Text: Klara Felixberger — Fotos: Benjamin Jenak
Haltestelle Slabystraße. Freitagabend, um kurz nach 20:30 Uhr. Der letzte Schnee säumt die schwach beleuchtete Unterführung zum Kölner Busparkplatz. In der abendlichen Kälte starten hier mehrere Busse ins rund 500 Kilometer entfernte Sachsen. Mal in Gruppen, mal vereinzelt stehen in der Dunkelheit mehr als 400 Menschen zusammen, um gleich ins Polster der großen Reisebusse zu sinken. Gut sieben Stunden Fahrt liegen vor ihnen, bevor sie am nächsten Morgen den Parteitag der AfD in der sächsischen Kleinstadt blockieren. Aufregung und Anspannung liegen in der Luft – wie bei einer Klassenfahrt mit vielen Unbekannten.
Vi ist eine von ihnen. „Auch wenn die AfD bei zehn Prozent liegen würde, wäre ich hier“, erklärt sie. Gerade jetzt aber stehe weit mehr auf dem Spiel: Umfragen sehen die Partei bundesweit als zweitstärkste Kraft. In Riesa soll Alice Weidel zur Kanzlerkandidatin gewählt werden. Fast zeitgleich verbreitet Weidel im Gespräch mit US-Tech-Milliardär Elon Musk auf der Plattform X Falschaussagen zum Thema Migration oder Corona und nennt Hitler einen „Kommunisten“ – und ein Millionenpublikum hört dabei zu. So sieht Wahlkampf im Jahr 2025 aus.
Zum Protest und Zusammenhalt in Riesa hat das Bündnis Widersetzen aufgerufen. Es vereint neben Einzelpersonen auch Gewerkschaften, Klimagruppen, NGOs wie Attac, Parteien und deren Jugendorganisationen, die Interventionistische Linke sowie lokale Betriebsgruppen. Zsusza von der Initiative „Omas gegen Rechts“ hat sich ebenfalls angeschlossen. Sie hat zwar selbst keine Enkelkinder, will aber in Sachsen friedlich demonstrieren. „Ich wäre vielleicht bei Blockaden dabei, wäre ich 50 Jahre jünger“, sagt sie lachend. Wenig später verabschiedet sie ihren Mann, der sie mit dem Auto hergefahren hat, und ergänzt: „Er muss leider arbeiten.“
Im Raum Köln haben die „Studis gegen Rechts“ die Anreise nach Riesa in engem Austausch mit „Widersetzen“ organisiert. Die Idee, sich dem Parteitag der AfD entgegen zu stellen, entstand bereits zu Semesterbeginn. „Das Ziel war, vielleicht 100 Studierende zu mobilisieren“, sagt Nils, einer der Organisatoren. Mitte Dezember versammelten sich dann über 1 000 Studierende der Hochschulen Köln, um gegen antidemokratische Kräfte aufzustehen.
„Wenn es die Politik nicht tut, dann nehmen wir es eben selbst in die Hand“, verdeutlicht Nils die Motivation der Gruppe. Sie will Universitäten zu politischen Orten machen und Menschen vernetzen. „Wir sind die Generation, die die Faschisten aufhält oder dabei zusieht, wie sie an die Macht kommen. Dabei ist Widerstand aus der gesamten Gesellschaft gefragt.“ Dass genau jetzt Hunderte Engagierte in acht Doppeldeckerbussen zusammensitzen, um nach Sachsen zu reisen, sei zu Beginn der Planung „unvorstellbar“ gewesen.
Proteste und Blockaden
Drinnen im Bus ist es ruhig. Viele haben Wärmedecken für den Protest mitgebracht. Vor dem Schlafen werden noch ein paar letzte Happen gegessen. Die meisten wissen aus vorherigen Aktionstrainings und Vorbereitungstreffen: Der kommende Tag wird lang. Die Aktionen sollen bis zum späten Nachmittag dauern. Deshalb sind jetzt, gegen Mitternacht, nur noch die zwei Freundinnen Caro und Biggie wach. Sie haben sich sehr spontan entschlossen, nach Riesa zu fahren. Biggie sogar erst drei Stunden vor Abfahrt: „Ich habe heute die Nachrichten gesehen und hatte so einen Weltschmerz. Ich hatte mir noch gedacht, wir müssen was machen, da würde ich gerne mitfahren. Dann kam der Anruf von Caro und ich dachte: Okay, das ist jetzt ein Zeichen. Indem du aktiv wirst, ermächtigst du dich gegenüber dem Weltschmerz.“
Obwohl die Busse seit Tagen ausverkauft sind, bekommt sie von einer anderen Gruppe noch ein Ticket. Biggie nutzt einen anderen Namen, da sie als BiPoC-Aktivistin mögliche rassistisch motivierte Folgen fürchtet. „Ich habe auch schon Pläne, dass ich auswandere. Ich suche mir schon ein paar Länder, in die ich dann kann. Aber ich will auch nichts unversucht lassen und so viel wie möglich bewirken“.
