Text: Viktoria Pehlke — Fotos: Björn Hokamp
Hefe, Mehl, Wasser, Salz, Zatar, Öl. Das sind die Grundzutaten für Manakish: syrisches Streetfood. Das Elbēn in Münster bietet die Fladen im eigenen Bistro und an seinem Foodtruck an. Sozialunternehmer Nedal Georges kennt sie aus dem Heimatland seiner Eltern, in dem er als Kind seine Sommerferien verbrachte. „Als ich zum ersten Mal bewusst nach Syrien flog, um Familie zu besuchen, war ich acht Jahre alt“, erzählt er. „Manakish gibt es dort an fast jeder Straßenecke. Auch heute noch.“ Sein letzter Besuch liegt schon länger zurück. Die Kultur seiner Kindheit aber war ihm wieder präsent, als tausende geflüchtete Menschen aus Syrien nach Deutschland kamen.
Es war der Sommer 2016: Nedal Georges steht an einem Bahnsteig in Frankfurt am Main und heißt Menschen aus Syrien in der hessischen Metropole willkommen. Er studiert damals noch Jura. Das theoretische Wissen und seine arabischen Sprachkenntnisse nutzt er, um Geflüchteten zu helfen. „Wer sonst könnte diese beiden Welten miteinander verbinden.“ Es ist dieser Gedanke, der für ihn ausschlaggebend sein wird, um damit anzufangen, das Kulturprojekt Elbēn zu realisieren.
Zusammen mit seinem Kollegen Jan Wehner will Georges einen Ort schaffen, der Begegnungen zwischen Geflüchteten und in Deutschland beheimateten Menschen ermöglicht. „Das hätten wir auch mit einem Fußball- oder Musikverein tun können, aber wir wollten unabhängig von anderen Institutionen und Geldern sein“, beschreibt Georges die Anfänge. Sie entscheiden sich fürs Essen – und laden zu Manakish und Gesprächen ein. Ihren ersten Foodtruck finanzieren sie sich über ein Crowdfunding.
Anfangs arbeiten bei Elbēn vor allem Menschen mit Fluchtgeschichte, viele von ihnen aus arabischen Ländern. Georges lernt sie über die syrische Community in Münster kennen, auch über seine Eltern. Eine Ausbildung in der Gastronomie hat jedoch niemand von ihnen. Um Nedal Georges sammeln sich Menschen, denen auf der Flucht nichts anderes übrig blieb als das Kochen zu lernen. In Ägypten, Griechenland oder der Türkei hätten sie dann in der Gastronomie gearbeitet. „Es ist der einzige Job, in dem du ohne Sprache arbeiten kannst“, meint er.
Kochkunst und Austausch
Das syrische Streetfood Manakish kommt in Münster von Anfang an gut an, vor allem unter Studierenden. Der Foodtruck steht damals viel auf Festivals, beliefert Hochzeiten und Geburtstage. Später wird die Kundschaft diverser – darunter viele Menschen aus dem Nahen Osten, die das Essen ihrer Heimat vermissen.
Im Sommer 2017 eröffnet Georges sein erstes Bistro: ein helles Ladengeschäft mit langen Tischen und Bänken. An den Wänden hängen Porträts, die aus kleinen Schnipseln verschiedener Fotografien zusammengesetzt sind. In einer Ecke entsteht zudem eine Bühne, die abends für Veranstaltungen genutzt werden kann. Auf der Speisekarte des Elbēn landen neben klassisch syrischen Varianten von Manakish mit Zatar, einer Thymian-Gewürzmischung, und Mhamara, einer Paprika-Creme, auch welche mit Gouda und Hirtenkäse. „Das ist sehr deutsch“, lacht Georges, „doch so schaffen wir Austausch.“
Elbēn ist allerdings mehr als Gastronomie. Georges investiert das erwirtschaftete Geld aus Bistro und Foodtruck in gemeinnützige Projekte und eine gesellschaftliche Mission. Neben einer GmbH hat er daher noch den Verein „Zwei Herzen“ gegründet. Der Name ist die Übersetzung für das syrisch-arabische Wort Elbēn. In diesem Jahr etwa wollen der Sozialunternehmer und sein Team einer Initiative für Kinder im Libanon helfen. In Münster selbst stellt der Verein Kunstschaffenden kostenlos eine Bühne bereit, veranstaltet Abendessen, Kleider- oder Büchertauschtage.
Georges erzählt von einer besonderen Begegnung: „Es kam jemand mit einem Deutschlernbuch vorbei, ein anderer mit Goethe. Beide haben schließlich ihre Bücher getauscht und sich unterhalten. Das war natürlich nicht einfach, aber sie haben viel gelacht – und das ist der Effekt, den wir sehen wollen.“ Auch räumlich ist Elbēn gewachsen. Noch vor Ausbruch der Pandemie entstand im Zentrum von Münster eine Begegnungs- und Kulturstätte. Dort finden Chorproben, Konzerte und Yoga statt.
Unerschütterlicher Glaube
Neben helfenden Händen und begeisterten Mitstreitenden habe es seit Beginn des Projekts auch Menschen gegeben, die Georges mit Skepsis und Rassismus begegnet seien. Schon bei der Suche nach einem geeigneten Ladenlokal sei er abgewiesen worden, so Georges. Vermietende hätten das Konzept oft nicht verstanden und ihn als unsicheren Mieter empfunden, erinnert er sich. „Und es kamen Leute ins Bistro, die sagten: ‚Wir wollen euch hier nicht haben.‘“ Von seinem Weg aber hat sich Georges trotz allem nicht abbringen lassen. „Begegnung mit Herz statt mit Hass“, so lautet der Glaubenssatz, den er bis heute vor sich herträgt und der ihn weitergebracht habe.
Nach zwei Jahren, erzählt er, hätten dieselben Nachbarn, die anfangs nicht einmal ihren Schlüssel bei ihm hinterlegen wollten, sein Essen bestellt. Sie hätten sich entschuldigt – und bei ihrem Auszug Möbel und Pflanzen an die Mitarbeitenden im Elbēn verschenkt. Georges hat dafür Verständnis: „Menschen haben Ängste, häufig dann, wenn sie andere Menschen nicht kennen.“ Er neigt nicht dazu, das zu verurteilen, er hegt keinen Groll, auch wenn er könnte. Georges sieht Verunsicherte, „die mit dem Unbekannten konfrontiert werden und denen die authentische Begegnung fehlt“.
Heute arbeiten im Elbēn Menschen aus der ganzen Welt, auch Studierende aus Münster, viele von ihnen ehrenamtlich. Nicht alle haben eine Migrations- oder Fluchtgeschichte. Über ein Portal, das Jobs an Reisende im Ausland vermittelt, kommen zudem immer neue Gesichter dazu. Georges sieht darin einen notwendigen Prozess der Integration: „Die Frage ‚Woher kommst du ursprünglich?‘ sollte sich nicht mehr stellen. Schließlich leben und arbeiten wir gemeinsam in dieser Stadt.“
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