Text: Susanne Kailitz — Fotos: Benjamin Jenak
Es gibt Momente, in denen fragt sich Doro Schneider, warum sie sich das eigentlich alles antut. Es ist ja nicht so, dass die 34-Jährige über viel Langeweile klagen könnte: Mit vier Kindern, davon zwei Teenager, wäre ihr Tag schon gut ausgefüllt. Und doch investiert Schneider Zeit in ein Ehrenamt. Viel Zeit, seit gut 18 Jahren inzwischen. „Meine Tochter hat mich auch schon gefragt, warum ich mir diesen Stress eigentlich gebe.“ Ihre Antwort: „Ich möchte, dass meine Kinder in einer ordentlichen Welt leben. Und ich will meinen Teil dazu beitragen. Ich bin überzeugt davon, dass wir alle einen kleinen Fußabdruck hinterlassen können mit unserer Art zu leben.“
Ihren Fußabdruck hinterlässt Doro Schneider in einer Region, die nicht zwangsläufig bekannt ist für positive Beispiele des menschlichen Zusammenlebens. Wenn Medien über das ostsächsische Zittau, im Landkreis Görlitz gelegen, berichten, dann liegen die Superlative meistens eher im Negativen. Hier ist die Bevölkerung besonders alt, die Arbeitslosigkeit besonders hoch, das Einkommen besonders niedrig, die Wahlergebnisse besonders rechts.
Hier im Dreiländereck, im Grenzgebiet zu Polen und Tschechien stehen offene Grenzen für viele nicht für Freiheit, sondern für Kriminalität, Drogenhandel und Diebesbanden.
Kaum Widerspruch in der Schule
Kein leichtes Pflaster für Menschen, die sich für demokratische Werte einsetzen. Doro Schneider hält es dennoch für alternativlos. Es ärgert sie, dass die Lehrerin ihres Sohnes die rechtsextremen Sprüche Heranwachsender schulterzuckend hinnehme. „Wenn mein Kind in einer Diskussion über Geflüchtete das einzige ist, das schonmal etwas darüber gehört hat, wie die Seenotrettung funktioniert, dann bin ich zwar ein Stück weit stolz, dass er sich interessiert und argumentiert. Aber gleichzeitig bin ich entsetzt darüber, wie einseitig über solche Themen an unserer Schule gesprochen werden kann und was viele Kinder offenbar zuhause aufschnappen.“
Irritiert war Schneider von ihrer neuen Heimat immer wieder. Das habe schon begonnen, als sie vor gut 18 Jahren zur Ausbildung nach Zittau kam, erinnert sie sich. „Ich bin aus Dresden zur Ausbildung nach Zittau gegangen, weil meine Eltern mich lieber in einer Kleinstadt gesehen haben.“ Während sie in Sachens Landeshauptstadt bis dahin „nie wirklich so klassische Neonazis in Springerstiefeln und Bomberjacke“ gesehen habe, änderte sich das in Zittau. „Die liefen dort wirklich so rum.“
Die Neunziger in Ostdeutschland
Anders als von ihren Eltern erhofft, erwies Zittau sich für Schneider nicht als einfaches Pflaster. „Ich bin hier, um das mal ganz drastisch zu sagen, ziemlich auf die Schnauze geflogen.“ Als junges Mädchen mit bunten Haaren und bunter Kleidung sei sie in der Kleinstadt ziemlich aufgefallen, erinnert sie sich.
Blöde Sprüche, Beleidigungen und Pöbeleien hätten damals zu ihrem Alltag gehört – und sogar Drohungen habe es gegeben. Was seit einigen Wochen unter dem Hashtag Baseballschlägerjahre auf Twitter über das Aufwachsen in Ostdeutschland berichtet wird: Schneider kennt das alles aus eigener Erfahrung.
Wie sich die späten neunziger Jahre für Menschen wie Doro Schneider in Zittau angefühlt haben müssen, das beschreibt die frühere Journalistin und Kulturmanagerin Juliane Wünsche auf ihrem Blog „Hungerherz“.
Dort schildert sie, wie pöbelnde Neonazis aus Dresden und Hoyerswerda 1999 die Feier eines schwul-lesbischen Vereins angriffen, der hauptsächlich von linken Jugendlichen besucht wurde – und wie den Opfern später vom Bürgermeister der Stadt unterstellt wurde, sie hätten die Angriffe wohl provoziert. Wünsche schildert zahlreiche Übergriffe, bei denen sie auch körperlich angegangen wurde – und schloss sich als Reaktion der frisch gegründeten Initiative „Augen auf – Zivilcourage zeigen“ an.
