Text: Maike Schöfer — Foto: Benjamin Jenak
Da hängt er: Jesus am Kreuz. Eine riesige Holzfigur hoch oben in der Kirche. Aus Wunden an den Händen, Füßen und am Oberkörper rinnt Blut. Und es scheint, als würde es jeden Moment auf den Boden tropfen. In vielen Kirchen (nicht nur in meiner) ist Blut zu sehen: besonders oft auf Bildern von Jesus am Kreuz, in biblischen Darstellungen und sogar im Gottesdienst. Auch beim Abendmahl geht es um Blut.
Blut kommt genauso außerhalb der kirchlichen Mauern vor: in Filmen, Nachrichten, Musik und Kunst – ob triefend, rinnend, tiefrot oder spritzend. Dieses Blut darf und kann gezeigt werden. Alles komplett normal. Menstruationsblut dagegen gilt als eklig und schmutzig. Darüber wird auch bitteschön nicht gesprochen und gezeigt wird es erst recht nicht. Sogar in Tampon- und Bindenwerbung wurde lieber eine blaue Flüssigkeit anstelle von Blut verwendet.
Periodenshaming Level 3 000 und Hello Doppelmoral! Lasst uns über Menstruation reden und sie aus der Tabu-Ecke herausholen …
Am Anfang war das Blut oder doch erst der Eisprung!? Oder wie war das nochmal? Nicht nur die Darstellung von Menstruationsblut wird vermieden, auch das Wissen über Menstruation. Die biologischen Vorgänge werden wenig vermittelt. Erinnert ihr euch an die Astronautin Sally Ride, die 1982 für nur sechs Tage ins All flog!? Ihr wurden 100 Tampons mitgegeben und Ride wurde vor Abflug gefragt, ob das denn auch reiche. Hach.
Sogar menstruierende Menschen selbst kennen sich nicht immer mit ihrem Zyklus aus – so wie ich offenbar auch. Flüsternd und heimlich wird in der Schule nach einem Tampon gefragt und während der Periode stets kontrolliert, ob etwas ausgelaufen ist. „Erdbeerwoche“, „Maler im Keller“ und „auf der roten Welle surfen“ sind merkwürdige und gängige Umschreibungen für einen natürlichen körperlichen Vorgang, der in unserer Gesellschaft keinen Platz hat.
Auch in Kirche nicht! Menstruierende galten laut Erstem Testament als „unrein“ und durften deshalb nicht in den Gottesdienst. Das gibt es in der Evangelischen Kirche zwar lange nicht mehr, doch es ist nach wie vor ein Tabu-Thema.
Wer die besagten Bibelstellen zum Thema Menstruation genau liest, dem wird auffallen: Die Kategorien „unrein“ und „rein“ bedeuten zur Zeit des Ersten Testaments etwas anderes. Es ging nicht um „unhygienisch“ und „hygienisch“ und damit auch nicht um „gut“ und „böse“, sondern um ein religiöses, priesterliches Konzept, das sich auf alle Körperflüssigkeiten der Menschen (auch der Männer) bezog. Es ging sogar noch weiter: alles aus der „Natur“ galt als unrein, alles aus der „Kultur“ galt als rein. Trotzdem war die Zeit deutlich patriarchal geprägt.
Heute haben sich im religiösen Sinne die Vorstellungen von Heiligkeit, Reinheit und Unreinheit in der Evangelischen Kirche geändert – wir haben keine Tempel, Opferriten, Reinheitsgebote. Viele Gebote und Verbote wurden neu interpretiert oder haben keine Bedeutung mehr.
Die Bibel-Texte zur Menstruation aber gaben Anlass, in den darauffolgenden Jahrhunderten gerade Frauen explizit zu unterdrücken und im Sinne der Unreinheit abzuwerten. Bibelstellen wurden absichtlich out of context gedeutet, um patriarchale Strukturen durchzudrücken. Ein Beispiel: die Menstruation sei eine Strafe Gottes, weil Eva sündigte. Und diese Strukturen finden sich noch heute im Umgang mit Menstruation wieder.
Ein kleiner Nerd-Fakt obendrauf: eine Frau hat nach katholischer Auffassung nie menstruiert. Die Heilige Jungfrau Maria wurde hochstilisiert zur Reinheit pur und so zum Gegenstück der „bösen Eva“ gemacht. Von wegen Bloody Mary …
Auf Instagram spreche ich offen über Menstruation oder halte im Talar einen Tampon in die Kamera. Ihr könnt euch die Reaktionen wahrscheinlich vorstellen: „eklig“, „lösch das“, „wie kannst du sowas als Pfarrerin machen“. Periodenshaming trifft aber nicht nur mich, sondern genauso meine Pfarrkolleg*innen.
