie führen dazu, dass Menschen sich nicht adäquat behandeln oder ihre Kinder nicht mehr impfen lassen.

Giulia Silberberger klärt im Netz über Verschwörungstheorien auf.
Giulia Silberberger klärt im Netz über Verschwörungstheorien auf.

Wie stark wird Ihr Engagement durch Ihre eigene Vergangenheit beeinflusst? Sie haben ja große Teile Ihrer Kindheit und Jugend bei den Zeugen Jehovas verbracht.

Die Erfahrung, wie es ist, manipuliert zu werden und wie schwer es ist, aus solchen Systemen auszusteigen, spielt für mein Engagement natürlich eine große Rolle.

Werden Menschen immer anfälliger für diese Art von Manipulation oder wird sie durch das Internet einfach nur immer sichtbarer?

Wir Menschen waren schon immer doof, das muss ich ehrlich sagen. Deshalb hat es immer schon Menschen gegeben, die die absurdesten Dinge geglaubt haben. Jetzt wird das durch das Internet aber viel sichtbarer und immer mehr Menschen werden damit konfrontiert. Da hat jemand Sorgen und Existenzängste, sucht nach Erklärungen und Hilfe – und landet bei vermeintlich einfachen Erklärungen, nach denen die Regierung gegen das eigene Volk arbeitet oder die Medien tricksen. Das ist eine Gefahr.

Was lässt sich gegen diese kruden Ideen tun?

Manchmal helfen Fakten weiter – das ist aber nur dann gegeben, wenn das Gegenüber noch an einer Diskussion interessiert ist. Wenn aber jemand felsenfest davon überzeugt ist, dass das Chemtrails am Himmel sind, dann sind auch Daten Schall und Rauch. Daher setzen wir vor allem auf Prävention. Wir müssen die Menschen aufklären, bevor sie in Parallelwelten abdriften.

Nach 16 Jahren stieg Giulia Silberberger bei den Zeugen Jehovas aus.
Nach 16 Jahren stieg Giulia Silberberger bei den Zeugen Jehovas aus.

Müsste es mehr staatliches Engagement gegen Verschwörungstheorien geben oder ist da die Zivilgesellschaft gefragt?

Eindeutig beide! Wir brauchen dringend mehr Beratungsstellen – sowohl für Betroffene, die aussteigen wollen als auch für Angehörige, die extrem leiden. Wir bekommen ganz viele Anfragen von Menschen, die völlig verzweifelt und hilflos sind. Ihnen helfen wir bei der Suche nach Informationen oder Ansprechpersonen – zum Beispiel therapeutisches Personal oder Sektenberatungsstellen. Am wichtigsten ist aber, ihnen Empathie und Verständnis entgegen zu bringen. Das kommt auf staatlicher Ebene häufig viel zu kurz.

Wie finanzieren Sie Ihre Arbeit, wie können euch Menschen, die sich selbst engagieren wollen, unterstützen?

Wir bekommen keine Förderung, sondern leben ausschließlich von Spenden. Das ist uns wichtig, wir wollen nicht unter einem bestimmten Label arbeiten, sondern unabhängig bleiben. Gerade im Moment wären wir über mehr Unterstützung froh: Wir suchen immer Menschen, die in den sozialen Medien unterwegs sind und die für uns nach Content suchen. Für unsere eigene Community und die Diskussionsforen, die wir gerade aufbauen, suchen wir nach Menschen, die moderieren wollen und sich mit unseren Themen auskennen.

Auf Veto erscheinen Geschichten über Menschen, die etwas bewegen wollen. Wer unsere Idee teilt und mithelfen möchte, kann das unter steadyhq.com/veto tun.

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Journalismus mit Haltung

Mit Veto geben wir Aktivismus eine mediale Bühne und stellen all jene vor, die für Veränderung etwas riskieren. Veto ist die Stimme der unzähligen Engagierten im Land und macht sichtbar, was sie täglich leisten. Sie helfen überall dort, wo Menschen in Not sind, sie greifen ein, wenn andere ausgegrenzt werden und sie suchen nach Lösungen für gesellschaftliche Probleme.

Mediale Aufmerksamkeit aber bekommen ihre mutigen Ideen nur selten. Das muss sich ändern – und Aktivismus endlich raus aus der Nische! Die Aktiven brauchen vor eine starke Stimme und Wertschätzung für ihre Arbeit. Mit Veto machen wir Engagement sichtbar und zeigen denen, die finden, dass es nun höchste Zeit ist, sich einzumischen, wie es gehen kann. Unsere Botschaft an alle Gleichgesinnten da draußen: Ihr seid nicht allein!

Mit Print gescheitert?

Veto gab es bis Sommer 2022 auch als gedrucktes Magazin. Doch die extrem gestiegenen Preise für Papier, Druck und Vertrieb wurden für uns zur unternehmerischen Herausforderung. Gleichzeitig bekamen wir Nachrichten aus der Community, dass sich viele ein Abo nicht mehr leisten können. Wir waren also gezwungen, das gedruckte Magazin nach insgesamt zehn Ausgaben (vorerst) einzustellen.

Aber – und das ist entscheidend: Es ist keinesfalls das Ende von Veto, sondern der Beginn von etwas Neuem. Denn in Zeiten multipler Krisen wird Veto dringend gebraucht. Um Hoffnung zu geben, zu verbinden, zu empowern und zu motivieren. Deshalb machen wir alle Recherchen und Porträts kostenfrei zugänglich. Denn: Der Zugang zu Informationen über Aktivismus und Engagement darf keinesfalls davon abhängen, was am Ende des Monats übrig ist.

Transparenzhinweis

Veto wird anteilig gefördert von der Schöpflin Stiftung, dem GLS Treuhand e.V., dem Presse- und Informationsamt der Bundesregierung und der Bürgerstiftung Dresden. Bis 2022 war auch die ZEIT STIFTUNG BUCERIUS beteiligt. Der Aufbau der Webseite wurden realisiert durch eine Förderung der Amadeu Antonio Stiftung (2019) und des Förderfonds Demokratie (2020).

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