Text: Tom Waurig — Fotos: Amac Garbe
Als im Oktober 2014 ein paar wenige Hundert Menschen über die Prager Straße – eine bekannte Dresdner Einkaufsmeile – zogen, um gegen eine angebliche „Islamisierung“, „Glaubenskriege“ und Terrorismus zu demonstrieren, hätten nur wenige prognostiziert, dass sich deren sperrige Doktrin „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“, kurz Pegida, über Jahre in der Presseberichterstattung halten würde.
Doch entgegen aller Erwartungen wuchsen die Zahlen schon innerhalb von zwei Monaten auf 25 000 Demonstrierende an, die vereint lauthals gegen die Politik wetterten und Stimmung gegen die Aufnahme von Geflüchteten machten.
Der Ton wurde schnell rauer, die Reden extremer und der Kreis der Teilnehmenden exklusiver. Die Geschichten rund um den vorbestraften Pegida-Rädelsführer Lutz Bachmann sind bekannt. Geblieben ist nach knapp fünf Jahren ein zweiwöchentliches Zusammenkommen eines radikalisierten Ü50-Männerbundes.
Michael Nattke, Mitarbeiter des Kulturbüro Sachsen, wertet das Aufkommen der Dresdner Anti-Islam-Bewegung als einen Einschnitt. Denn nicht nur das Bachmann-Bündnis, auch seine Arbeit habe sich radikal verändert. Ging es vor einigen Jahren noch um die Auseinandersetzung mit der nun fast bedeutungslosen NPD, ist das rechte Lager heute deutlich schwieriger zu greifen.
Denn aus dem Schatten des einstigen rechtsextremen Alleinunterhalters traten neue Organisationen – die Identitäre Bewegung, der neurechte Verein „Ein Prozent“, die Neonazi-Splitterpartei „Der dritte Weg“, aber eben auch Pegida oder die AfD. Durch den zwischenzeitlich großen Zulauf bei Pegida entstand der Glaube an eine Bewegung.
Rechtsaußen tummeln sich also vielerlei Organisationen, die zwar wenig miteinander zu tun haben, sich aber in der gemeinsamen Idee verbunden fühlen. Sie alle profitieren vom anhaltenden Rechtsruck im Land und haben selbst viel dafür getan.
Wenn das Problem erkannt wird
„Die starren Grenzen zwischen klassischem Neonazismus, Rechtspopulismus und Neuen Rechten verschwimmen und sind daher nicht mehr so eindeutig definierbar“, weiß Nattke. Diese Wandlung am rechten Rand mache ihm zu schaffen, ergänzt er.
Als zum Beispiel im vergangenen Jahr in Chemnitz nach einer tödlichen Auseinandersetzung am Rande des Stadtfests 6000 Menschen – darunter bekannte Neonazi-Gruppierungen, deren Mitglieder immer wieder den verbotenen Hitler-Gruß zeigten – demonstrierten, sei im Nachhinein öffentlich in Frage gestellt worden, ob das denn nun tatsächlich ein rechtsextremer Aufmarsch gewesen sei, erinnert sich Nattke. „Solche Debatten machen eine Auseinandersetzung schwierig.“
Und auch die AfD, die an vorderster Front des Protestes lief, habe sich in Stellung gebracht, als parlamentarischer Arm dieser neuen Rechtsaußen-Bewegung, die gegen Geflüchtete hetzt, bewusst Unwahrheiten streut, politisch Andersdenkende diffamiert.
Trotz allem Negativen gebe es aber auch durchaus aufmunternde Momente, fügt Nattke an. So nehme er ein verändertes Problembewusstsein wahr – ausgerechnet in jenem Bundesland also, das von seinem einstigen politischen Oberhaupt Kurt Biedenkopf (CDU) in den neunziger Jahren attestiert bekam, die Sachsen seien „immun“ gegen Rechtsextremismus. Beinahe schon lobende Worte findet Nattke für Biedenkopfs Nach-Nach-Nachfolger und Parteifreund Michael Kretschmer. Und das, obwohl er die seit 1990 ununterbrochen regierende CDU einen „politischen Gegner“ nennt.
