Nein und Amen — Kolumne Maike Schöfer

Feminismus und Kirche – wie soll das denn bitte zusammenpassen? Ich will es euch erklären. Nur so viel vornweg: Kirche wird von Männern gemacht, stimmt total, aber das Patriarchat ist nicht made by Gott*.
15. August 2023
4 Minuten Lesezeit
Text: Maike Schöfer — Illustration: Karla Schröder x Midjourney

Ich bin Feministin. Und Christin. Punkt! Dabei würden viele an das Ende dieser Aussage wohl eher ein Fragezeichen setzen. Oder zwischen Christin und Feministin das Ungleichzeichen. Denn für andere Menschen ist es ein Widerspruch. Und ich höre dann Sätze wie: „Hä? Aber die Bibel ist doch frauenfeindlich.“ Oder: „Die Kirche ist ein Männer-Verein und FLINTA haben da keinen Platz.“ Evangelikale und fundamentalistische Christ*innen dagegen würde meine Benennung als Feministin wahrscheinlich komplett streichen wollen. Das Wort Gott*es und die biblischen Lehren sind für sie nicht mit Feminismus vereinbar. Sic!

Ich kann erste ablehnende, irritierte und verwunderte Reaktionen verstehen. Denn Kirche wurde und wird zum größten Teil immer noch von Männern gemacht. Weiße, alte, hetero Menners. Und wenn ich Menners schreibe, meine ich damit das System. Das Patriarchat. Die Kurzfassung: Menners haben die Bibel geschrieben, übersetzt, interpretiert und gepredigt. Wenn ich Christentum in der Google Bildersuche eingebe, sehe ich Männer, Priester, weiße Jesus-Darstellungen, natürlich den Papst – und Frauen sitzen fromm in den Bankreihen, wenn überhaupt. Regenbogenfahne? Nicht eine Farbe ist weit und breit in Sicht.

Frauen auf der Kanzel? Keine. Obwohl schon seit Jahrzehnten Frauen im Pfarramt sind. Und so wird Kirche meist auch in den Medien repräsentiert: patriarchal, alt, traditionell, verstaubt, unbeweglich und ohne Frauen. All das sind Bilder und Assoziationen, die die meisten im Kopf haben, wenn sie an Kirche denken. Es ist natürlich unbestreibar, dass Kirche das Patriarchat himself ist. Und wie! Ich weiß das selber nur zu gut. Don‘t ask.

Aber! Und jetzt kommt ein wütendes Aber. Ein Aber gegenüber öffentlichen Darstellungen und Wahrnehmungen. Gegenüber den Menners in meiner Kirche. Und gegenüber anderen Feminist*innen. Kirche ist doch so viel mehr als die oben aufgelisteten Zuschreibungen. Vor allem ist Kirche nicht gleich Gott*, nicht gleich Glaube, nicht gleich Bibel. Ungleichzeichen. Ausrufezeichen!

Kirche wurde und wird zum größten Teil immer noch von Männern gemacht. Weiße, alte, hetero Menners. Und wenn ich Menners schreibe, meine ich damit das System. Das Patriarchat.

Es gibt schon lange feministische Bewegungen in beiden Kirchen, evangelisch wie katholisch. Und es gab und gibt schon immer Frauen und Queers – in der Bibel, in der Kirchengeschichte, in Legenden und Erzählungen und in der Gegenwart, die geglaubt und sich auch feministisch engagiert haben. Ich denke an Dorothee Sölle, Dorothy Day, Jeanne d‘Arc, Maria von Nazaret, die Heilige Kümmernis, Simone Weil, Mary Daly, Sarah Vecera, Kerstin Söderblom. Ich könnte noch lange weitertippen. Du kennst sie nicht? Do your homework.

Und hey – even Jesus, even Jesus was a Feminist, lieber Manfred. Das aber wird von der nicht-kirchlichen Öffentlichkeit nicht (so gerne) gehört. Und überhört von Traditionalist*innen und Konservativen in den eigenen Reihen. Schlimmer noch: evangelikale Influencer*innen diffamieren feministische und queere Christ*innen täglich im Netz. Regenbogenfahnen, die vor Kirchen hängen werden zerrschnitten und Ende Januar wurde ein Queerer Gottesdienst von Theologiestudierenden in Berlin undercover von einem rechtsradikalen Youtuber gefilmt und öffentlich verspottet. Gefahr für queere Christ*innen is real. 

