VEranTwOrtung — Kolumne Sookee

In gleich drei ostdeutschen Ländern wurde im September gewählt. Erfolge der AfD sind längst keine Überraschung mehr. Die Diskurse haben sich weiter nach rechts verschoben – und darunter haben gerade Kinder und Jugendliche zu leiden.
24. September 2024
4 Minuten Lesezeit
Text: Sookee — Foto: Benjamin Jenak

Mit den Ergebnissen der Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg hat sich parlamentarisch manifestiert, was zuvor schon freischwebend und historisch unkorrekt vielfach als „Rechtsruck“ benannt wurde. Im Windschatten des rechten Populismus nehmen die Regierungs- und Oppositionsparteien nicht nur die rechte Diskursverschiebung auf, sie beteiligen sich auch an deren Normalisierung. Aber was bedeutet das alles eigentlich aus adultismuskritischer Sicht für Kinder und Jugendliche in diesem Land?

Das Thema, das aktuell am heftigsten spektakularisiert wird, ist Migration. Der rassistische Populismus, mit dem die blanke Existenz Schwarzer Menschen und Menschen of Color hier zur Ursache jedes beliebigen gesellschaftlichen Problems gemacht wird, wirft alles in einen Topf: Fluchtursachen, Asylpolitik, Integrationsprozesse oder Religionszugehörigkeit. Und genauso werden völlig unterschiedliche Personengruppen diffamiert.

Er arbeitet zudem gezielt und bewusst mit Schuldzuweisung, Beschämung und Bedrohung. Erwachsene of Color beschreiben, wie sie mit rassistischen Backlashes zu kämpfen haben; zunehmend wird sogar ernsthaft in Erwägung gezogen, Deutschland zu verlassen.

Für von Rassismus betroffene Eltern verschärft sich diese Situation insofern, als dass sie durch die Verantwortung für ihre Kinder zusätzlich vulnerabel sind, was sich als konstanter Stress, als Angst oder sogar als Trauma auf deren Psyche nierderschlägt.

Kinder erleben ihre Eltern in diesen verunsichernden, instabilen, bedrohlichen Zuständen – und machen sich ihrerseits Sorgen, befürchten (erneute) Entwurzelung und sie leben eine Kindheit, die von rassistischer Ausgrenzung und Herabwürdigung durchzogen ist.

Als Kinder erfahren sie Gewalt, die ihren Familien, ihren Freund*innen und auch ihnen selbst persönlich oder strukturell angetan wird. Und sie erleben die Verzweiflung der Erwachsenen, die sie vor alledem beschützen wollen, aber selbst fortwährenden Attacken ausgesetzt sind.

Viele Erwachsene sind bemüht, ihre Kinder vor dem ganzen Ausmaß menschenfeindlichen Hasses zu bewahren, sie ihrer kindlichen Leichtigkeit nicht zu berauben und sie nicht mittels Erklärungen in den rassistischen Abgrund der Dehumanisierung blicken zu lassen, was aber auch bedeutet, dass Kinder nur spüren, nicht verstehen, nicht einordnen können, was ihnen angetan wird. 

In der Überschneidung von Rassismus und Klassismus intensiviert sich die traumatisch-beschämende Erfahrung des gesellschaftlich Nicht-Gewollt-Seins. Die zermürbende Situation, der gerade armutsbetroffene Familien ausgesetzt sind, verschärft sich jedoch nicht in den gesellschaftlichen Entwürfen einer AfD, die den Sozialstaat auf ein Minimum eindampfen will. Die Ampel etwa hat vor allem durch einen uneinsichtigen und herzlosen Finanzminister in der Legislatur gezeigt, wie wenig Kenntnis sie davon hat, wie adultistisch sie agiert, wenn sie das Thema Kinderarmut nicht nur nicht priorisiert, sondern völlig vernachlässigt.

Kinder leiden unter Armut, haben aber keine Chance, um aus eigener Kraft an dieser Situation etwas zu verändern. Sie sind dem finanziellen Mangel der Eltern und all seinen Nebeneffekten ausgeliefert. Die Schäden, die dadurch entstehen, sind mitunter irreparabel.

