Text: Tom Waurig — Fotos: Benjamin Jenak
Ein lauter, dumpfer Schlag hallt durch den Raum. Mit Wucht trifft der blanke Spann auf die lederne Hülle des kiloschweren Boxsacks. Das Trainingsgerät schwingt ungebremst in alle Richtungen, bis Sunny es wieder stoppt. Der großgewachsene Kämpfer zerrt am Bund seiner Baumwolljacke, um alles zu richten. Auf dem Rücken seines Oberteils, das traditionell beim Judo getragen wird, hat er einen Stoffaufnäher der US-Punkband Dead Kennedys angebracht, vorne prangt der Spruch „Good Night White Pride“. Hier ist einiges anders als gewöhnlich – und das ganz bewusst.
In Neubrandenburg hat Sunny mit befreundeten Menschen ein linkes Kampfsportstudio eröffnet, ein Gym, wie es in der Szene heißt. Vor bald zehn Jahren zog er aus dem Wendland in die mecklenburgische Kleinstadt, die zwischen dem Ostseestrand und Berlin liegt. Dort arbeitet der Endzwanziger als Softwareentwickler.
Sunny, ein Mann mit rot gefärbtem Irokesenschnitt und dichtem Rauschebart, ist ein freundlicher Typ, schlaksig, schlagfertig, mit Worten wie mit Fäusten. Als Kind hat er mit dem Kampfsport angefangen – damals Judo, später Jiu Jitsu und Muay Thai, heute Mixed Martial Arts, kurz MMA. Als Jugendlicher brach er mit all dem, wollte lieber Punk sein und Blödsinn machen. Irgendwann aber kehrte die Motivation für den Sport zurück. Sich mit den Kumpels im Keller raufen, das habe ihm schon immer gefallen, erzählt er.
Nach seinem Umzug in den Osten Deutschlands sind schließlich auch die Anfeindungen von rechtsaußen mehr geworden: „Ich bin oft genug von Faschos verprügelt worden und wollte mich einfach auch verteidigen können. Meine Punkerkumpels dafür zu motivieren, hat überhaupt nicht funktioniert.“ Trainiert hat Sunny in dunklen Kellern, sich mit anderen auf alten Teppichen geschlagen.
Wer an Kampfsport denkt, hat nicht selten das Bild prügelnder Neonazi-Banden im Kopf. Und die Szene selbst sucht diese Art der Inszenierung, um Stärke zu demonstrieren und ein Bedrohungsszenario zu erschaffen. Mit Körperbeherrschung, Disziplin und Konzentration werben rechtsextreme Gruppen um Gleichgesinnte und mischen sich mit Fußball- Hooligans. Die Neonazi-Szene wolle am Fitnessboom mitverdienen, heißt es außerdem. Labels wie „White Rex“ oder das Kampfsportevent „Kampf der Nibelungen“ waren die Folge – und sind heute eine Sammelstelle für militante Rechtsextreme. Auch die Verfassungsschutzbehörden warnen davor: Die rechtsextreme Szene bereite sich auf einen „Tag X“ vor, an dem die öffentliche Ordnung zusammenbrechen und im Land ein Krieg ausbrechen werde. Politische Gewalttaten zu proben, das sei ein neuer Trend.
Punker und Kampfsport
MMA sehen auch deshalb viele kritisch. Die Sportart hat seit Jahren damit zu kämpfen, dass die Neonazi-Szene in die Klubs drängt und auch eigene Strukturen aufbaut. MMA ist eine Mischung aus Boxen und Ringen. Kämpfe finden in vergitterten Käfigen statt, sie sind spektakulär und brutal. Linker Kampfsport ist deshalb nicht unumstritten.
Sunny hält wenig von solchen Diskussionen. Er verbindet mit dem Sport vor allem traditionelle Werte wie Fairness und Respekt. Mit Klischees von Härte und Männlichkeit sieht er sich trotzdem immer wieder konfrontiert, muss sich verteidigen. Und auch die rechtsextreme Szene behält er im Blick. „Vollkontaktsportarten ziehen Nazis an. Die prügeln sich zweimal auf der Straße und halten sich für krasse Streetfighter.“ Sunny dagegen geht es nicht um rohe Gewalt und er sucht auch nicht die Auseinandersetzung mit Neonazis. Das Gym sieht er als soziales Projekt und als Möglichkeit, angestaute Aggressionen loszuwerden. Die Begrüßung ist herzlich, irgendwie freundlich provokant.
Linke Kampfsportstudios gebe es schon einige, weiß Sunny, in Rostock oder Halle zum Beispiel. Viele aber hätten sich entweder aus der Öffentlichkeit rausgezogen oder ihre politischen Anliegen seien in den Hintergrund getreten, weil der Zulauf zu groß wurde.
