Text: Anne Brockmann — Foto: Martin Lamberty
Ein Schild, gerade mal so groß wie ein Blatt Schreibpapier, hat in den letzten Jahren für Furore gesorgt. Schnörkellos prangt in dicken Lettern eine unmissverständliche Botschaft darauf: „Kein Platz für Rassismus und Gewalt.“ Hunderte davon hängen an kleinen und großen Fußballplätzen überall im Land: Vereinsheime, Tribünen, Stadiongaststätten. Jedes einzelne – aus Industrieabfällen gefertigt, eingetütet und verschickt – ist durch die Hände von Jo Ecker gegangen. Er ist der Mann hinter den „Vier Schrauben für Zivilcourage“, wie die Aktion offiziell heißt, und Gründer der Dürener Initiative „Fußballvereine gegen Rechts“.
Mit dem Fußball ist Ecker verbunden, seit er ein kleiner Junge war. „Mit fünf Jahren war mein Platz im Tor“, erinnert er sich. „Ich war nicht besonders groß und eher rund. Und damals war klar: Die kleinen Dicken gehen zwischen die Pfosten. Das war okay für mich. Ich habe mich wohlgefühlt mit dieser Aufgabe“, sagt er geradeheraus. Doch mit zunehmendem Alter hat Jo Ecker den Fußball aus immer neuen Positionen kennengelernt, begleitet, gefördert, gelenkt.
Er war nicht nur Spieler, sondern auch Trainer, Schiedsrichter, Jugendleiter, Vorstand. Das Ereignis, von dem Ecker heute sagt, es sei die Initialzündung für sein Engagement gegen Rechts gewesen, fiel in seine Zeit als Trainer beim FC Düren-Niederau 08, einem kleinen Verein am Rande der Eifel – irgendwo zwischen Aachen und Köln. Ecker coachte damals Jungen zwischen zwölf und 14 Jahren. Und viele von ihnen hatten Migrationsgeschichte.
An einem Spieltag im Juni 2001 lief die Partie der C-Junioren erst seit 15 Minuten und die Mannschaft von Coach Ecker führte bereits 7:0. Da brach auf der Tribüne der Hass los. „Die haben Sachen geschrien wie: ,Ihr dreckigen Ausländer, wir vergasen euch’“, erzählt Ecker.
Die, das waren junge Männer, die Ecker zwischen 16 und 20 Jahren alt schätzt. Ein Dutzend ungefähr. Sie trugen Springerstiefeln, auch einschlägige rechtsextreme Markenkleidung und hatten Knüppel bei sich. „Meine Jungs und ihre Eltern hatten Angst und waren erschrocken. Ich habe den Schiedsrichter gebeten, das Spiel abzubrechen, aber er meinte nur, da gäbe es keine Regel dafür. Also habe ich das Spiel meinerseits für beendet erklärt und dafür im Nachhinein drei Monate Ausübungsverbot als Trainer kassiert.“
Nach diesem Vorfall steckten er und seine Jungs die Köpfe zusammen und überlegten, wie sie Rechtsextremismus in ihrem Sport begegnen können. „Wir wollten mit einem Banner in die kommenden Spiele gehen. ,Kein Platz für Rassismus und Gewalt‘, das war von da an unsere Botschaft. Die Kids haben das Ganze selbst entworfen, ein befreundeter Grafiker hat es umgesetzt“, erinnert sich Ecker. Jenes Banner war der Vorläufer des Schildes, das Ecker heute an Wochenenden auf der heimischen Terrasse beklebt, während er die Bundesliga im Radio verfolgt. Früher hat er sie kaufen und selbst zuschneiden müssen. Heute liefern ihm gleich mehrere Firmen die Rohlinge nach Maß frei Haus.
