Text: Jasper von Römer — Fotos: Max Gödecke
Die Straßenbahnen rauschen im Minutentakt in alle Richtungen der Stadt – erstmal nichts Ungewöhnliches an einem frühen Abend am Hackeschen Markt in Berlin-Mitte. Die Szenerie an der Haltestelle wechselt sekündlich: Menschen kommen hinzu, verweilen kurz und strömen weiter. Inmitten dieses konstanten Trubels kann der Blick fürs Detail schnell verloren gehen.
Gleich nebenan zeigt das Plakat in der grell erleuchtenden Werbevitrine einen uniformierten Polizisten, der eine Menge verpackter Döner in Plastiktüten trägt. Darauf steht in großen Lettern: „Rassismus? Wir mögen doch manche Ausländer.“ Darunter: „110 Prozent Weissbrot“. So selbstironisch zeigen sich deutsche Behörden selten. Hier scheint was nicht zu stimmen.
An dem wuchtigen Glaskasten lehnen zwei Jugendliche: Zigarette in der einen, Paulaner Spezi in der anderen Hand. Schließlich fällt ihnen das Poster auf. Während der eine überzeugt zu sein scheint, dass es sich um eine offizielle Kampagne handelt, ist der andere skeptisch: „Nein, schau doch, da unten steht: ‚Abschiebungen, Rassismus und Gewalt sind dein Ding? Jetzt bewerben!’ Das ist niemals eine normale Polizeiwerbung.“ Als sie entdecken, dass neben dem Logo rechts unten „Pozilei“ statt „Polizei“ steht, fangen beide lauthals an zu lachen.
Das sogenannte Adbusting, also das Umgestalten von öffentlichen Werbeflächen, wird seit einigen Jahren vor allem von linken Gruppen genutzt, um auf gesellschaftliche Missstände hinzuweisen. In der Vergangenheit führten sie insbesondere Werbung für Polizei, Militär oder Großkonzerne ad absurdum. Aber wer sind die Menschen, die Fake-Werbung im öffentlichen Raum platzieren? Und wie gelangen die selbstgestalteten Poster überhaupt in die Vitrinen?
Genau eine Woche vor der beschriebenen Haltestellen-Szene stehen Jerry und Tom vor einer Berliner S-Bahn-Station und halten schwarze Transportrollen in den Händen. Etwa 30 Plakate werden sie damit wenige Tage später durch die Stadt transportieren, um der Berliner Polizei mit überspitzten Botschaften den Spiegel vorzuhalten. Ihre echten Namen wollen sie lieber geheimhalten und auch auf Fotos nicht erkennbar sein. Und trotzdem haben sie eingewilligt, sie an den Ort zu begleiten, an dem sie ihre Aktionen vorbereiten.
Kritik an der Polizeiarbeit
Nach einem kurzen Spaziergang schließt Tom die Eingangstür zu einer Wohnung auf, die sonst offenbar als Büro genutzt wird. In der Mitte des Konferenzraums steht ein riesiger hölzerner Tisch. Die Jalousien vor den großen Fenstern sind heruntergelassen. An einer Wand steht ein kleiner Infostand mit Flyern und Broschüren, die über politische Bildungsprojekte und linke Graswurzelorganisationen berichten. Auf den ersten Blick ähnelt dieser Ort mehr einem links-orientierten Berliner Start-up, als einem geschützten Raum für konspirative Treffen.
Und auch das, was Jerry und Tom die kommenden drei Stunden tun, weicht vom typischen Handwerk einer Adbusting-Gruppe ab: Insgesamt 240 Briefumschläge bestücken sie mit jeweils drei DIN-A4-Blättern. Adressiert sind sie an Berliner Polizeibehörden. Die erste Seite ist ein Anschreiben im „rotzfrechen Stil“, wie Tom mit breitem Grinsen erzählt. Auf den anderen ist der Beschluss der Staatsanwaltschaft zur Straffreiheit von Adbusting und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Illegalität von Hausdurchsuchungen aufgeführt.