Meine Freundin und Pfarrerin Lena Müller schreibt mir: „Wenn mir mehr oder weniger subtil vermittelt wird, Menstruation sei etwas Unanständiges, etwas, das auf keinen Fall mit mir als ‚Amtsperson‘ in Verbindung gebracht werden darf, erschwert mir das die Ausübung meines Dienstes erheblich. Denn ich habe schwere Endometriose. Alle vier Wochen, also auch jeden vierten Sonntag, habe ich wahnsinnige Schmerzen. Muss ich das noch krampfhaft (höhö) verstecken, damit niemand auf die Idee kommt, dass die Pfarrerin gerade menstruiert?“
Und sowieso ist unsere schwarze, lange, übergroße Amtstracht absolut ungeeignet, um damit fleckenfrei einen Tampon zu wechseln.
Das, was mir und vielen anderen besonders wichtig ist, sind Austausch, Informationen und Enttabuisierung von Menstruation. Informieren und thematisieren ist gerade deshalb wichtig, weil Menners in Religion und selbst in der Medizin immer noch als „Norm“ und Frauen bzw. Menstruierende in Theologie und Medizin als abweichend der Norm gelten. Daran ist sicher auch die patriarchale Auslegung der Schöpfungsgeschichte schuld: Gott* schuf den Mann und aus seiner Rippe die Frau. Deshalb gilt der Mann als Mensch und die Frau als, ja, Mensch, aber als weniger wert. Falsch, setzen, sechs. Das sage ich als Feministin und Christin dazu …
Gott* schuf den Menschen adam – lässt sich mit Erdling übersetzen. Damit ist der Mensch an sich gemeint, ein androgynes Wesen. Und daraus „baut“ Gott* die Frau. Erst in diesem Moment entsteht die geschlechtsdifferenzierte Menschheit. Keine Abwertung ist darin erkennbar.
Aber diese, von Kirchenmännern gemachte Abwertung ist bis heute spürbar. Körperlichkeit, Menstruation, Lust, Sexualität – all das, was jahrhundertelang als unrein und böse galt und Frauen zugeschrieben wurde, wird bis heute von Kirche thematisch ausgeklammert und feministische Theologie stiefmütterlich behandelt.
Wer denkt, „ach, so schlimm ist es doch lange nicht mehr“, irrt. Ich erinnere mich noch gut an das Start-up „Pinky Gloves“. Vor drei Jahren pitchten zwei Männer bei „Die Höhlen der Löwen“ ihre clevere Idee: einen pinken Plastikhandschuh, mit dem Menstruierende sicher und diskret ihren Tampon entfernen können. Wow.
Noch immer wird öffentlich zu wenig über Menstruation gesprochen. Und noch immer gilt Menstruation als eklig, als unhygienisch und schmutzig. Noch immer gibt es wenig Rückhalt, Verständnis und Unterstützung, auch nicht im Arbeitskontext – bei starken Beschwerden oder Endometriose zum Beispiel. Menstruierende schämen sich, weil Menstruation beschämt wird.
Dabei sehe ich gerade bei Kirche den Auftrag, aktiv gegen dieses Tabu in Gesellschaft und in ihren eigenen Reihen vorzugehen. Denn schon Jesus sagte: „Sieh, ich bin bei euch alle Tage“. Menstruation ist also kein privates Thema – die Menstruation ist politisch: es geht um Körper, Uterus, Reproduktion, Gesundheit, Medizin, Sexualität, Biologie, um Macht, Selbstbestimmung und Gleichberechtigung.
Vielleicht kann eine Geschichte aus der Bibel helfen: Im 2. Buch Mose wird Rachel erwähnt. Sie stiehlt einen Hausgott und setzt sich drauf. Als ihr Vater kommt und den Hausgott sucht, sagt sie, sie könne nicht aufstehen, denn es gehe ihr „nach der Frauen Weise“. Rachel ist wegen ihrer Periode von der Pflicht enthoben und der Vater lässt von seiner Suche ab.
Ein offener Umgang mit der Periode: ohne Scham und Ekel, mit Unterstützung und Aufklärung. Das wünsche ich mir von Gesellschaft und Kirche – und kostenlose Menstruationsartikel auf allen Klos für alle. Und was ist mit Jesus hochoben in meiner Kirche? Es gibt mittelalterliche Interpretation und Vorstellungen von Jesu Seitenwunde als Vulva. Free bleeding, Jesus! Sonst findest du Periodenartikel auf der Toilette.
Religionslehrerin und Pfarrerin Maike Schöfer setzt bei Instagram auf klare Worte. Gott* schreibt sie mit Sternchen und hat das feministische Andachtskollektiv initiiert.