Text: Sookee — Foto: Benjamin Jenak
CN: Thematisierung von sexualisierter Gewalt und Nennung von expliziten Narrativen der Rape Culture.
Ich habe schon lange Schwierigkeiten, die Kunst vom Künstler zu trennen. Der Fall Lindemann macht es mir nicht gerade leichter. Es ist schmerzhaft zu sehen, dass zum Beispiel sein 2020 veröffentlichtes Gedicht „Wenn du schläfst“ sehr wahrscheinlich eher dokumentarischen als fiktiven Charakter hat. Aber neben dem Fall Lindemann gibt es auch noch den Fall Rammstein, die Fälle in der Kulturindustrie ganz allgemein, die mediale Berichterstattung, das Patriarchat. Oder auch: Mittäter, Rückendeckung, Inszenierungsgehilfen und eben Rape Culture.
So wurde dem vielfach als intellektueller Sonderling gefeierten Rammstein-Keyboarder Flake ebenfalls sexueller Machtmissbrauch vorgeworfen. Und selbst wenn die anderen Mitglieder der Band nicht genauso gehandelt haben, sind sie bei einer derartig langen und gemeinsamen Geschichte sowie extensiven Konzert-Historie allemal Mitwisser.
Ich habe die Begriffe „Row Zero“ – also der Graben zwischen Absperrung und Bühne, in dem Frauen für sexuelle Handlungen vorausgewählt werden – und „Suck Box“ – hierbei handelt es sich ganz offensichtlich um einen Raum unmittelbar unterhalb der Bühne, der für kurzfristige sexuelle Handlungen vorgesehen ist – in Kontexten lernen müssen, in denen auch stets vom „offenen Geheimnis“, über das allgemeines Schweigen im Business herrsche, zu lesen war.
In den meisten – selbst vergleichsweise kritischen – Berichten zu Lindemann wurde weiterhin auf das Inszenierungskonto des raubeinigen und wolllüstigen Männermannes eingezahlt. Statt die Imagepolitik zu unterbrechen und das „Phänomen“ Lindemann zu dekonstruieren, tragen die dutzendfach veröffentlichten Fotos, die ihn mit Bösewicht-Gesicht, blutig, verschwitzt und dreckverschmiert auf Penis-Kanonen zeigen, doch am Ende nur dazu bei, sein geschaffenes Selbstbild weiterhin zu erhalten. Und das Sperma ist förmlich zu riechen. Das alles sind Dinge, die ihm zuarbeiten. Gratis-Promo für einen bodenlosen Millionär, der entweder mit Ekel, Cis-Männlichkeit oder Kunst argumentiert.
Der Sensationalismus schraubt sich so tief in seine Persona, dass eher zurückhaltend nach den Mitwissenden und Mitverdienenden gefragt wird. Nach Veranstaltenden, Managements, Produktionsfirmen, PR- und Booking-Agenturen, Verlagen, Vertrieben und Plattenfirmen. Es gab einzelne Distanzierungen, ja. Und auch Zusammenarbeiten wurden ausgesetzt wie im Fall des Buchverlags Kiepenheuer & Witsch, der das zu Anfang benannte Gedicht veröffentlicht und Lindemann lange Zeit verteidigt hatte.
Ob Schadensbegrenzung oder Überzeugung maßgeblich waren, lässt sich nicht sagen. Aber die dazugehörigen Aufarbeitungen müssen – falls sie geleistet wurden – sehr intern gelaufen sein. Dass aber in einem koordinierten Statement Kooperationspartner den Täter Lindemann und seine Schergen-Band demaskieren und entmachten, damit ist nicht zu rechnen.
Es wäre nur zeitgemäß, dass Labels, Verlage, Streaming-Plattformen und Vertriebsstrukturen nicht mehr nur die Inhalte der vertretenen Artists und Autor*innen auf diskriminierende Inhalte prüfen, sondern sich ernsthaft fragen, ob sie wirklich mit Personen arbeiten wollen, die aus der Herabwürdigung und Dehumanisierung von Menschen Geld machen. Für mich heißt das: Kulturindustrielle Institutionen müssen viel stärker in die inhaltliche Verantwortung gehen.
Und Medien müssen aufhören, schaurige Geschichten vom Sittenstrolch zu wiederholen und stattdessen klar benennen, was Sache ist: Lindemann ist kein „Sex-Monster“. Er ist ein absurd reicher cis Mann, dem niemand in seiner Macht Einhalt gebietet und dem sich auch niemand in den Weg stellt, der von der patriarchalen Dividende profitiert. Lindemann ist einer dieser Typen, der patriarchales Kapital generiert – in einer Welt, in der Frauen im Zweifelsfall Löcher sind und keine Menschen.
Lindemänner gibt es überall, nicht nur auf vielfach ausverkauften, unantastbaren Bühnen. Wir alle kennen Lindemänner. Wir alle kennen Täter. Nur halten wir sie nicht für solche, weil wir sie nicht in den Inszenierungen der Weinsteins und Lindemanns wiedererkennen. Doch auch sie missbrauchen (in anderen Dimensionen zwar) ihre Männermacht durch sexualisierte Gewalt.
Wir können diese Männer entmachten, indem wir Betroffenen zuhören, ihnen glauben und sie in ihrer Selbstermächtigung unterstützen. Indem wir Rape Culture – also soziale und kulturelle Handlungen, die jede Form von sexualisierter, nicht-konsensueller Grenzüberscheitung bis hin zu offener Gewalt trivialisieren, normalisieren oder rechtfertigen – entschieden zurückweisen, problematisieren und bekämpfen.
Sookee ist queerfeministische Antifaschistin, Musikerin und Mutter. Und sie ist Fan von gegenseitiger Sichtbarmachung, Rotationsprinzipien und Aufrichtigkeit.