Kretschmer habe ihn und das Kulturbüro schon zu Beginn seiner Amtszeit um einen Austausch über die Neonazi-Szene im Freistaat gebeten – als erster Ministerpräsident überhaupt. Auch der Zuspruch für Anti-Rechts-Projekte sei gewachsen. Nattke macht das nicht unbedingt am Geld fest, immerhin schüttet SPD-Gleichstellungsministerin Petra Köpping jährlich rund vier Millionen Euro an Initiativen aus.
Rechtsextreme Gewalt nimmt zu
„Es wurde vor Jahren schon behauptet, dass Politik und Zivilgesellschaft auf Augenhöhe arbeiten. Die Realität allerdings sah anders aus. Inzwischen. haben wir uns zumindest angenähert und es wird auch ganz anders mit Initiativen wie unserer gesprochen. Es geht immer mehr um das bessere Argument und nicht mehr nur um Ideologie. Das ist neu seit dieser Legislatur“, so Nattke. Dabei ist Sachsen angewiesen auf die Expertise der Engagierten, von den es im Freistaat eine Menge gibt.
Gleichzeitig ist auch der Problemdruck hier besonders groß. So werden im aktuellen Verfassungsschutzbericht 2800 Personen dem Rechtsextremismus zugeordnet. Zuletzt war vor zehn Jahren ein vergleichbar hoher Wert festgestellt worden. Auch bei den rechtsextremen Straftaten stellte die Behörde einen überdurchschnittlichen Zuwachs fest – plus 13 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Gezählt wurden 2199 Delikte, die sich zuletzt vor allem gegen Menschen mit Migrationshintergrund richteten.
Auch der Leiter der reaktivierten sächsischen Sonderkommission Rechtsextremismus, abgekürzt Soko Rex, Dirk Münster, bescheinigt dem Freistaat in einem Interview „ein besonderes Problem“. Die Szene habe eine Affinität zur Bewaffnung, so Münster weiter.
Und auch die Zahl der Neonazi-Konzerte habe deutlich zugenommen. Das jährliche Treiben im ostsächsischen Ostritz sei nur das, was überhaupt an die Öffentlichkeit gerate, erklärt Nattke. In dem kleinen Ort an der sächsisch-polnischen Grenze fand im Juni bereits zum dritten Mal das Festival „Schild und Schwert“ statt – eine Mischung aus Rechtsrock, politischen Reden und Kampfsport.
Daneben gebe es viele kleine Gemeinden, wo Neonazis versuchen würden, neue Veranstaltungen zu etablieren. Zuletzt konnte das Kulturbüro bei einem Forum des sächsischen Städte- und Gemeinderats darüber berichten, was bei solchen Konzerten getan werde könne – Auflagen, strenge Kontrollen und das Führen politischer Debatten.
Politische Bündnisse schmieden
In solchen Fällen oder aber, um so etwas frühzeitig zu verhindern, berät das Kulturbüro seit 2001 Initiativen, Parteien, Schulen oder Kommunalverwaltungen im Umgang mit demokratiefeindlichen Auswüchsen. Sie helfen beim Erkennen rechtsextremer Symbole oder Strategien, aber genauso beim Aufbau zivilgesellschaftliche Netzwerke. Michael Nattke stieß vor zehn Jahren zum Team. „Wenn wir damals in eine Ortschaft kamen und über Rechtsextremismus sprechen wollten, bekamen wir sofort den Stempel ‚linkstextrem‘.“ Heute sei das anders.
Das Kulturbüro setzte von Beginn an auf die mobile Beratung, ist täglich in ländlichen Regionen unterwegs – denn dort sieht der Verein auch seinen Schwerpunkt, erzählt Nattke. Die Anfragen seien recht unterschiedlich – von der Initiative, die sich wegen zwielichtigen Veranstaltungen des Heimatvereins meldet, bis hin zu Städten oder Landkreisen, die nach Informationen über die regionale Neonazi-Szene fragen.