Er klebt die Folien auf die DIN A4 großen Aluminiumtafeln und packt sie in Briefumschläge. Dass Jo Ecker mittlerweile deutlich mehr Unterstützung erfährt, beispielsweise in Form von Materialspenden, führt er auf Ehrungen zurück, die ihm für seinen Einsatz verliehen wurden: 2008 der Julius-Hirsch-Preis, 2021 das Bundesverdienstkreuz am Bande. Doch so wirklich nachvollziehen kann er das nicht. „Warum bekomme ich Preise für etwas, das eigentlich selbstverständlich ist?“, fragt er schulterzuckend. Entgegengenommen hat er sie trotzdem, bringen sie seiner Initiative doch Reichweite. Und darum geht es Ecker letzten Endes. Dass auch im noch so kleinsten und entlegensten Fußballverein in Deutschland ankommt, dass fairer Sport mit Rassismus und Gewalt nicht vereinbar ist.
Anstoß zur Diskussion
Mehr als 1 600 Schilder hat Jo Ecker inzwischen angefertigt und verschickt. Auf seiner Website gibt es einen Infoticker, der von jedem neuen Schild und dem Verein, der sich dafür entschieden hat, erzählt. „Eine Mail an mich genügt, dann geht es kostenlos auf die Reise. Die Vereine haben für sowas kein Geld. Für einen Trainer mit einem fürstlichen Monatsgehalt schon, auch im Amateurbereich, aber für eine Plakette gegen Rechtsextremismus nicht“, moniert Ecker. Die Sache mit dem Schild jedoch findet auch er eigentlich ziemlich seltsam. „Wenn ich jemandem sage, er soll seine dummen Sprüche stecken lassen, kommt das fast nie an. Aber so ein Schild, das wirkt irgendwie“, fasst Ecker seine Verwunderung zusammen.
Die Vereine meldeten ihm zurück, dass sie mit den Schildern etwas Handfestes bekommen würden. „Sie sagen mir, darauf könnten sie sich beziehen. Sie könnten sagen, da steht’s. Das würde ihnen helfen“, berichtet Ecker und vermutet, dass es so manchen Stadionverweis, von dem er weiß, ohne sein Schild nicht so einfach gegeben hätte. Oft, so hat es Jo Ecker beobachtet, seien die Schilder auch ein Gesprächsöffner. „Was ist das? Was hat es damit auf sich? Brauchen wir das? Haben wir ein Problem mit Rassismus?“ Solche Fragen würden die Schilder anstoßen. „Das schafft Bewusstsein“, weiß Ecker, „und damit fängt es an.“
Die Reichweite, die ihm seine „Vier Schrauben für Zivilcourage“ gebracht haben, nutzt Ecker längst auch für andere Aktionen. Wenn er sagt, Nazis dürften keinen Boden mehr unter die Füße bekommen, meint er das wörtlich. „Ich habe immer wieder getarnte Veranstaltungen von rechtsextremen Gruppierungen entlarvt und dann zum Beispiel mit den Wirten, die ihre Lokalität an diese Menschen vermietet hatten, aktiv das Gespräch gesucht, sie aufgeklärt und gesagt, worauf sie bei der nächsten Anfrage achten könnten“, erzählt Ecker.
Wenn Jo Ecker bemerkt, dass jemand sehenden Auges rechtsextreme Zusammenkünfte unterstützt, droht er auch schon mal mit der Presse. „In der Zeitung lesen, dass er sein Lokal wohlwissend an Nazis vermietet, das möchte natürlich niemand“, bemerkt Ecker. Aber nicht immer ist sein Engagement nur ein Kampf. Manchmal, da läuft es einfach. Wie neulich, als er einer Geflüchtetenunterkunft 400 neue Paar Fußballschuhe vorbeibringen und schenken konnte. Unterstützt haben Ecker einige Döner-Imbisse aus dem gesamten Kreis Düren. Der Jo, wie Joachim Ecker dort nur heißt, ist längst bekannt.
