Text: Demba Sanoh — Fotos: Benjamin Jenak
„Ich kämpfe um meine Freiheit. Um meine Zugehörigkeit. Um meinen Platz in dieser Welt. Um das Recht anzukommen und zu heilen.“ In bewegenden Zeilen beschreibt Muna AnNisa Aikins, wie beschwerlich ihr Leben bis hierhin war. Es ist nicht mehr als ein kurzer Ausschnitt aus ihrem Debüt „Die Haut meiner Seele“, doch einer, der aufwühlt.
Aikins schreibt, seit sie 13 Jahre alt ist. Die Literatur gehört zu ihr – und halte sie am Leben, erzählt sie. Worte helfen ihr, die letzten Jahrzehnte zu verarbeiten und sich zu fragen: Wer darf ich sein? Als Kind wird Aikins von einem Schlepper mit dem Flugzeug nach Deutschland gebracht. Und bis heute prägt sie die Zerrissenheit zwischen den Erinnerungen an ihre Heimat und den Erfahrungen, die sie hier machen musste.
Mit ihrem Buch wagt sie vor allem eine Rückschau auf eine Zeit die geprägt war von Krieg und Flucht, von Unsicherheit, Entfremdung und rassistischer Gewalt von weißen Menschen in der Nachbarschaft. Aber genauso vom Ankommen und Selbstermächtigung.
Mit dem Schreiben begonnen hat Aikins, um mehr über sich selbst zu erfahren, um ihre Traumata und Schmerzen zu verarbeiten. Worte wurden zur Therapie. Gleichzeitig wollte sie eine größere Debatte über das Flüchten anstoßen. Aikins beschreibt es als Prozess, der nicht einfach mit der Ankunft in Europa enden würde. „Mit allem, was unterwegs passiert, musst du weiterleben und aushalten, was Ankommen bedeutet: Anders aussehen und Fremdsein. Du musst diesen Bruch mit dem Vertrauten überleben und begreifen, dass die Welt, aus der du flüchtest, auch danach immer noch da ist.“
Erfahrungen mit anderen teilen
Aikins ist mit diesen Erfahrungen nicht alleine in Deutschland. Deshalb möchte sie nicht nur von sich erzählen, sondern auch Menschen mit ähnlichen Geschichten eine Stimme geben. Sie ist überzeugt davon, dass das Erlebte eine kollektive Erfahrung ist: die Flucht aus dem Bekannten gepaart mit Rassismus im Unbekannten. Ihres eigenen Privilegs, der deutschen Sprache mächtig zu sein, sei sie sich bei all dem bewusst: „Viele Menschen mit Fluchterfahrung haben erst gar nicht die Möglichkeit, sich mitzuteilen“.
Aikins spürt eine Verpflichtung, ihre eigenen Erfahrungen mit der Öffentlichkeit zu teilen, vor allem mit den Betroffenen, die das Aufgeschriebene nachempfinden können, aber auch mit allen anderen gesellschaftlichen Gruppen. Mit jenen also, die oft ahnungslos sind und es weiter bleiben würden, wenn sie nichts erfahren von den Erlebnissen, die Aikins mit ihnen teilen will: Was heißt es, eine andere Sprache sprechen zu können? Wie fühlt es sich an, in einem anderen Land aufzuwachsen und eine andere Kultur zu kennen? „Ich empfinde das alles als großen Reichtum.“ Aikins ist es wichtig zu verdeutlichen, dass all diese Menschen mehr sind als die Summe ihrer Erfahrungen und sie außerdem Zugang zu Welten haben, die der Mehrheitsgesellschaft oftmals fremd erscheinen.
Aikins spricht offen über ihre Gefühle und Traumata, um Menschen mit Lebensrealitäten zu konfrontieren, die geprägt sind von Vorurteilen, Ausgrenzung und verwehrten Chancen und vor denen sie ansonsten nur allzu häufig die Augen verschließen: „Meine Hoffnung ist, dass ich zeigen kann, wie es ist, in so einer Welt klar kommen zu müssen.“
Ein anderes Bild in den Medien
Doch selbst innerhalb der eigenen Gemeinschaft falle es häufig schwer, sich von den negativen Erlebnissen zu lösen, um sich anders wahrzunehmen. „Was uns zum Überleben zwingt, ist, dass wir immer weitermachen müssen.“ Was hilft? Sich der eigenen Identität bewusst zu werden, weiß Aikins. Sie selbst versteht sich als Schwarze Muslima – und das in einem mehrheitlich weißen und christlich-geprägten Land. Sie kämpft für Feminismus, für die Perspektiven von Frauen und weiblich gelesenen Personen.
Aikins streitet für eine andere, weniger negative Darstellung von Geflüchteten in den Medien. Was sie erlebt, verarbeitet sie in ihren Texten. Das Schreiben hilft Aikins beim Sortieren ihrer Gedanken und Erlebnisse.
Mit Literatur hat Aikins nicht nur privat zu tun, sondern genauso in ihrem Job. Die 30-jährige Sozialwissenschaftlerin arbeitet für den Verein Each One Teach One, der sich europaweit für die Interessen Schwarzer, afrikanischer und afro-diasporischer Menschen einsetzt. In ihrer Berliner Bibliothek sammelt die Organisation literarische Werke, Bücher und präsentiert diese bei einem jährlich stattfindenden Festival. Für Aikins zählt das zur Selbstermächtigung einer weltweiten Schwarzen Bewegung: „Der literarische Austausch zwischen afrikanischen und afro-diasporischen Menschen ist unbedingt notwendig, weil Rassismus ein weltweit institutionalisiertes System ist. Die Erfahrungen sind also global und deswegen müssen wir die Überlebensstrategien auch miteinander teilen.“
Ihren Kampf hat Muna AnNisa Aikins gewonnen – sie ist angekommen. Wie sehr ihr das Schreiben geholfen hat, das offenbaren die letzten Zeilen ihres Buches: „Ich atme den Schmerz aus und atme Heilung ein.“
Veto widmet den Mutigen und Engagierten im Land ein eigenes Magazin – 24/7 online und viermal im Jahr als gedrucktes (!) Heft: www.veto-mag.de/gedruckt