„Was am Ende einer solchen Beratung entsteht, ist offen“, beschreibt Nattke. Oft gehe es darum, lokale Partnerschaften zu organisieren, damit weder die Engagierten noch die Verwaltung alleine dastehen müssten. Viele sächsische Demokratie-Bündnisse habe das Kulturbüro deshalb in ihren Anfängen begleitet. „Ich bin überzeugt davon, dass es überall in Sachsen Menschen gibt, die Geflüchteten helfen oder die Demokratie hochhalten wollen – die müssen sich dann nur zusammenfinden.“
In Beratungen lege er auch den kommunalpolitisch Verantwortlichen nahe, sich mit Engagierten zu verbünden, mit Gleichgesinnten im Fußballklub, in den Kirchen oder der Feuerwehr. „Die holen wir dann alle an einen Tisch und versuchen, gemeinsam eine Lösung zu finden. Es geht nicht darum, überall der gleichen Meinung zu sein, sondern sich auf Punkte zu einigen, die trotz aller hitzigen Diskussionen in einer Gemeinde nicht verhandelbar sind – Rassismus zum Beispiel.“
Gefahren in der Kommunalpolitik
Zuletzt wurde immer wieder darüber berichtet, dass gerade die Kommunalpolitik unter Beschuss steht – Anfeindungen, Morddrohungen oder tätliche Angriffe sind längst keine Einzelfälle mehr. So wurde nur wenige Tage nach dem Mord am langjährigen Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke der Oberbürgermeister von Hockenheim, Dieter Gummer, von einem Unbekannten niedergeschlagen und schwer verletzt. Der Täter griff den SPD-Kommunalpolitiker vor dessen Privathaus an.
Bereits 2017 wurde Andreas Holstein, Bürgermeister von Altena, in einem Döner-Imbiss mit einem Messer angegriffen und am Hals verletzt. 2015 traf es die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker, der ein Jagdmesser in den Hals gerammt wurde. Reker überlebte nur knapp. Laut einer Umfrage der Zeitschrift Kommunal für das ARD-Politmagazin „Report München“ haben bereits 40 Prozent aller befragten Rathäuser mit Stalking, Beschimpfungen und Drohungen zu kämpfen gehabt.
Während über den Umgang mit derartigen körperlichen Attacken Einigkeit herrscht, werde mit der AfD in Kommunalparlamenten sehr unterschiedlich umgegangen. Nach den Wahlen im Mai stellt die Partei in vielen Stadträten und Kreistagen Sachsens die stärkste Fraktion. Nattke ist gespannt, wie es weitergeht, hofft aber, dass viele aus dem Umgang mit der NPD gelernt haben. „Das wird hart in den nächsten Jahren und die Situation macht mir viel mehr Sorgen als die Landtagswahl.“
Der politische Druck auf kleinere Vereine werde sich erhöhen, weil die AfD nun in verschiedenen Gremien Mitsprache habe, in Jugendhilfeausschüssen zum Beispiel, die auch über Fördergelder entscheiden. „Die letzten Aktiven, die in den kleinen Gemeinden geblieben sind, stehen jetzt noch mehr unter Beschuss.“ Das Kulturbüro hingegen habe wenig mit Anfeindungen zu tun – denn zur Zeit sitzt die AfD noch mit gerade einmal neun Abgeordneten im Sächsischen Landtag.
Auseinandersetzung mit der AfD
„Wenn die AfD in die Regierung kommt, gibt es solche Vereine wie uns nicht mehr – das ist klar.“ Nattke sieht ein Problem darin, dass sich die Partei im Kommunalen etabliert. Gleichzeitig hat sie Schwierigkeiten, Listen für ehrenamtliche Ämter in Städten und Gemeinden zu besetzten. Aus allen ostdeutschen Bundesländern wurde berichtet, dass der AfD in den Kommunalvertretungen mehr Sitze zugestanden hätten, als die Partei überhaupt besetzen konnte.
