Text: Tom Waurig — Fotos: Benjamin Jenak
23. Spieltag in Sachsens Landesklasse Nord – siebte Liga, irgendwas zwischen Fußballromantik und ambitionierten Freizeit-Vereinen. Anstoß ist um 15 Uhr im Sportpark Dölitz, Leipziger Süden. Bei herrlichem Frühsommerwetter empfängt hier der Rote Stern die SV Eintracht Sermuth zum typischen Sonntagnachmittag-Dorffußballkick. Der Eintritt kostet drei Euro.
Es gibt Bier, frisch gezapft, Fassbrause und Gegrilltes. Tabellarisch ist es keine wirklich hochkarätige Partie – heißt: Fünfzehnter gegen Siebter. Die Gäste kommen aus dem Leipziger Umland, knapp 50 Kilometer entfernt. 16 Teams stark ist die Spielklasse, darunter allein sechs Klubs aus der Messestadt.
Wer der verlorengegangen Fußballidylle im Profibereich hinterhertrauert, trifft auf den Bolzplätzen Gleichgesinnte. Fachsimpeleien gehören fest zum Repertoire der Fans, womöglich noch mehr als in den großen Arenen. Schon am Eingangstor zum Sportplatz prangt das Emblem des Vereins im blechernen Sowjetschick.
Sogar zwei kleine Beton-Tribünen gibt es bei den Sternen, wie der Klub hier im Viertel liebevoll genannt wird. Hinter den Verkaufstischen stehen Fans mit bunten Irokesen und ausgewaschenen, bestickten Jeanswesten. Auch das Publikum sieht anders aus als bei der Ligakonkurrenz – akademisches Klientel, ein auffällig hoher Frauenanteil, dazu viele Kinder.
Allein das spricht dafür, dass im Leipziger Süden kein ganz gewöhnlicher Klub gegen das runde Leder drischt. 20 Jahre ist der Verein inzwischen alt. Eine antifaschistische Haltung gehörte 1999 genauso zum Vereinsgedanken wie ein Nein zu Sexismus und Homophobie. Adam Bednarsky, 39, war damals Gründungsmitglied.
Weil eine kleine, verschworene Clique, die sonst zusammen auf Konzerte und Demonstrationen ging, gemeinsam Fußballspielen wollte, gründete sie kurzerhand einen eigenen Klub. Drumherum eine linke Subkultur, ein alternatives Flair der späten Neunziger. „Wir kamen aus der Punk-, Oi- und Antifaszene und hatten Lust, ein Vereinsleben mitzugestalten.“
Wenn Mitglieder entscheiden
Eine Theken- oder Fanliga kam für die Jungs nicht in Frage, weil sie im Jugendbereich schon alle anderswo höherklassig gespielt hatten. Und ganz nebenbei wollten sie den alternativen Stadtteil durch ein Sportangebot bereichern, das es damals so noch nicht gab, verdeutlicht Bednarsky. Die Entwicklung ging steil nach oben: Mehr als 1 500 Mitglieder zählen die Sterne heute – 100 bis 200 kommen jedes Jahr dazu. Doch wie vor 20 Jahren schon, sind es nach wie vor die Mitglieder, die über die Zukunft entscheiden und verhandeln, wofür der Verein steht. Einmal pro Woche tagt das Plenum, zu dem jedes Mitglied kommen kann. Selten sind es mehr als 15, der harte Kern.
Was immer noch nach einem Projekt klingt, ist diesem Status jedoch längst entwachsen. Denn in der Leipziger Vereinswelt sind die Sterne eine große Nummer. Auch zig Sportarten sind über die Jahre neu dazu gekommen – Basketball, Triathlon, Tennis, Croquet, Schach, Badminton, Klettern, Darts oder Selbstverteidigung.
Eltern nehmen inzwischen auch längere Fahrten in Kauf, damit der Nachwuchs beim Roten Stern trainieren kann. Und so führt der Verein auch eine stadtinterne Rangliste an: Bei keinem anderen Leipziger Klub spielen so viele Menschen Fußball. Sogar mit gemischten Teams treten die Sterne an, immerhin bis zur C-Jugend lässt das der Verband zu.