Aber let‘s be clear: mein Glaube macht mich zur Feministin. Wie kann ich denn die christlichen Botschaften von Nächstenliebe, Gerechtigkeit und Frieden anders verstehen als feministisch? Gerechtigkeit im christlichen Sinne ist nur Gerechtigkeit wenn sie alle Menschen einschließt. Alle Geschlechter. Jeden Körper. Alle Formen der Liebe. Jede Herkunft. Eigentlich easy, oder?

Das Patriarchat ist nicht made by Gott*, sondern made by Menners. Jesus steht schließlich an der Seite der Ausgeschlossenen und Unterdrückten – das zieht sich durch das ganze Zweite Testament. Und dort ist Gott* zu finden. In der Zuwendung. In der Liebe. Im Kampf gegen Ungerechtigkeit. Und nicht in der Herrenloge. 

Even Jesus was a Feminist, lieber Manfred. Das aber wird von der nicht-kirchlichen Öffentlichkeit nicht (so gerne) gehört. Und es wird überhört von Traditionalist*innen und Konservativen. 

Was ich mir wünsche? Drei Dinge: Support und Zusammenarbeit mit anderen, nicht-religiösen Feminist*innen. Tatsächlich werde ich von nicht-religiösen Feminist*innen entweder belächelt, übersehen, kritisiert. „Selbst Schuld, wenn du in dem Männerverein bleibst“, das höre ich oft. Und auf feministischen Demos wird neben mir auch schonmal lauthals „Kein Gott, kein Staat, kein Patriarchat“ gebrüllt. Ja, an so einen patriarchalen Gott* glaube ich auch nicht, ist aber trotzdem verletzend, Birte. In einigen feministischen Bubbles – nicht in allen – treffe ich auch auf ein eher religions- und kirchenfeindliches Umfeld. Dann halte ich meine Religion zurück.

Ich verstehe, woher negative Haltungen gegenüber Religion und Kirche kommen. Gleichzeitig aber verstehe ich die Pauschalisierungen und Vorverurteilungen nicht. Das System ja – den einzelnen Menschen nicht. Und hey: intersektional bedeutet doch auch religiöse Menschen miteinzubeziehen. Warum gegeneinander. Better together! 

Ich wünsche mir ein differenzierteres Bild von Kirche und von christlichen Menschen in der Öffentlichkeit. Da sind so viele feministische und christliche engagierte Menschen. So viele gute und wichtige Initiativen, Impulse, Gemeinden, Bücher, die es nicht in die Öffentlichkeit oder Wahrnehmung schaffen. Macht die mal lauter! Holt sie aus der Unsichtbarkeit heraus. Und ich wünsche mir echten, ehrlichen Support von weißen, hetero Männern in meiner Kirche. Wo ist euer feministischer Kampf? Wo? Es reicht nicht zu sagen: „Unsere Tür ist für alle offen“, „In der evangelischen Kirche können Frauen doch schon Pfarrerinnen werden, was wollt ihr denn noch?“ Das hat wirklich mal ein Kollege zu mir gesagt! Nope.

Schaut hin, wo Ungerechtigkeiten, Sexismus, Rassismus, Gewalt, Queerfeindlichkeit oder Ableismus in unseren Kirchen geschieht. Hört zu. Bildet euch. Sensibilisiert euch. Macht euren Platz frei. Teilt eure Privilegien. This was I want to see. And this is what I want to hear: Ich bin Feminist. Und Christ. Punkt. Ausrufezeichen.

Religionslehrerin und Pfarrerin Maike Schöfer setzt bei Instagram auf klare Worte. Gott* schreibt sie mit Sternchen und hat das feministische Andachtskollektiv initiiert.