Sachsens AfD-Chef Jörg Urban machte die fehlende Bezahlung für die Ämter dafür verantwortlich. „Vielen geht es um eine finanzielle Absicherung. Die Aufgaben in den Kommunen spielen für die AfD kaum eine Rolle“, so Nattke.
Laut Umfragen in den neuen Ländern steht die Partei dennoch auf Platz eins. Nattke sieht die AfD nicht als sächsisches, sondern als ostdeutsches Problem. „Gebe es die Bundesrepublik nicht, hätten wir in Ostdeutschland ähnliche politische Verhältnisse wie in Polen oder Ungarn.“ Ohnehin habe es ganz Europa mit rechtspopulistischen Parteien zu tun, ergänzt er.
In Sachsen aber gebe es besondere Vorraussetzungen – einen autoritären Politikstil der CDU zum Beispiel, die über Jahre fehlende Anerkennung zivilgesellschaftlichen Engagements oder auch das kritische Betrachten von Selbstorganisationen wie freien Schulen. „Nach den Ergebnissen bei den Europa- und Kommunalwahlen war ich erst einmal mehrere Tage deprimiert und sehr ernüchtert. Ich hatte schon die Hoffnung, dass zumindest die großen Städten in Sachsen das Resultat der AfD ein wenig nach unten korrigieren werden. Aber selbst in Leipzig lag die AfD über dem Bundesschnitt.“
Kurzfristige Lösungen hat Nattke keine, um den Zuspruch für die Rechtsaußen-Partei wieder zu verringern. Umso verheerender sei es, wenn die CDU in ostdeutschen Kommunen nun sogar mit der AfD paktiere. Denn die Verabredung, nicht mit der AfD kooperieren zu wollen, bröckelt.
Ohne Parteibuch in den Stadtrat
Nattke selbst wagte kürzlich den Schritt in die Politik, kandidierte im Mai 2019 für den Stadtrat in Dresden – parteilos zwar, aber auf der Liste der SPD. 407 Stimmen waren es am Ende, deutlich zu wenig. „Mein Listenplatz war relativ aussichtslos und der Einzug in den Stadtrat wäre ein Wunder gewesen.“ Mitgenommen habe er sich den Respekt vor der kommunalpolitischen Arbeit und den Ehrenamtlichen, „die mit ihrer Klappleiter losziehen und Plakate hängen“.
Angetreten ist er für eine rot-rot-grüne Mehrheit im Stadtparlament. Die habe in den letzten fünf Jahren viel Gutes angeschoben – Ökologie, Bepflanzung, Verkehrsführung, Schulumbau und sozialer Wohnungsbau, das sind für Nattke die drängenden Themen in Sachsens Landeshauptstadt. Dem Bündnis aus SPD, Linken und Grünen wollte er mit seinen Stimmen zu fünf weiteren Jahren verhelfen. Die Situation aber ist aktuell schwierig – denn eindeutige Mehrheiten gibt es im neugewählten Stadtrat nicht.
Ungewiss ist derweil auch, wie es mit Pegida weitergeht. Die Bewegung habe nicht mehr so einen starken Einfluss wie früher, erklärt Nattke, und sei rechtsaußen nicht mehr tonangebend. Dennoch bleibt sie die größte Demonstrationsbewegung seit 1989 – und eine, der es über mehrere Jahre gelungen ist, wöchentlich eine vierstellige Zahl an Menschen zu mobilisieren.
„Übrig geblieben ist nun ein harter Kern an Demonstrierenden, den wir mit unseren herkömmlichen Methoden nicht mehr erreichen.“ Nattke nennt Pegida eine „Polit-Sekte“, deren Mitglieder in einer ganz eigenen Welt leben würden. Auf jedes Argument folge meistens eine einstudierte Erklärung samt Verschwörungstheorien.
Mit Fakten seien die nicht mehr greifbar. „Es gibt Hardliner in solchen Bewegungen – die gab es auch früher schon, nur waren sie da weniger sichtbar. Ich kann natürlich mit denen reden“, sagt Nattke, „aber ich werde ihre Einstellung nicht ändern. Das schafft nur noch ein Aussteigerprogramm.“
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