Auf der Straße — Ende Gelände

Die globale Gasindustrie kam Mitte Dezember im Berliner Hotel Adlon zusammen, um den Einsatz von Flüssiggas als „Brückentechnologie“ zu forcieren. Das Bündnis Ende Gelände rief zum Protest. Die Botschaft: LNG ist klimaschädlicher als Kohle.
21. Dezember 2024
5 Minuten Lesezeit
Text: Lars Freudenberger — Fotos: Philipp Czampiel

Frühmorgens um kurz nach sechs am Bahnhof Friedrichstraße mitten in Berlin. Unweit von hier soll gleich eine angemeldete Demonstration starten: vorbei am Luxushotel Adlon bis zur Deutschlandzentrale von Total Energies, eines der größten Industrieunternehmen der Welt. Dutzende Einsatzfahrzeuge sammeln sich vor dem Ausgang der Bahnhofshalle. Personalien werden aufgenommen, schwarz gekleidete Menschen kontrolliert.

Die Situation ist undurchsichtig, die ganze Szenerie wirkt geladen. Umstehende Polizeikräfte mustern vorbeilaufende Personen genau. Fran gehört zum Presseteam von Ende Gelände und beobachtet das Geschehen. Um Fran herum stehen gut 200 aktivistische Menschen. Einige davon breiten ein großes aufblasbares Transparent aus: „Solidarity not Pipelines“.

„Es gibt einfach zu viele Ungerechtigkeiten auf der Welt“, umreißt Fran die Motivation für den Protest. „Viele Menschen haben nichts, sie werden ausgebeutet und leben in den prekärsten Verhältnissen – dagegen müssen wir kämpfen und uns organisieren.“ Gerade mit Blick auf die Klimakrise sei es besonders notwendig, mit Protesten füreinander einzustehen.

Die Aktionen von Ende Gelände polarisieren immer wieder in der Berichterstattung. Fran ist als Presseperson deshalb auch in einer vermittelnden Rolle. Heißt: protestieren ja, aber auch erklären. Kommunikation sei extrem wichtig, um nicht nur Demonstrationen oder Blockaden zu sehen, sondern auch auf konkrete Forderungen einzugehen: Energieverbrauch deutlich senken, 100 Prozent erneuerbare Energien bis 2025, beschleunigter Ausstieg aus fossilen Energieträgern, Vergesellschaftung von Wohnraum, Baustopp für Tierindustrieanlagen.

Während sich der Demopulk formiert, laufen wenige Kilometer entfernt die Vorbereitungen für den zweiten Programmtag des Gasgipfels im Luxushotel Adlon. Über vier Tage sprechen die führenden Unternehmen der Branche über den Einsatz von Flüssiggas, kurz LNG. Laut eigenen Angaben 50 Teilnehmende aus 50 Ländern und zu Ticketpreisen ab 4 000 Euro. Dass Stefan Wenzel, parlamentarischer Staatssekretär im (noch) grün geführten Wirtschafts- und Klimaschutzministerium, die Konferenz eröffnet, nennt Fran eine perfide Inszenierung. Wenzel rechtfertigt den deutschen LNG-Ausbau damit, die „Abhängigkeit von Russland zu verhindern“.

„Die Lobbyverbände und die beteiligten Konzerne wie RWE, ExxonMobil, BP oder Shell haben kein Interesse daran, unsere Wohnungen zu heizen oder eine ausreichende Stromversorgung für alle zu gewährleisten. Die sind nur an ihren eigenen Profiten interessiert. Deshalb wollen sie Deals abschließen, um die fossile Infrastruktur noch weiter auszubauen“, meint Fran.

Die Mär vom sauberen Gas

Im Aufruf zu den Protesten erklärte das Bündnis, die Konzerne würden „Desinformation und Lobbyimus“ nutzen, um Erdgas als „Brückentechnologie“ zu nachhaltigen Energiequellen zu vermarkten. Durch den langen, emissionsreichen Förder- und Transportprozess wäre das LNG noch schädlicher als die „dreckige Kohlekraft“. Zu diesem Schluss kam auch der Methan-Forscher Robert W. Howarth von der Cornall University in einer 2023 veröffentlichten Studie, die für reichlich Debatten sorgte: „Absolute Treibhausgasemissionen von LNG sind im schlimmsten Fall 274 Prozent höher als die von Kohle.“

Der Einsatz von Gas wird deshalb oft als Greenwashing kritisiert. Besonders schädlich: die Gaserzeugung durch Fracking. Fran erzählt, dass LNG, das Deutschland importiert, zu großen Teilen aus solchen Quellen entstammt. „In den betroffenen Gebieten wird das Grundwasser kontaminiert. Die Menschen leiden dort stark unter den Folgen.“ 

Trotz allem fand noch am selben Abend im Hotel Adlon die Verleihung der „World LNG Awards“ statt. Eine Auszeichnung, mit der sich die Global Player der Gasbranche gegenseitig für ihren Einsatz für die fossile Energiegewinnung feiern.

So etwas wie Partystimmung macht sich indes auch auf der Demonstration breit. Bunte Hüte und Einhornmasken vervollständigen an diesem Morgen das Bild. Hier wollen sie ihre eigene Party feiern, nur ohne „Champagner-Lobby und Hinterzimmer-Deals“. Und so füllt sich der Platz vor dem Bahnhof Friedrichstraße allmählich. Die aktivistischen Menschen stellen sich in einen Block. Die vorderste Reihe hält ein Banner mit der Aufschrift „Sauberes Gas ist eine dreckige Lüge“. Die Polizeikräfte wirken angespannt, als sich der Demozug in Bewegung setzt. 