In der Landesklasse Nord steht darum eine reine Männermannschaft auf dem Spielfeld. Auf der Trikotbrust prangt ein prominentes Logo: „Lonsdale“. Einst war der britische Sportartikelhersteller Ausrüster von Boxer Muhammed Ali, heute Sponsor in Leipzig. 381 Fans verfolgen das Spiel. Und schon in der vierten Minuten brandet Jubel auf.
Nach einem schnell ausgespielten Konter treffen die Sterne zum verdienten 1:0. „Weiter gehts, gallig bleiben“, spornt der Stadionsprecher an. Es herrscht ausgelassene Stimmung im weiten Rund – Trommeln, Transparente, Fahnen, Fangesang. Die Größe der aktiven Fanszene ist für einen siebtklassigen Verein mehr als bemerkenswert.
Fördergelder und Pyrotechnik
Das Flaggschiff ist dennoch nicht die erste Männermannschaft – die stehe sportlich noch dort, wo sie vor zehn Jahren schon stand, meint Bednarsky – sondern die Nachwuchsabteilung. Der Verein beschäftigt inzwischen sogar einen Jugendwart, hauptamtlich. Die Sterne durchleben also einen Wandel – weg von einer rein ehrenamtlichen Struktur.
Dass das nicht allen Mitgliedern passt, leuchtet ein und so wird alle Jahre wieder leidenschaftlich über die Zukunft des Vereins diskutiert und gestritten. „Wer am Spielfeldrand eine bengalische Fackel anzündet, hat sicher eine andere Idee vom Roten Stern als jemand, der Förderanträge mit dem Freistaat Sachen verhandelt.“
Und so ist mit genau den Fördergeldern von Stadt und Land nur wenige hundert Meter Luftlinie entfernt vom gealterten Sportpark Dölitz das neue Funktionsgebäude des Klubs entstanden, das erst vor kurzem eingeweiht worden ist. Für 800 000 Euro wurde aus einer Backstein-Ruine ein moderner, zweigeschossiger Fußballtrakt, von dem wohl selbst Profimannschaften in höheren Ligen träumen. „Mit einem Kuchenbasar allein lässt sich das nicht finanzieren.“ Bednarsky war hier so etwas wie der Bauleiter. Auf all das, was im vergangenen Jahrzehnt entstanden ist, ist er daher sichtlich stolz. Denn angepackt haben vor allem die Mitglieder, über gut zehn Jahre hinweg.
Auch im Außenbereich wurde fleißig gewerkelt – neu sind der Kunstrasenplatz und ein Großfeld mit Ballfanganlage und versenkbarem Bewässerungssystem. Aktuell kann der Verein gleich vier Plätze sein eigen nennen. Bednarsky weiß um die Bedeutung vernünftiger Trainingsbedingungen, denn es gab eine Zeit, da konnte der Klub keine neuen Mitglieder mehr aufnehmen, weil niemand eine Idee hatte, wo überhaupt gespielt werden soll. „Ein Sportplatz ist nicht alles, aber ohne einen Sportplatz ist alles nichts.“ Der Umbau des nächsten Areals ist schon beschlossen. Es wird das vorerst letzte Vorhaben sein, mit einem Investitionsvolumen von bis zu zehn Millionen Euro.
Der Nachwuchs hat Priorität
Und wie sieht es bei diesen Summen mit dem sportlichen Ehrgeiz aus? „Durchwachsen“, meint Bednarsky. „Ich sehe nicht die Notwendigkeit, dass wir als Verein in der dritten oder vierten Liga spielen müssen.“
In der Landesklasse käme der Klub gerade noch ohne Spielergehälter aus und könne sich mit dieser Herangehensweise auch sportlich knapp über Wasser halten. Das heißt im Klartext: Es geht gegen den Abstieg. Denn die Konkurrenz hantiert schon in der siebten Liga mit Spielerhonoraren. Eine Liga höher liege das Budget für den Kader der ersten Mannschaft bereits im sechststelligen Bereich. Dieses Geld wollen die Schwarz-Roten lieber anders investieren.
Währenddessen spielt das Team wie im Rausch. Mit 3:0 geht es in die Halbzeit. Auf der Tribüne herrscht ausgelassene Stimmung. Euphorie mischt sich unter die ungläubigen Gesichter. „Wann hat es denn sowas zuletzt gegeben?“, blickt sich ein Fan fragend um. Auch Adam Bednarsky ist einigermaßen verwundert über die Spielfreude der Sterne.