Der Inhalt der Briefe dokumentiert die lange Geschichte zwischen staatlichen Behörden und Menschen, die kommerzielle Werbeflächen für politische Botschaften umnutzen. Im Sommer 2023 wurden zwei Personen auf frischer Tat erwischt und verhaftet. Die Betroffenen seien die halbe Nacht eingesperrt worden. „Deshalb haben wir einen ‚Darfschein‘ verfasst. Andere Fälle haben gezeigt, dass es nicht so schlimm und verboten ist, wie die Polizei behauptet“, erklärt Jerry. Oder, wie es in einem Blogbeitrag auf der Website des Adbusting-Kollektivs drastischer ausgedrückt ist: „Anstatt sich etwa mit Neonazis und rassistischen Chatgruppen innerhalb der eigenen Reihen zu beschäftigen, verfolgen sie lieber kritische Plakat-Künstler*innen.“
Angefangen hatte alles mit einem Adbusting-Workshop. Die Mischung aus Handwerk und sichtbarer politischer Positionierung habe Tom begeistert. Kurz darauf, bei einem Bier mit Freund Jerry sei dann schließlich die erste Idee für ein kritisches Werbeposter entstanden. „Das war kurz vor einem Black Friday. Diese krasse Perversion von ‚Hey, ihr müsst richtig viel kaufen, Leute!‘ ist mir da so richtig bewusst geworden“, erinnert sich Jerry.
Die Aktion scheiterte am Ende zwar am Druck der Plakate, der Funke fürs Adbusting aber war längst übergesprungen. Über eine befreundete Aktivistin kommen die beiden wenig später in Kontakt mit der Gruppe „Gegen deutschnationale Polizeigewalt“, die die nötige Infrastruktur stellt und auch das Know-how und Erfahrung mitbringt.
Dass negative Werbemaßnahmen gegen die Polizei legitim sind, stehe außer Frage, sagt Jerry. Teil einer demokratischen Aushandlung müsse es sein, Missstände öffentlich anzuprangern und so diskutierbar zu machen. Eine Demokratie müsse diese Art von Kritik zulassen und auch aushalten. Zumindest in der Vergangenheit gab es jedoch immer wieder Bestrebungen, das Umgestalten von Polizei- und Militärwerbungen zu kriminalisieren. So tauchte Adbusting 2018 erstmals unter „gewaltorientierter Linksextremismus“ im Verfassungsschutzbericht auf.
Gericht rügt Ermittlungen
In der Aufarbeitung von vier Adbusting-Fällen wurde sogar das „Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum“ hinzugezogen, das 2011 eigentlich mit der Idee gegründet wurde, konsequenter gegen Rechtsterrorismus zu ermitteln. Durch eine kleine Anfrage der Fraktion Die Linke im Berliner Abgeordnetenhaus allerdings wurde 2019 öffentlich, dass drei „Dienstkräfte“ des Landeskriminalamtes vier Jahre mit Ermittlungen wegen des Verdachts „des gewerbsmäßigen Diebstahls von Werbeplakaten“ in der Adbusting-Szene befasst waren.
Sämtliche Gerichtsverfahren jedoch wurden eingestellt. Auch das Bundesverfassungsgericht erklärte Hausdurchsuchungen im Rahmen der Ermittlungen des Terrorabwehrzentrums für unangemessen. Der Vorwurf des Diebstahls erwies sich dabei als nicht ausreichender Grund. Mit ihrem Schreiben will die Adbusting-Gruppe Berliner Polizeibehörden nun Rechtsnachhilfe geben. „Danach kann kein Berliner Cop mehr sagen, er oder sie hätte nicht gewusst, dass das Aufhängen selbst mitgebrachter Poster keine Straftat darstellt“, bemerkt Jerry.
Dass ihre Vermittlungsarbeit etwas am behördlichen Umgang mit den Adbusting-Aktionen ändern könnte, daran glauben beide aber nicht. Auch ein Gefühl von Sicherheit habe sich nach der erfolgreichen Verfassungsbeschwerde nicht wirklich eingestellt. Was die drohenden Repressionen auslösen? „Das Ganze bekräftigt mich in dem, was ich tue, aber es gibt mir keine Gewissheit oder Schutz. Ich gehe davon aus, dass viele Cops sehr genau wissen, was sie dürfen, aber sich nicht daran halten. Deren Willkür bin ich dann ausgesetzt“, sagt Tom.
