Text: Viktoria Pehlke — Fotos: Katrin Binner
Aktivistin ist Hami Nguyen unfreiwillig. Ihre Herkunft, so sagt sie, mache sie dazu: „Ich habe mich nie dafür entschieden, in irgendeiner Form unterdrückt oder diskriminiert zu werden, es passiert aber dennoch. Ich muss mich dagegen wehren, ob ich will oder nicht.“ Auf Instagram teilt sie ihre Erlebnisse, auch die schmerzhaften – den Mut dazu musste sie erst aufbringen.
Ende der Achtziger kam Hami Nguyens Vater als Vertragsarbeiter in die DDR und war damit einer von etwa 60.000 Menschen, die über die „sozialistische Bruderhilfe“ als Arbeitskräfte aus dem kommunistischen Vietnam angeworben wurden – in der DDR waren sie die größte zugewanderte Gruppe. Sie lebten in Wohnheimen, abgeschottet voneinander und dem Rest der Gesellschaft. Integration wurde von der Regierung nie vorgesehen. Frauen, die schwanger wurden, drohten Abschiebung oder Abtreibung. Nach der Wiedervereinigung blieben etwa 16.000 vietnamesische Menschen in Deutschland, darunter auch Nguyens Vater.
In den Neunzigern zogen auch Mutter und Tochter aus der Provinzstadt Hải Dương bei Hanoi nach Leipzig. In Sachsen verbrachte Nguyen ihre Kindheit, Abitur machte sie in Merseburg. Die ersten Jahre ihres Lebens habe sie nur mit einer Duldung in Deutschland gelebt, erzählt sie. Bis sie 15 war, sei es ihrer Familie nicht erlaubt gewesen, das Bundesland zu verlassen. Durch regelmäßige Behördengänge habe sie schon als Kind Erfahrungen mit institutioneller Diskriminierung gemacht. Erst mit 25 erhielt sie die deutsche Staatsbürgerschaft. Blicke und Bemerkungen empfand sie als Jugendliche noch nicht als rassistisch: „Den Fehler habe ich meist bei mir selbst gesucht, nicht in der rassistischen Sozialisierung der anderen, von denen niemand eine Migrationsgeschichte hatte oder Person of Color war“, sagt sie.
Die „Vorzeigeminderheit“
Nach der Schule verlässt Hami Nguyen Sachsen, studiert in Halle/Saale Volkswirtschaftslehre und geht für den Master in Politik und Soziologie nach Zürich. In der Schweiz lernt sie einen diversen Freundeskreis kennen und realisiert, dass sie als südostasiatisch gelesene Person genauso Rassismus erfährt: „Wir sind die Vorzeigeminderheit. So fleißig, so höflich, so ruhig. Dass das aber auch problematisch ist, habe ich erst viel später erkannt.“ Auch diese Form des Rassismus spreche Menschen ihre Individualität ab und schränke ihre Handlungsfreiheit ein. „Auch eine vermeintlich positive Erwartungshaltung entspricht einer Ungleichbehandlung.“
Dazu gehören auch Make-up-Trends wie die sogenannten „Fox Eyes“, bei denen die Augen optisch schmaler und schrägstehend geschminkt werden, kritisiert Nguyen: „Mein Aussehen ist kein Trend, den ich mir abends abschminken kann.“ Nicht nur privat, auch wissenschaftlich setzt sich Hami Nguyen mit vielschichtigen Diskriminierungsformen und deren Ursprüngen auseinander. Als Thema ihrer Masterarbeit wählt sie die zweite Generation vietnamesischer Eingewanderter: „Also eigentlich mich selbst“, sagt sie rückblickend. Heute arbeitet Nguyen als Projektleiterin in einer politischen Bildungseinrichtung in Frankfurt am Main.
Die Black Lives Matter-Bewegung, die erst in den USA und später überall auf der Welt riesige Proteste gegen Rassismus initiiert, bewegt auch Hami Nguyen im Sommer 2020 dazu, sich auf Instagram zu antirassistischen Themen zu äußern. Sie habe aufklären wollen, ohne selbst im Mittelpunkt der Debatte zu stehen. Ihren Standpunkt aber hat sie geändert und mittlerweile den Mut gefasst, auch persönliche Erfahrungen zu thematisieren: „Je mehr Lebensrealitäten wir in unserem Aktivismus und die antirassistische Debatte einbringen, desto wirkungsvoller werden auch die Lösungen, die daraus entstehen können“, ist sie überzeugt.
Vorurteile, Hass im Netz, aber auch physische Angriffe – mit allem sieht sich Hami Nguyen konfrontiert. In einem Video auf Instagram schildert sie, wie sie beim Verlassen der Bahn von einer Gruppe beleidigt und angerempelt wird. Die Angst und das Gefühl der Demütigung teilt sie online: „Ich gehe ehrlich damit um, damit andere sich weniger allein fühlen.“
Sichtbarkeit als Privileg
Auch zu feministischen Themen bezieht Hami Nguyen öffentlich Stellung. Sie schließt damit nicht nur ihre Erfahrungen als cis Frau und Mutter ein, sondern auch jene mit Rassismus. Ein Feminismus ohne intersektionalen Ansatz, ohne antirassistisches Denken sei wie „der lange Arm des Patriarchats“. Davon profitierten in erster Linie weiße privilegierte Mittelstandsfrauen, moniert sie. „Bei weißem Feminismus geht es um die Sicht durch die eigene Brille. Darum, nur aufgrund der eigenen Betroffenheit aktivistisch zu sein.“ Feministische Forderungen würden dabei häufig zugunsten kapitalistischer Komponenten umgedeutet. Aus der Forderung „Mehr Macht den Frauen“ werde „Frauen dürfen jetzt auch Unternehmen gründen“.
Die Besetzung von Chefetagen mit Frauen allein sei deshalb nicht genug. Es gehe darum, rassistische und ausbeuterische Strukturen grundlegend aufzubrechen – in vielen kleinen Schritten. Hami Nguyen empfindet ihre Plattform auf Instagram als Privileg. Die Arbeit in der Öffentlichkeit bringe ihr Kritik ein, aber auch Anerkennung. Diese jedoch werde Menschen verweigert, die für die Mehrheit, und auch für die Wissenschaft, unsichtbar bleiben, gibt sie zu bedenken. „Ist eine Frau, die zu Hause ihren feministischen Kampf austrägt weniger Feministin, als eine Frau, die feministische Theorien aufstellt?“ Ihr Aktivismus ermöglicht Nguyen, der Wut, die ihr so lange verwehrt blieb, mehr Raum zu geben und andere dazu zu ermutigen dasselbe zu tun. „Wir müssen einander zuhören“, rät sie. „Und die Stimmen derer teilen, die nicht die Möglichkeit haben, laut zu sein.“
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