Die Pause nutzt der Enddreißiger für Gespräche mit Gleichgesinnten – es geht um Stadtpolitisches und die anstehenden Wahlen. Die Vereinsverantwortlichen treffen sich in der „Meckerecke“, wie sie ihren Tribünenbereich nennen. Wo früher noch mehr „Punkrock“ war, wie sie selbst sagen, wird nun über Strategien debattiert.
Mitgründer Bednarsky ist heute Geschäftsführer, ehrenamtlich versteht sich. Im Verein kümmert er sich um die Infrastruktur des Klubs, schiebt Bauvorhaben an. Der zweifache Familienvater lebt den Sport, ist aber nicht nur Gründer und Fan, sondern auch politisch umtriebig: Vorsitzender der Leipziger Linken, Stadtrat seiner Partei und Mitarbeiter eines Bundestagsabgeordneten. Im letzten Jahr schloss er außerdem noch seine Doktorarbeit zur Diskriminierung im Fußball ab. Trotz dieser vielen Aufgaben verpasst er kaum ein Heimspiel. Bednarsky besitzt eine Jahreskarte, denn sogar die gibt der Siebtligist aus: einlaminierte Farbausdrucke in Vistenkartengröße.
Klubs kämpfen mit Problemen
Der Rote Stern bleibt speziell und ist neben anderen Klubs wie dem FC St. Pauli, Babelsberg oder Werder Bremen einer der wenigen linken Fußballvereine, die politisch eine klare Position vertreten. Die großen Teams hingegen tun sich immer noch schwer damit. Bei vielen gilt weiterhin die Devise eines unpolitischen Sports.
Wer sich aus der Deckung wagt, ist oft getrieben von vereinseigenen Problemen, rassistischen Gesängen oder Beleidigungen in den Kurven. Auch an den Spitzen der Verbände sind die Widerstände noch groß, nicht zuletzt beim DFB. „Der Fußball ist weit entfernt davon, als gesellschaftlich progressiv wahrgenommen zu werden“, verdeutlicht Adam Bednarsky.
Wer die politische Dimension im Fußball verstehen will, wird in Leipzig fündig. Auch wenn sich einige Fans immer noch hinter dem Feigenblatt des unpolitischen Sports verstecken, hat das wenig mit der Realität zu tun. Allein in der Messestadt gibt es explosive stadtinterne Rivalitäten. Die Szene von Lok Leipzig hat mit Rechtsextremen zu kämpfen, Fans der BSG Chemie und des Roten Sterns stehen der Antifa nahe.
Leipzigs Fußballfankultur ist also nicht nur leidenschaftlich, sondern auch extrem politisiert. Auch einen Bundesligisten gibt es heute in der Messestadt, der mit dem Vermögen eines österreichischen Konzerns im Rücken den Erfolg am Reißbrett plante.
Besonders nach der Wiedervereinigung wurde der Fußballsport zu einem Massenphänomen und hat sich kommerzialisiert – die Branche setzt mittlerweile Milliarden um. Für die Fans hingegen ist der Gemeinschaftsaspekt oft bedeutender als das Spiel selbst. So wird auf den Rängen lauthals gesungen, überschwänglich gefeiert und enthusiastisch gelitten. Ekstatisch peitschen die Fans ihre Mannschaft an.
Auch beim Roten Stern gibt es sie, diese detailverliebten Inszenierungen, zu denen auch bengalische Feuer gehören. Die sind auf dem Sportplatz Dölitz zwar genauso verboten wie in allen bundesdeutschen Stadien, aber eben auch integraler Bestandteil der Fankultur.
Eine Idee vom linken Fußball
Der subkulturelle Aspekt und das manchmal „nonkonforme Verhalten“, erklärt die Fanforschung, wirken anziehend auf jene, die Fußball nicht nur konsumieren wollen. Beim Anhang der Sterne ist das wohl noch weitaus deutlicher zu spüren als anderswo. Auch deshalb wurden die sächsischen Sicherheitsbehörden schon 1999 auf den neuen, andersartigen Klub aus Leipzig aufmerksam.