„Es tut gut, zu sehen, wie viele Menschen sich diesem Gasgipfel entgegenstellen. Trotzdem weiß ich, dass viele befreundete Menschen gerade in Aktion sind, dass viele Menschen dort drinstehen, um die ich auch Angst habe“, bemerkt Fran. Die Situation auf Protesten ist selten vorhersehbar. Doch die Maßnahmen seien notwendig, um der Klimakrise zu begegnen.

Proteste und Repressionen

Auch Fran habe oft Angst vor staatlicher Repression. Denn der Staat gehe hart vor gegen all jene, die für Klimagerechtigkeit einstehen. 2022 wurde beispielsweise eine Aktivistin von Ende Gelände zu einer Geldstrafe verurteilt, in Bayern tritt ein 69-jähriger Mann eine mehrmonatige Haftstrafe wegen der Teilnahme an Protestaktionen der „Letzten Generation“ an. Zudem stuft der Verfassungsschutz Ende Gelände als linksextremistischen Verdachtsfall ein. „Trotzdem weiß ich, dass wir gute Strategien haben, um uns zu unterstützen und zueinander zu stehen.“ 

Die Demonstration hält derweil in der Nähe des Adlon-Hotels für eine Kundgebung. Die Menge bejubelt die Größe des Protests, Menschen aus mehreren Ländern halten Reden. Etwa 250 haben sich versammelt und ziehen schließlich weiter, bis die Polizei die Straße sperrt. Die Einsatzkräfte drängen die Teilnehmenden zurück – wenig später wird von Übergriffen auf die Polizei die Rede sein. Die Demo wird daraufhin durch die Behörden vorzeitig beendet – die Menge ist aufgefordert, sich in Richtung Friedrichstraße aufzulösen.

Fran gibt Interviews, spricht von der Notwendigkeit verschiedener Protestformen, verteidigt zivilen Ungehorsam und übersetzt die Durchsagen der Polizei für eine aktivistische Gruppe aus den USA. Zeitgleich werden die Demonstrierenden auf den Gehweg am Pariser Platz rund um das Brandenburger Tor gedrängt. Mindestens 120 Menschen werden festgenommen.

Das Bündnis ist damit längst vertraut, die Polizei ist so gut wie bei allen Aktionen dabei. Fran ist dennoch zuversichtlich: „Unser Protest versucht auch, die Menschen sichtbar zu machen, die sonst kaum gehört werden. Auch das möchten wir zeigen. Es ist super, anzukommen und zu wissen, dass wir einfach auf allen Seiten des Adlons sind und das Hotel umstellen. Wir sind laut und zeigen, dass diese Deals da drin uns allen schaden.“

Farbe an der Hotelfassade

Nur wenige hundert Meter weiter steht eine zweite Ansammlung von Ende Gelände. Auch hier hat die Polizei Demonstrierende umstellt und den Protest auch unter Einsatz von Pfefferspray gestoppt. Immer mehr behelmte Kräfte eilen hinzu. Vereinzelt wird versucht, Verdächtige mit Videokameras zu identifizieren. Pyrotechnik wird gezündet.

Das Bündnis hatte im Vorfeld breit mobilisiert. „Für uns ist es wichtig, bundesweit aufgestellt und vernetzt zu sein“, erklärt Fran. Deshalb sind auch Personen von Extinction Rebellion und der „Letzten Generation“ vor Ort präsent. Letztere Gruppe hatten einen Teil der Fassade des Adlons mit leuchtend grüner Farbe markiert, die nur wenig später von einer Putzkolonne mit Hochdruckreiniger versucht wurde zu entfernen. „Unser Protest hat sichtbar gemacht, dass wir genau hinschauen, wenn unsere Zukunft hier an die Gaslobby verkauft wird“, verdeutlicht Lina Johnsen, Sprecherin der „Letzten Generation“.

Auf der Rückseite des Hotels haben sich inzwischen weitere Protestierende der Bewegung gesammelt, um die Eingänze zu blockieren. Mithilfe eines LKW wurde zudem die Zufahrt zur Tiefgarage versperrt. Eine Aktivistin hat ihre Hand an den Reifen eines Polizeiwagens geklebt. Sie wird schließlich vom Sanitätsdient samt Felge abtransportiert. Ihr ganzer Körper zittert, das Gesicht ist schmerzverzerrt. Anderen Blockierenden werden Handschellen angelegt.

Seit Jahren schon kritisieren Greenpeace, die Deutsche Umwelthilfe oder Fridays for Future den LNG-Ausbau. Die Radikalisierung der Aktionen der Klimabewegung jedoch führte zuletzt immer wieder zu Streit und öffentlichen Diskussionen. Fran versucht sich an einer Erklärung: „Unser Wirtschaftssystem beruht darauf, immer mehr Wachstum zu generieren. Das ist mit Klimagerechtigkeit einfach nicht zu vereinen. Wir leben hier in großem Wohlstand. Trotzdem können sich zu viele Menschen die grundlegendsten Dinge nur noch sehr schwer leisten.“

Um darauf aufmerksam zu machen, sei das Bündnis Ende Gelände dazu übergegangen, kleinere, unberechenbarere Aktionen zu planen. „Für die Zukunft bedeutet das, dass wir noch stärker dort präsent sein werden, wo der fossile Kapitalismus sich am drastischsten zeigt – auch wenn es die Polizei uns extrem schwer macht, unseren Protest friedlich auf die Straße zu tragen.“ Doch sie wollen es weiter tun. „Proteste im Tagebau, im Hafen bei den LNG-Tankern oder vor einem Hotel mitten in Berlin. Wir können nicht mehr warten und müssen handeln.“

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