Für Kinder mit Behinderung bedeutet eine Verschiebung nach rechts, dass sie zunehmend und ganz im Sinne alter Nazi-Ideologien als belastend und als unwert markiert werden. Höcke versteht Inklusion als „Ideologieprojekt“ und drückt damit seine Abscheu für eine inklusive, diverse Gesellschaft aus. Die AfD macht keinen Hehl daraus, dass sie behinderte Kinder über sogenannte Sonderschulen aus dem Miteinander mit nicht-behinderten Kindern entfernt sehen möchte. Die Basis für diese offene Feindschaft gegenüber Menschen mit Behinderung findet sich in der fehlenden Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention wieder – und knüpft damit bestens an der Ampel-Ignoranz an. Hatte die Koalition doch selbst Reformen beim Behindertengleichstellungsgesetz und dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz angekündigt, bislang aber nichts davon umgesetzt.

Insgesamt ist für Kinder das Ausbleiben notwendiger, flächendeckender Reformen in der Bildung in Anbetracht von erschöpften und überforderten Pädagog*innen und Lehrkräften eine ziemliche Katastrophe. Da kann die AfD pfeifend daherkommen, nach Zucht und Ordnung rufen und progressive Vorstöße zugunsten einer ganzheitlichen und sozialen Bildung als „geschwätzige Kompetenzorientierung“ verunglimpfen und autoritär mit Leistungslogik argumentieren. Es gäbe also im Falle einer Machtübernahme durch die AfD – wer auch immer dann doch mit ihr koaliert – zumindest im Bildungssektor wenig zurückzubauen.

Dass es für eine queer- und transfeindliche Agenda bereits eine breite gesellschaftliche Zustimmung gibt, in der ein angeblicher Kinderschutz zum Spielball rechtskonservativer Ideolog*innen gemacht wird, hat die Diskurslage rund um das Selbstbestimmungsgesetz gezeigt. Queere und transgeschlichtliche Kinder werden hierin kein bisschen geschützt – im Gegenteil: Sie werden sexualisiert, in ihrer körperlichen Selbstbestimmung unterminiert und ihnen wird die eigene Wahrnehmung genommen, ausgeredet. Und auch das ist ein massiver Gewaltakt, von dem viele queere Heranwachsende und Erwachsene zu berichten wissen.

Auch die Leugnung der Klimakatstrophe ist Ausdruck adultistischen Denkens: Die Zerstörung der menschlichen Lebensgrundlage auf dem Planeten nicht ernst zu nehmen, zeigt, wie sehr Erwachsene – machthabend oder machtavisierend – die realen, existenziellen Ängste von Kindern und Jugendlichen, die mit den sehr konkreten Auswirkungen leben und überleben müssen, gewaltvoll vom Tisch wischen. 

Jede Form von Populismus, Autoritarismus und Faschisierung, der wir als Gesellschaft nicht entschlossen und konsequent entgegentreten, schlägt sich als normative Zurichtung in der Sozialisation von Kindern und Jugendlichen nieder. Selbst dann, wenn sie nicht als Teil einer marginalisierten Gruppe unmittelbar negativ betroffen sind, wird ihnen Gewalt angetan. Wer als Kind über Jahre vorgelebt bekommt, dass Ideologien der Ungleichwertigkeit Normalität sind, wird zur Verachtung, zur Täter*innenschaft erzogen. Das ist adultistische Gewalt.

Und jede Form von Diskriminierung, Abwertung und Ausgrenzung, die wir als Gesellschaft aus Mangel an antifaschistischem Selbstverständnis geschehen lassen, trifft marginalisierte und mehrfach marginaliserte Kinder und Jugendliche doppelt und dreifach.

Dabei passiert doch im Ausgeliefertsein von Kindern gegenüber Erwachsenen an sich schon so viel Gewalt. Nur wissen Kinder eben meist nicht, wie aus der Erwachsenen-Macht Gewalt hervorgeht, weil sie von ihnen abhängig sind. Jede strukturelle Herabwürdigung, die noch hinzukommt, verfinstert und multipliziert sich in der kindlichen Psyche. 

Sich vehement und nachhaltig gegen rechte Ideologien zu stellen, muss also auch heißen, sich bewusst zu machen, was gesellschaftliche Faschisierungsprozesse eigentlich für Kinder und Jugendliche bedeuten – und sich von dort aus an ihre Seite zu stellen. 

Sookee ist queerfeministische Antifaschistin, Musikerin und Mutter. Und sie ist Fan von gegenseitiger Sichtbarmachung, Rotationsprinzipien und Aufrichtigkeit.

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