In Neubrandenburg ist das anders: „Wir wollen Menschen aus der Mitte der Gesellschaft erreichen, aber auch zeigen, dass wir Linke sind“, beschreibt Sunny die Strategie. An der Wand hängt für alle gut sichtbar eine Fahne mit dem Emblem der Antifaschistischen Aktion. Aufdrücken allerdings wolle er niemandem etwas, vielmehr den Kampfsport als Plattform nutzen, um mit anderen in Kontakt zu kommen.
Dem Bild eines Vorzeigesportlers entspreche er heute übrigens genauso wenig wie damals, lacht er. Was nämlich geblieben ist, ist seine Schwäche für ausgelassene Punkorgien mit Bier, Schnaps und Zigaretten. Kämpfe aber gewinnt er trotzdem, früher sogar Medaillen. Wenn der bärtige Mann in den Käfig steigt, weicht das breite Grinsen auf seinem Gesicht der Ernsthaftigkeit. Schnell reißt er seinen Gegner zu Boden. Beide sind ineinander verschlungen, ringen heftig am Boden. Es wird geklammert, gezogen, gegriffen, geschleudert. Sunny mag die Duelle, das Kräftemessen und das Training. Auf linken Festivals stellt er die Security. Der Zuspruch in Neubrandenburg sei groß. Die Idee des Gym lebe von den Charakteren im Trainerteam – neben Sunny sind das Campi und Eric. Der eine kommt aus der Hip-Hop-Szene, der andere aus dem linken Aktivismus.
Ein privates Investment
„Attitude Sports“ haben sie ihr Studio gennant. Das Logo ziert ein Anarchie- Zeichen – und die Mikroskopaufnahme einer Zecke. Ein Tier also, das viele Punks mit Stolz als Selbstbeschreibung wählen. Eröffnet wurde der modernisierte Trainingsraum erst Anfang des Jahres. Dafür wurden meterweise Stromkabel und Abflüsse verlegt, Duschen und Toiletten eingebaut. 300 000 Euro hat Sunny bislang schon in das weitläufige Gelände investiert, das er bei einer Zwangsversteigerung erworben hat und das nicht mehr nur Trainingsstätte, sondern auch sein Zuhause ist. Zu tun ist noch viel. Früher war hier eine Tischlerei, später gehörte der Hof einem Reichsbürger, der nicht mehr zahlte. Entstehen soll auf dem Gelände mehr als das Kampfsportstudio. Sunny plant einen Jugendclub, eine Bar und ein Graffiti-Projekt, will Festivals und Wettkämpfe organisieren.
Was schon da ist, sind die dicken Schaumstoffmatten auf dem Boden, an den Wänden hängen unterschiedlich große Boxsäcke. Auch ein eigener MMA-Käfig gehört zum Interieur. Trainiert wird von Montag bis Samstag, immer nachmittags und für zwei Stunden. Die Mitgliedsbeiträge sind bewusst niedrig. Jeden Sonntag lädt Sunny zum lockeren Sparring. In den Käfig geht, wer will. Auspowern, Dampf ablassen und den Wettkampf simulieren – das alles, ohne ernsthafte Verletzungen zu riskieren.
Die Sportarten wechseln genauso schnell wie die Gegner. Die Runden sind kurz und schweißtreibend. Was auffällt: Nur eine Frau ist gekommen. Mit den Klischees der Männerdominanz zu brechen, sei schwer. Einmal in der Woche bieten sie im Gym auch feministischen Kampfsport an. Sunny hält das für sinnvoll, genauso das Kindertraining mit einem Dutzend Heranwachsender.
Wer den Weg in den grauen Flachbau unweit des Stadtzentrums findet, sucht den Ausgleich zum Alltag, identifiziert sich aber auch mit den antifaschistischen Ideen. Rausschmeißen musste Sunny noch niemanden, will er auch nicht: „Wir sind hier mitten in Mecklenburg- Vorpommern und Politik interessiert viele gar nicht.“ Anderen eine rechte Gesinnung vorzuwerfen, darauf hat er wenig Lust. Er wolle lieber eine Alternative zu fehlenden Jugendclubs bieten. „Wenn sich alle Linken dagegen sperren, mit solchen Leuten zu reden, wird sich nie etwas ändern.“
Auch einen Jugendlichen mit Thor Steinar-Joggingshose haben sie mittrainieren lassen, ihn nachher darauf angesprochen. „Der wusste überhaupt nicht, was er da eigentlich trägt“, erinnert sich Sunny. „Heute engagiert der sich in linken Projekten.“ Die politische Haltung gehört im Gym eben dazu, so wie der Mundschutz zum Kampf.
Dieser Text erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe des Veto Magazins: www.veto-mag.de/gedruckt. Unsere Botschaft an alle Gleichgesinnten: Ihr seid nicht allein!