Morddrohung per Mail
Ohne Gegenwehr bleibt Eckers Einsatz allerdings nicht. Je stärker er mit seinem Anliegen in die Öffentlichkeit getreten ist, desto heftiger fielen auch die Reaktionen der Neonazis aus. Vereine, die sich der Initiative angeschlossen hatten, fanden am Spieltag Scherbenhaufen in ihren Toren oder ein mehr als 60 Quadratmeter großes Hakenkreuz im Rasen, das dort über Nacht hineingegraben worden war. Im Visier der Rechten stand aber vor allem Ecker selbst. „Es hat nicht lange gedauert, da hatte ich ein Hakenkreuz an meinem Garagentor, genauso Morddrohungen in meinem E-Mail-Postfach“, erzählt er. Ecker hat sich damit an die Polizei gewandt und Anzeige erstattet. Nach sechs Wochen sei das Verfahren eingestellt worden.
„Ich habe mich im Stich gelassen gefühlt. Es gab niemanden, der mich geschützt hat“, sagt er. In echter Sorge habe er einen führenden Politiker aus Düren erlebt. Der habe ihn gefragt, was er denn tun solle, wenn wirklich einmal was passiert. Ecker versucht wenig über Risiken nachzudenken. „Sonst könnte ich das alles ja gar nicht machen.“
Inzwischen ist der 67-jährige Rentner, aber früher, da hat er sich als Betriebsrat in einem mittelständischen Unternehmen für die Rechte der Mitarbeitenden eingesetzt. In Erinnerung geblieben ist ihm, wie er schweißgebadet und zitternd in Betriebsversammlungen gegangen ist, um vor der versammelten Belegschaft und der Unternehmensführung zu sprechen. „Rhetorisch bin ich nicht so top. Das ist so. Das weiß ich. Das hat mir Angst gemacht. Aber weil es mir um die Sache ging, konnte ich mich trotzdem verständlich machen und hatte Erfolg. Diese Erfahrung habe ich mitgenommen und sie hilft mir heute enorm“, sagt Ecker.
Privat, da hat er auch Einiges aushalten und durchfechten müssen. Seine erste Ehefrau ist an einem Tumor im Kopf verstorben. Eine damals noch unbekannte Krebsart, mit der kaum jemand Erfahrung hatte. Ecker wollte, dass seine Frau vom besten Arzt operiert wird, den er finden konnte. An den aber war „als gewöhnlicher Mann“ kein Rankommen. „Also habe ich seine Sekretärin angerufen und mich als Professor Doktor Ecker vorgestellt, der seinen Freund und Studienkollegen sprechen möchte. Das hat geklappt. Ich wurde durchgestellt, habe unsere Geschichte erzählt und der Mann hat meine Frau operiert“, erzählt Ecker.
Noch heute stünde er gelegentlich mit dem Arzt in Kontakt und in ähnlichen Fällen wie dem seiner Frau könnte das medizinische Personal inzwischen besser helfen. Übers Internet hat Jo Ecker später eine neue Liebe gefunden. Anfangs ist er regelmäßig zu ihr nach Erfurt gependelt, inzwischen lebt das Paar zusammen in Düren. Arbeit und Beziehung haben Ecker häufig in den Osten Deutschlands geführt. Und er hat sich intensiv mit den Menschen vor Ort ausgetauscht – auch mit denen, die AfD wählen. Für Jo Ecker ist das kein Widerspruch. „Klare Kante da, wo es nötig ist, und Zeit, ein offenes Ohr und Unvoreingenommenheit dort, wo echter Austausch möglich ist.“ Das sei seine Devise. Sein Vater, erzählt er, sei bei der NSDAP gewesen. Auch deshalb habe Ecker mit ihm gebrochen.
Ungebrochen dagegen scheinen Tatendrang und Ideen. Eckers Schilder gibt es nicht nur in deutscher Sprache, sondern auch auf Französisch, Spanisch, Englisch, Niederländisch und Türkisch. Wenn es nach ihm geht, folgen bald weitere. Bis dahin schickt Ecker einem kleinen Verein im Osten schon das sechste Schild. „Bei denen wird das Schild ständig geklaut oder beschmiert“, erklärt Ecker. „Aber mir macht das nichts“, sagt er gelassen, „denn es bedeutet ja auch, unsere Botschaft wird wahrgenommen – wieder und wieder. Du brauchst halt einen langen Atem.“ Und viele Schilder natürlich. Aber die hat Jo Ecker sowieso.
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