Gleichzeitig verweist Jerry auf all die Menschen, die Tag für Tag von Racial Profiling betroffen sind und immer wieder allein aufgrund von Äußerlichkeiten unter Generalverdacht stehen. „Wir sind zwei Kartoffeln, die relativ unbehelligt durch die Welt laufen können. Da finde ich es sehr vertretbar, sich bewusst dem vergleichsweise kleinen Risiko auszusetzen und die Polizei für ihren Rassismus zu kritisieren.“
Was beiden Halt gebe, sei das Austauschen in der Gruppe. Auch eine gute Vorbereitung könne helfen, sich sicher zu fühlen. Deshalb kundschaften sie geplante Aktionsorte vorher aus. Für Jerry sei es zudem besonders wichtig, sich im Klaren darüber zu sein, dass immer auch etwas schiefgehen könne. „Wenn ich versuche, das zu verdrängen oder sage, es wird schon nichts passieren, ist die Überraschung umso schlimmer.“
Die drohende Strafverfolgung, aber vor allem auch die Frage, wie sie bestmöglich vermieden werden kann, ist bei den Vorbereitungen spürbar. Spätestens seit den öffentlich gewordenen DNA-Analysen in verschiedenen Bundesländern gehört eine weitere Maßnahme zur Routine: Alles wird nur noch mit Gummihandschuhen angefasst. Und berühren sie doch aus Versehen mal ein Blatt Papier oder Plakat ohne, landet es direkt im Müll. Tom scherzt, „wie Panne es wäre“, wenn sie die Briefumschläge zum Versiegeln versehentlich anlecken würden.
Nach drei Stunden Arbeit ist es endlich soweit: Der letzte Brief ist verschlossen und wandert in den Jutebeutel. Feierabend haben Jerry und Tom aber nicht. Denn die Schreiben sind nur eine von gleich drei geplanten Aktionen. In gut einer Woche wollen sie die selbstgedruckten Fake-Werbeplakate in Vitrinen hängen. Und wieder eine Woche später soll der Hauptbahnhof in Berlin und die zugehörige Wache der Bundespolizei mit Stickern übersät werden – weil genau dort die beiden befreundeten Adbuster geschnappt wurden.
Hohe Sicherheitsstandards
Jerry und Tom rollen nun die knapp zwei mal ein Meter großen Poster auf dem Tisch aus. Der Aufwand ist diesmal verhältnismäßig gering, da sie noch von einer anderen Plakatierung übrig geblieben sind. In allen Ecken bringen sie ein Stück doppelseitiges Klebeband an, kratzen die Schutzfolie ab und kleben sie direkt wieder auf. So lässt sie sich auch mit Schutzhandschuhen später schnell lösen. Die Handgriffe wirken eingeübt. Alle vorbereiteten Plakate werden in den dunklen Transportrollen verstaut – und die Röhren zum Schluss sicherheitshalber mit Ethanol gereinigt, um möglichst keine Spuren zu hinterlassen.
Wenige Tage später sind Jerry und Tom in den Straßen Berlins unterwegs. Sie tragen schlichte Streetwear, eng anliegende Arbeitshandschuhe und neongelbe Warnwesten. Mit einem improvisierten Werkzeug aus dem Baumarkt öffnen sie die Werbevitrine. Das Plakat wird aus der Vorrichtung gelöst, zusammengerollt an der Seite des Schaukastens versteckt und das eigene Poster festgeklebt. Jerry und Tom drücken die verglaste Tür zu und machen sich aus dem Staub: weiter zur nächsten Straßenbahnhaltestelle. Hier drängen sich die Menschen. Die Person, die an der Werbetafel lehnt, bittet Tom, zur Seite zur treten – und schon geht es los.
Der Ablauf ist identisch, die Situation eine andere: ein aufregender Moment. „Adrenalinlevel auf 120“, so wird es Jerry später beschreiben. Sie plakatieren nur dort, wo möglichst viele Menschen vorbeikommen. Als sie am nächsten Ort von weitem Streifenwagen entdecken, ziehen sie weiter: zu gefährlich. Sonst läuft an diesem Abend alles glatt, keine besonderen Vorkommnisse. Nach ungefähr zwei Stunden haben sie 30 Kästen mit ihren Plakaten bestückt.
Was die Adbusting-Gruppen dagegen meist verpassen, sind die Reaktionen auf ihre Aktionen. Als Jerry und Tom längst in den Menschenströmen Berlins verschwunden sind, nähern sich zwei Personen der vermeintlichen Werbung. Sie machen ein Foto. Auf Nachfrage sagen sie, dass das eine coole Sache sei. Ein älterer Herr hingegen scheint von alldem nichts wissen zu wollen: „Ich schau gar nicht mehr auf die Plakate, die wollen doch eh nur was verkaufen.“
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