Schon früh sei sie mit dem Thema Widerstand in Kontakt gekommen. Ihre Schule wurde nach dem Kirchenkämpfer Dietrich Bonhoeffer benannt, der 1945 als einer der letzten NS-Gegner hingerichtet wurde. „Wir haben das Thema jedes Jahr behandelt, das hat sich eingebrannt“. Vor einem Jahr dann wurde das Potsdam-Treffen der AfD aufgedeckt und der Kampf gegen rechts verlagerte sich für kurze Zeit in die breitere Mitte der Gesellschaft. Das war für Biggie auch der Zeitpunkt, an dem ihre Angst gewachsen ist: „Ich habe einfach so die Parallelen zur NS-Zeit gesehen, zu dem, wie alles begann“.
Biggie und Caro wollen vor allem zur großen Kundgebung vor der WT-Arena Riesa, in der auch der AfD-Parteitag stattfinden soll. Bands wie Pöbel MC, ZSK oder Team Scheiße werden dort ab dem Vormittag die Proteste begleiten. Die geplanten Blockadeaktionen, die sich über ganz Riesa erstrecken werden, wollen sie meiden. Auch aus Respekt vor Auseinandersetzungen mit der Polizei und rechtsextremen Kräften vor Ort. „Für mich ist das aufgrund transgenerational weitergegebener Sicherheitsgedanken unvorstellbar. Das ist für mich so, als würde ich in ein Gebiet gehen, in dem viele Überflutungen sind. Warum soll ich da hingehen?“, fragt Biggie.
Zu Fuß rein in die Stadt
Was Freundin Caro stolz macht, ist der starke Zusammenhalt gegen die AfD: „In Essen wurde der Parteitag ja auch ziemlich gestört. Und jetzt gehen sie eben nach Riesa, weil sie denken, sie kriegen da nicht so viel Konter. Aber das ist nicht so.“
Das Erste, was am Samstagmorgen zu hören ist, sind spontane Jubelrufe. Ankunft vor Ort. Der Bus biegt in einen Vorort von Riesa ein. Ein Lichtermeer aus Scheinwerfern weckt Biggie, Caro, Zsusza und die anderen Reisenden aus Köln. Und plötzlich geht alles ganz schnell: Wer bei den Aktionen mitmachen will, muss aussteigen, der Rest fährt weiter zum Kundgebungsgelände an der Arena. Mit dem Öffnen der Bustüren machen sich direkt mehrere Hundert Personen in gelben Warnwesten auf den Weg ins Riesaer Zentrum.
Behelmte Polizeikräfte begleiten die knapp 500 Demonstrierenden. Draußen weht ein eisiger Wind, die Straßen sind glatt und die Wetter-App zeigt gefühlte minus elf Grad an. Knapp drei Kilometer müssen nun bis zum Ortseingangsschild zurückgelegt werden. Dort lässt sich die Gruppe kurz vor der Morgendämmerung in einer Sitzblockade auf der kaum windgeschützten Straße nieder. In unmittelbarer Nähe gibt es einen weiteren, größeren Blockadepunkt. Auch hier stehen mehrere Hundert Menschen an der Kreuzung zu einer wichtigen Bundesstraße.
Gegen 9:45 Uhr, kurz vor Beginn des Parteitages, wird gut einen Kilometer weiter südlich für etwa 40 Minuten mit einer weiteren Sitzblockade ein AfD-Auto blockiert. Auch eine Frau, die sich Kim nennt, hat hier Position bezogen. Sie ist extra aus Aachen angereist, wo am nächsten Samstag etliche Neonazis zusammenkommen sollen. Kim ist im Gegenprotest aktiv und zeigt, dass Anti-rechts-Aktivismus über Regionalgrenzen hinaus Solidarität erfordert.
