Kleine Schritte — Mandy Vater

Wenn Gegenrede ausbleibt, verschieben sich die Grenzen des Sagbaren. Immer weiter nach rechts. Auf dem Land in Sachsen-Anhalt macht sich Mandy Vater dafür stark, dass Rassismus nicht länger unkommentiert bleibt.
2. November 2023
5 Minuten Lesezeit
Text: Melanie Skurt — Foto: Basti Winterscheid

Wenn Mandy Vater erzählt, wie es ist, sich mitten in Sachsen-Anhalt gegen Rassismus zu stellen, dann kommt ihr ein Wort öfters über die Lippen: „zäh“. Es erfordere Ausdauer, „aber mit der Zeit habe ich meine Erwartungen diesem Tempo angepasst“, sagt sie lächelnd. Mit Workshops und Gesprächsformaten will sie in der kleinen Gemeinde Teutschenthal – 15 Kilometer entfernt von Halle (Saale) – Jugendliche dazu bewegen, sich mit Rassismus auseinanderzusetzen. Und manchmal werde dieses Ziel zur Geduldsprobe, sagt sie.

Was eigentlich nach einem klassischen Bildungsauftrag für die Schule klingt, muss Mandy Vaters Erfahrung nach sehr kleinteilig im Zwiegespräch erarbeitet werden. Häufig sei gar kein Bewusstsein für das Thema vorhanden. Oder kein Schutzraum, um Fragen zu stellen. „Es ist so: Rassismus ist hier ein Riesenkomplex, obwohl es gar keine Berührungspunkte mit anderen Lebensrealitäten gibt. Es gibt hier kaum migrantische Präsenz oder geflüchtete Menschen. Das heißt, Vorurteile werden zum einen medial geschürt zum Beispiel durch Falschmeldungen in den sozialen Netzwerken oder Chatgruppen. Zum anderen vererben sich gefährliche Einstellungen auch familiär, ohne dass das reflektiert wird.“ 

Das Ergebnis sei ein guter Nährboden für rechtsextremistische und menschenfeindliche Ideologien, die verfangen, weil sie die Welt auf einfache Erzählungen reduzieren. Nicht immer zeige sich das so vordergründig wie in Wahlzeiten, wenn vor allem NPD-Plakate – neuerdings „Die Heimat“ – die Straßen säumen. Wesentlich tiefer grabe sich rassistisches, diskriminierendes Gedankengut beiläufig in Gespräche – mit Verwandten, Bekannten oder auch Menschen, die das gleiche Ehrenamt teilen. Das zeigt ein Vorfall aus dem vergangenen Jahr, der die Gemeinde Teutschenthal in die Schlagzeilen brachte.

Getitelt wurde damals: „Rechtsextremismus-Vorwürfe gegen Freiwillige Feuerwehr“ und „Löschtruppe unter Neonazi-Verdacht“. Im Raum standen etwa Hasskommentare und Hitlergrüße, der Feuerwehr-Chef wurde schließlich suspendiert. Anders als in diesem Fall bleibt Widerspruch gegen solche Normalisierungen in dörflichen Strukturen nicht selten aus. Es kann ein Risiko bedeuten, sich offen zu positionieren. Mandy Vater und Gleichgesinnte tun es trotzdem. Im Stillen und ohne viel Aufhebens um ihre Sache zu machen. 

Probleme in Ostdeutschland

Als eine von drei Menschen im Vorstand bringt sich Mandy Vater im Verein NANGADEF ein. Ihre Rolle beschreibt sie ganz generell als „Beantragen und Verwalten“ – ganz gleich, ob es um Afghanistan-Projekte geht, die sie gemeinsam mit Aktivistin Nahid Shahalimi realisiert, oder Beteiligungs- und Bildungsangebote für junge Menschen im ländlichen Raum. Ziel der Teutschenthaler Initiative ist es, für Rassismus zu sensibilisieren und Heranwachsende zum Austausch zusammenzubringen. Wie in etlichen ostdeutschen Regionen wurden auch hier viele Orte eingemeindet. So besteht der Saalekreis heute aus sieben, „irgendwie zerfaserten Gebieten“, beschreibt Mandy Vater. Und nur eins davon beschreibt sie als belebt und mit einer guten Infrastruktur und Einkaufsläden versehen.

„In einem Großteil der Ortschaften fühlen sich die Menschen abgehängt und grundsätzlich vernachlässigt“, meint Mandy. So entstehe ein Klima, in dem rassistische Äußerungen nicht weiter auffallen. Schnell hieße es dann, Menschen würden nach Deutschland migrieren und nutznießen, während andere hart arbeiten müssten. „Diese Erzählungen sind anschlussfähig und bedienen Emotionen“, erklärt Vater. Die letzte Mitte Studie hat ergeben, dass in diesem Punkt gerade die Jugend in Ostdeutschland empfänglich ist: „Rechtsextreme Einstellungen scheinen bei Jüngeren im Westen anhaltend rückläufig und sehr selten zu sein, tendenziell zunehmend und häufiger jedoch bei Jüngeren im Osten.“ 