Kicken, Kunst und Konzerttouren
Auf genau die wurde nur wenig später auch Doro Schneider gebracht, als sie sich gemeinsam mit einer Freundin hilfesuchend an einen Lehrer wandte und der ihr empfahl, sich den Verein einmal genauer anzuschauen. „Und das war dann mein erstes Projekt beim Verein. ‚Augen auf‘ hatte eine Ausstellung über Anne Frank nach Zittau geholt und dafür Jugendliche ausgebildet, die interessierten Menschen das alles zeigen sollten. Und wir sind als Schülerinnen dazugestoßen.“
Schneider blieb hängen bei „Augen auf“ – bis heute. Erst als einfaches Mitglied, später als Angehörige des Vorstands und dessen Vorsitzende. Momentan ist sie in Elternzeit, danach würde sie aber gern wieder hauptberuflich Demokratiebildung bei „Augen auf“ betreiben. Zu tun ist viel: Seit Jahren organisiert der Verein regelmäßig Fußballturniere und Kulturveranstaltungen, führt Workshops an Schulen durch und hilft Willkommensbündnissen in der Region bei der Verbesserung ihrer Integrationsarbeit.
An Schulen arbeiten die Engagierten mit Lehrkräften, Jugendlichen und Eltern. „Augen auf“ hat auch Konzerttouren durch Jugendclubs in Deutschland, Tschechien und Polen veranstaltet, zu Plakatwettbewerben aufgerufen und Ausstellungen realisiert.
Einsatz und persönliche Grenzen
Bei allem, was „Augen auf“ anbiete, gehe es darum, Inhalte und Themen mit dem zu verbinden, was insbesondere junge Menschen interessiere: Sport, Kunst oder Musik. „Wir erreichen Jugendliche nicht, indem wir Abgeordnete auf ein Podium setzen und sie ihren Text abspulen lassen“, sagt Schneider. „Junge Leute wollen ungehemmt fragen können, was ihnen durch den Kopf geht. Und die wollen Spaß haben bei solchen Veranstaltungen.“ Das anbieten zu können, sei so etwas wie das Markenzeichen des Vereins, „wir haben einfach ein paar andere Methoden als viele andere“.
Unendlich viele Stunden Arbeit haben Schneider und die anderen Aktiven in diese Form der Demokratiearbeit von unten gesteckt – und dabei immer wieder gegen Widerstände gekämpft. Immer wieder wurden etwa Plakate, die der Verein gemeinsam in Workshops mit Jugendlichen hergestellt hat, abgerissen oder auch zerstört. Die rechtsextreme Szene in Sachsen habe sich über die Jahre verändert, sagt Schneider, aktiv sei sie aber immer gewesen und bleibe es auch. Dass auch ihr Zuhause schon fotografiert wurde, Name und Adresse im Netz auftauchten, erzählt die junge Frau ganz gelassen. Und gibt doch zu: „Ich komme da schon manchmal an meine Grenzen.“
Wenn Parolen niemanden stören
Die Angriffe im Privatleben hätten zugenommen und mit dem Erstarken der AfD sei anti-demokratisches Gedankengut wieder salonfähig geworden. „Die Nazis aus den Kameradschaften von früher sitzen mir heute beim Elternabend gegenüber und lassen auf Dorffesten Parolen raus. Und das Schlimme ist: Es scheint niemanden zu stören.“ Besonders ärgerlich findet Schneider, dass Polizei und Staatsanwaltschaft auf Anzeigen kaum reagierten, die Aktionen also auch keine Konsequenzen hatten. „Und damit geht es nicht allein mir so. So geht das Vertrauen in den Rechtsstaat verloren.“
Auf der anderen Seite stehe die unsichere Finanzierung des Vereins, der wie die meisten anderen Organisationen nie langfristig planen könne, weil Gelder immer nur projektweise und häufig nur für ein Jahr gewährt würden. „Das macht die Planung extrem schwierig. Und wir finden so natürlich auch nur schwer gutes Personal. Wir können als Arbeitgeber ja kaum eine vernünftige Perspektive bieten.“
Engagement fehlt Wahrnehmung
Dass das Förderprogramm „Weltoffenes Sachsen“, von dem „Augen auf“ Gelder bezieht, nach einer Reform Projekte und Initiativen bis zu drei Jahre lang fördert, sei eine echte und vor allem wichtige Verbesserung für die Arbeit, so Schneider.
Und trotzdem: Anstrengend sei zivilgesellschaftliches Engagement in Zittau, manchmal gehe es an die Substanz – und dennoch sei Aufgeben einfach keine Option. Sie könne nicht sagen, dass sich in Sachsen in den letzten Jahren viel positives getan hätte im Kampf gegen Rechtsaußen. „Aber vermutlich würde es ohne die Arbeit der vielen Aktiven inzwischen noch weitaus schlimmer aussehen.“
Das Durchhalten sei auch wichtig für alle Gleichgesinnten: „Es gibt hier wundervolle, bunte, kreative Menschen. Menschen, die den Mut haben, hier was auf die Beine zu stellen.“ Sie würden in den Berichten über das ländliche Ostsachsen viel zu oft vergessen werden. „Aber sie kämpfen täglich für Demokratie und ein Miteinander, egal welcher Herkunft. Sie müssen endlich gesehen werden. Denn nur so behalten sie auch die Kraft weiterzumachen.“
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