In Aachen haben gleich mehrere Initiativen gefordert, die Demonstration zu untersagen. Eine entsprechende Petition haben rund 36 000 Menschen unterzeichnet. Ähnlich wie heute Riesa wird sie ein paar Tage später also auch in ihrer Stadt gegen Neonazis protestieren. Sie kommt gerade von einer Aktion, die ihr zu viel wurde. „Die Polizei hat Menschen einen Hang hinunter geschubst. Das hat mich und meine Gruppe ein bisschen überfordert, weil wir alle nicht die Erfahrung im Umgang mit solchen Situationen haben.“
Bilder von Polizeigewalt
Später an diesem Tag werden Bilder und Berichte von grenzüberschreitenden Polizeiaktionen Schlagzeilen machen. Darunter der Angriff auf Nam Duy Nguyen, der als Abgeordneter für Die Linke im Sächsischen Landtag sitzt und den Tag als parlamentarischer Beobachter begleitet.
Für insgesamt zwei Stunden verhindert der Protest den Start des Parteitags. Einen Höhepunkt erreichen die Aktionen kurz vor 12 Uhr, als unter anderem zwei Busse mit AfD-Mitgliedern auf sitzende Demonstrierende stoßen. Die Polizei fordert die Menge zunächst dazu auf, die Straße freiwillig zu verlassen. Wenig später räumt sie die Sitzblockade. Und die Straße ist daraufhin so frei, dass die Busse abbiegen können. Direkt bricht Hektik aus. Die versammelten Personen rennen auf die Parallelstraßen zu, um irgendwie noch eine Blockade zu ermöglichen – und die Polizei läuft hinterher. Kurz danach die offizielle Meldung: Der AfD-Bundesparteitag startet mit knapp über zwei Stunden Verspätung.
Zurück auf der Kreuzung an der Bundesstraße: Noch immer protestieren Hunderte Menschen zur Trommelmusik der Rhythms of Resistance. Die Polizei ist mit Wasserwerfern vorgefahren. Auf Nachfrage, ob sie diese trotz der Kälte überhaupt benutzen dürften, erwidert ein Beamter knapp: „Weiß ich nicht.“ Zum Einsatz kommen sie an diesem Tag nicht mehr.
Auf dem Platz vor der Halle treffen gegen 15:30 Uhr die Menschen aus Köln wieder zusammen, um mehrere Stunden zurückzufahren. Vereinzelt wird gesungen: „So lang mer noch am Lääve sin“. Sie alle suchen sich erschöpft und dennoch ermutigt einen Platz im Bus. Im Gang stehen volle Rucksäcke, viele scheinen aufgewühlt und reizüberflutet.
Mit der Abfahrt meldet sich das Orga-Team der „Studis gegen Rechts“ noch einmal zu Wort: Sie nennen den Tag eine „Initialzündung“ mit Blick auf die Bundestagswahl im Februar. In Köln und Umland sollen weiterhin solidarisch demokratische Räume gegen rechts geschaffen werden. Auch Nachbereitungstreffen zu den Eindrücken aus Riesa werde es geben. Zukünftig will das Bündnis eine Streiksolidarisierung mit der „Tarifrunde öffentlicher Dienst“ umsetzen.
Über 14 Stunden hat diese Protestfahrt gedauert. Was bleibt, ist ein Gefühl, das Beteiligte in diesen Tagen unter anderem über soziale Netzwerke teilen. Das Gefühl, nicht alleine zu sein. Das Bündnis Widersetzen spricht von knapp 15 000 Menschen, die sich auf den Straßen in und um Riesa widersetzt haben. Trong Do Duc, Pressesprecher der zivilgesellschaftlichen Initiative „Riesa für alle“ nennt die Aktionen ein „starkes Zeichen für die Stadt“. Nun müsse es darum gehen, „zusammen eine Stimme gegen rechts zu finden, die hier vor Ort bleibt“. Sie soll so laut sein, dass Verantwortliche diese nicht mehr ignorieren könnten. „Wir fordern: Nie wieder einen Parteitag der AfD und der extremen Rechten in Riesa stattfinden zu lassen“.
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