Auch mit Blick auf den Erfolg der AfD bei jungen Menschen zeichne das ein düsteres Bild – schließlich sind genau sie es, die diese Demokratie einmal gestalten sollen. In einem Umfeld, das kaum Alternativen für Heranwachsende bietet, sei es ungleich schwerer, eine Immunität gegen rechtes Gedankengut zu entwickeln. „Es ist nicht übertrieben, wenn ich sage, dass es hier für junge Menschen nichts gibt. Sie haben weder einen Jugendclub noch irgendeinen anderen Raum, wo sie hingehen können. Sie hocken also auf einer Mauer im Wohngebiet, wo sich alle Anwohnenden aufregen, dass sie zu laut sind.“ Und so entstehe wieder Frust. 

Mit Fördermitteln ist es dem Verein 2022 gelungen, dem etwas entgegenzusetzen. Eine Sport- und Freitzeitanlage wurde gebaut – mit Basketballplatz, Sitzmöglichkeiten, einem kleinen Fußballfeld und Tischtennisplatten. Diese Aktion habe ihren Fokus damals auf Kinder und Jugendliche zentriert, meint Vater. In einem Jugendforum wurden Themen erarbeitet, die Heranwachsende in Teutschenthal beschäftigen. Diskriminierung stand dabei neben Mobbing als Top-Thema auf der Liste. Für Vater und ihre Mitstreiterin Julia Becher war das der entscheidende Impuls. Seit dem Frühjahr 2022 arbeitet das Duo daran, Jugendlichen zu vermitteln: „Ihr könnt mitgestalten, ihr habt Einfluss auf eurer Umfeld, also werdet aktiv.“ 

Zuhören und widersprechen

Eine Sache aber mussten die Frauen dabei lernen: Es braucht sehr niedrigschwellige Angebote, um Jugendliche zu erreichen. In der Praxis bedeutet das, viele Stunden auf der grünen Wiese zusammensitzen und offene Fragen stellen. „Habt ihr eine Vorstellung, was Diskriminierung ist? Wo ist euch Rassismus schon begegnet? Habt ihr Szenen erlebt, die davon erzählen?“ So fasst Mandy Vater die erste Annäherung zusammen. Diese Interviews brächten bei vielen einen Stein ins Rollen. Mit der Zeit stellten Jugendliche fest: In ganz alltäglichen Situationen spiegeln sich herabsetzende Sprache und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit: zuhause am Esstisch, in der Pause auf dem Schulhof, im Verein.

„Wenn dann eine Person anfängt zu erzählen, ist das wie eine Kettenreaktion und allen anderen fallen auch Dinge ein.“ Diese Aha-Effekte sollen nun in konkrete Praxis überführt werden. In Kleinprojekte, die für ein diskriminierungssensibles Miteinander werben und ein Zeichen gegen Rassismus setzen. Leicht ist das nicht. Der Einsatz läuft schleppend, meint Mandy Vater. Teils mangele es den Beteiligten an Vorstellungskraft, was alles möglich wäre: ein Flashmob, ein Recherche-Projekt, eine Kunst-Aktion. Teils befürchteten Jugendliche auch, sich angreifbar zu machen, wenn sie sich öffentlich zeigen.

„Es ist ein schwieriges Umfeld, in dem wir versuchen, Menschen einander näher zu bringen und für etwas einzutreten. Da braucht es viel Ermutigung, um Gesicht zu zeigen.“ Circa 25 Heranwachsende haben sich bislang in den unterschiedlichen Ortsteilen Teutschenthals an den Dialogen beteiligt. Jetzt sollen die Ergebnisse in Ideenwerkstätten weiterverfolgt werden. „Es gibt bereits den Ansatz ein antirassistisches Fußballturnier zu veranstalten, an dem alle partizipieren können und bei dem alle Ortschaften zusammenkommen.“ 

Neben der Planung dieser Aktion investiert Mandy Vater zudem Zeit in die Gewinnung neuer Jugendlicher. Oft laufe das über Mund-zu-Mund-Werbung. Direkte Aufrufe an Schulen aber vermeidet sie, um nicht zu viel Aufmerksamkeit zu erzeugen. Ihre Aufgabe sieht Vater darin, Jugendliche im öffentlichen Raum zusammenzubringen. Um ihre Perspektiven zu erweitern, zu diskutieren und gegebenenfalls auch Meinungsverschiedenheiten auszuhalten. Denn das sei eine Erfahrung, die Heranwachsende immer wieder machen müssten, meint Vater: der direkte Kontakt, das Gespräch von Auge zu Auge bleibt oft aus. Das liegt an Erfahrungen aus der Corona-Pandemie, aber auch am isolierteren Dasein in sozialen Netzwerken. „Ich glaube, dass ist ein Grund, warum es jungen Menschen manchmal so schwerfällt, direkt zu sprechen. Und darum mache ich das: Wir dürfen nicht verlernen jemanden anzusehen, uns mitzuteilen, zuzuhören und gegebenenfalls auch zu widersprechen.“

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