„In dem Verein wollen Autonome offenbar Jugendliche für antifaschistische Themen mobilisieren“, vermerkte der Verfassungsschutz in den Anfangsjahren der Sterne in seinen Akten. Mittlerweile aber wird die Leistung des Klubs, besonders im Breitensport, von vielen Seiten anerkannt.
Vergleiche mit den anderen Leipziger Klubs sind für Bednarsky trotzdem nichts, was ihm Freude oder Genugtuung bringt: „Wir sind uns selbst genug und überregional schon auch eine Nummer.“ Bekannter als das eine ohne andere Team aus der zweiten Liga, mag der Gründer wohl insgeheim denken. „Das Alleinstellungsmerkmal unseres Vereins ist schon gegeben.“
Bednarsky und andere wollen hier ihre Idee vom linken Fußball verwirklichen. Und deshalb haben sie sich von Beginn an nicht nur einem sportlichen, sondern eben auch einem bildungspolitischen Auftrag verschrieben. „Sport, Kultur und Politik sind untrennbar miteinander verbunden“, heißt es im Selbstverständnis.
Durch die klare politische Haltung wurde der Klub aber auch immer wieder zur Zielscheibe von Neonazi-Übergriffen. 2008 wurden die Scheiben des Vereinslokals im Leipziger Viertel Connewitz eingeworfen. 2009 griffen bei einem Auswärtsspiel in Brandis 50 Neonazis den Anhang der Sterne mit Holzlatten und Eisenstangen an. Die Bilanz: Drei Menschen wurden verletzt, einer schwer. Seit diesen Vorfällen von vor elf Jahren, werden die Auswärtsspiele des Roten Sterns von der Polizei begleitet, erzählt Bednarsky. Vom Verein ist diese Zusammenarbeit mit den Behörden „gewollt und gewünscht“, ergänzt er. „Sicherheitsspiel“ heißt das im Fußballjargon.
Fanprotest und Provokationen
Der Wettstreit um das runde Leder schweißt nicht nur zusammen, sondern spaltet auch. Immer dann nämlich, wenn aus Abneigung Gewalt wird. Auch das ist nichts Neues in der ostdeutschen Fußballfanszene. Ausschreitungen unter randalierenden Fans gab es auch in den achtziger Jahren schon. „Fußballrowdys“ hießen diese Gruppen im offiziellen Sprachgebrauch der DDR-Führung. Heute überschneiden sich Hooligans mit der rechtsextremen Szene. Die Hitlergruß-Orgien in den Reihen des Cottbuser Anhangs oder die Gedenkveranstaltung für einen bekennenden Neonazis im Stadion des Chemnitzer FC waren da nur die jüngsten Vorfälle in einer langen Liste.
Bednarsky kennt die Probleme der anderen Vereine und sucht selbst nach Erklärungen. Wenn die gesamtgesellschaftliche Situation schwierig ist, sei das auch in den Stadien zu spüren. Der Vorteil in Leipzig sei die große Vielfalt. Die Vereine in Chemnitz oder Cottbus seien „Monopolisten“, meint Bednarsky. Die Fans hätten es dort schwer, sich gegen eine „starke rechte Szene“ durchzusetzen.
Für den Chemnitzer FC sei die Situation verheerend. Dennoch erkennt er durchaus auch positive Signale. Die Fankultur habe sich stark zivilisiert: „Ich warne immer davor, zu vergessen, wie die Situation früher war. Affenlaute waren in den Neunzigern die Regel, heute sind sie undenkbar.“
Protest und Provokation aber gehören für ihn unbedingt zum Fan-Sein dazu. „Wir fangen ja nicht an, uns Blumen im Stadion zu überreichen. Es ist doch in Ordnung, sich in einer gepflegten Weise zum kotzen zu finden.“ Auf und neben dem Platz sei die Sprache eben manchmal derb. Grenzen müsse es trotzdem geben. „Wenn Minderheiten abgewertet werden, ist das nicht mehr cool. Das müsse allen klar sein und auch so kommuniziert werden. Es braucht diese Reflexion.“ An diesem Tag jedenfalls bleibt in Leipzig alles ruhig. Endstand 5:0. Team und Fans feiern den höchsten Sieg der Saison und vor allem drei wichtige Punkte im Kampf gegen den sportlichen Abstieg.
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