Weiterlesen

Überforderung mit System — Claire Funke

Claire Funke ist alleinerziehend und wütend auf die Verhältnisse. Sie weiß nur zu gut, wie es ist, wenn die Kräfte ausgehen. Die Care-Aktivistin sagt: Fürsorgearbeit ist kein individuelles Problem, sondern eine gesellschaftliche Aufgabe.

Nein und Amen — Kolumne Maike Schöfer

Lets talk about: Menstruation! Bloody Mary? Noch immer wird öffentlich zu wenig über Menstruation gesprochen. Und noch immer gilt Menstruation als schmutzig und unhygienisch. Warum wir Informationen und eine Enttabuisierung brauchen.

Im Vertrauen — Kazim Erdogan

Nichts ist wichtiger als Kommunikation, findet Kazim Erdogan. Der Psychologe und Soziologe leitet in Berlin-Neukölln eine Selbsthilfegruppe für türkischstämmige Männer. Es geht um Gewalt und Emotionen. Zu Besuch in einem geschützten Raum.

Ort der Zuflucht — Susan Al-Salihi

An der deutschen Bürokratie ist Susan Al-Salihi schon oft verzweifelt. Heute bringt sie andere Frauen mit Migrationsgeschichte zusammen, die voneinander lernen und sich gegenseitig zu stützen – in einem Land, das ihnen vieles abverlangt.

Freie Kunst — Anika Krbetschek

Für Anika Krbetschek ist die Kunst Therapie und ein Schwert im Kampf gegen Ungerechtigkeit zugleich. Und genauso Sprachrohr für das, was in ihr und um sie herum passiert. Ihre Mission hinter allem: Kunst für alle zugänglich machen.

Journalismus mit Haltung

Mit Veto geben wir Aktivismus eine mediale Bühne und stellen all jene vor, die für Veränderung etwas riskieren. Veto ist die Stimme der unzähligen Engagierten im Land und macht sichtbar, was sie täglich leisten. Sie helfen überall dort, wo Menschen in Not sind, sie greifen ein, wenn andere ausgegrenzt werden und sie suchen nach Lösungen für gesellschaftliche Probleme.

Mediale Aufmerksamkeit aber bekommen ihre mutigen Ideen nur selten. Das muss sich ändern – und Aktivismus endlich raus aus der Nische! Die Aktiven brauchen vor eine starke Stimme und Wertschätzung für ihre Arbeit. Mit Veto machen wir Engagement sichtbar und zeigen denen, die finden, dass es nun höchste Zeit ist, sich einzumischen, wie es gehen kann. Unsere Botschaft an alle Gleichgesinnten da draußen: Ihr seid nicht allein!

Mit Print gescheitert?

Veto gab es bis Sommer 2022 auch als gedrucktes Magazin. Doch die extrem gestiegenen Preise für Papier, Druck und Vertrieb wurden für uns zur unternehmerischen Herausforderung. Gleichzeitig bekamen wir Nachrichten aus der Community, dass sich viele ein Abo nicht mehr leisten können. Wir waren also gezwungen, das gedruckte Magazin nach insgesamt zehn Ausgaben (vorerst) einzustellen.

Aber – und das ist entscheidend: Es ist keinesfalls das Ende von Veto, sondern der Beginn von etwas Neuem. Denn in Zeiten multipler Krisen wird Veto dringend gebraucht. Um Hoffnung zu geben, zu verbinden, zu empowern und zu motivieren. Deshalb machen wir alle Recherchen und Porträts kostenfrei zugänglich. Denn: Der Zugang zu Informationen über Aktivismus und Engagement darf keinesfalls davon abhängen, was am Ende des Monats übrig ist.

Transparenzhinweis

Veto wird anteilig gefördert von der Schöpflin Stiftung, dem GLS Treuhand e.V., dem Presse- und Informationsamt der Bundesregierung und der Bürgerstiftung Dresden. Bis 2022 war auch die ZEIT STIFTUNG BUCERIUS beteiligt. Der Aufbau der Webseite wurden realisiert durch eine Förderung der Amadeu Antonio Stiftung (2019) und des Förderfonds Demokratie (2020).

Du kannst uns mit einer Spende unterstützen: DE50 4306 0967 1305 6302 00 oder via PayPal.