Text und Fotos: Thea Marie Klinger
Treibende Beats dröhnen aus dem Molotow Club auf der Hamburger Reeperbahn. Drinnen auf der Tanzfläche zerplatzen über den Köpfen der Crowd Seifenblasen. Und ab und zu zupft eine Person ein Taschentuch aus der kleinen Pappbox, die vorn auf der Bühne steht und wirft es in die Luft. Das weiße Stück Papier segelt dann wie eine Botschaft durch die Luft: „Emotions auf Kurs“, tönt es aus den Lautsprechern. Was damit gemeint ist: Alles darf gefühlt werden, wenn Gigolo Tears und Lila Sovia zusammen auf der Bühne ihre Features performen.
In Leipzig geboren und aufgewachsen, lebt Lila Sovia heute in Hamburg. Mit 17 das erste Mal auf der Bühne, um in einem Poetry Slam Text das Patriarchat auseinander zu nehmen, folgte kurze Zeit darauf das Finale der Deutschen Slam Meisterschaft. Im Gedichtband „Fluide“ wirft Sovia Blicke auf eine cis-männlich dominierte Welt – aus einer nicht-binären Perspektive, mit der sich die kunstschaffende Person ihren Platz in der Spoken-Word-Szene erkämpft hat. Inzwischen sind zur Lyrik vielfältige Musikstile von Boombap, Dancehall bis Cloud-Rap dazu gekommen, über die Lila Sovia feministische Gedanken und Erfahrungen ins Publikum bringt.
Vor dem Auftritt sitzen Lila Sovia und Gigolo Tears entspannt im Backstage: ein letztes kurzes Gespräch, bevor es losgeht. „Mein Gott, das machen wir intuitiv! Auf jeden Fall wird es traurig, emotional, wütend“, ruft Sovia und trägt nochmal Lipgloss auf. Und ja, das wird es dann auch.
Die Songs sind soft, kicken aber genauso wie der Style: lila Vokuhila, fliederfarbenes Hemd – darunter ein Shirt mit der Aufschrift Father Figure, darüber drei fette Ketten, an die sich ein Plastikbärchen klammert. Die blond gefärbten Augenbrauen und die Glitzersteinchen auf den Zähnen leuchten im Bühnenlicht. „Wer mich kennt, erkennt mich auch“, meint Sovia. Dadurch werde es aber auch schwer, mal aus der Rolle heraus zu treten – sie wird zur Arbeit, die Musik wie ein Kind, das immer dabei ist.
Kunst und Lohnarbeit
In den vergangenen eineinhalb Jahren habe dieses Kind eigentlich alles gedurft, sagt Lila Sovia schmunzelnd. „Auch Blaubeeren an die weiße Wand schmeißen.“ Nach so viel Aufmerksamkeit sei Sovia an einem Punkt angekommen, an dem es Zeit war, innezuhalten und zu hinterfragen, wie viel Zeit und Raum die Musik wirklich bekommen soll. Alle Ressourcen auf eine Karte zu setzen, alle Energie da reinzugeben sei gewagt und „in dem Maße langfristig nicht machbar“.
Denn neben der Kunst galt es auch noch ein Lehramtsstudium und die Lohnarbeit unter einen Hut zu bringen. Das Studium sei inzwischen zwar so gut wie geschafft, aber das werfe wieder neue Fragen auf: Bleiben neben einem Vollzeit-Job Zeit und Energie, um Songs zu schreiben und zu performen? Und wie herausfordernd ist es als queere Person in einem Lehrberuf? „Ich glaube schon, dass ich eine coole Lehrperson wäre. Aber ich müsste genauso eine bestimmte Art von Diskriminierung in Kauf nehmen und mich mit anderen anlegen“, bemerkt Sovia.
Die Umstände jedoch vertagen eine Entscheidung einstweilen: In nächster Zeit stehe ohnehin die Kunst im Vordergrund. Den klassischen Schreibtisch zu Hause hat Lila Sovia gegen einen Lesesessel mit Schreibunterlage eingetauscht, mit indirekter Beleuchtung, Mikrofon und einer kleinen Pflanze: „Es sieht fantastisch aus.“ Das Schreiben halte Sovia am Boden. Auch wenn inmitten des ganzen Trubel die Frage offen bleibt, wie viel Platz Sovia für die Musik schaffen möchte, ist doch eines sicher: „Wenn es eine Sache gibt, die für mich bleibt, dann ist es das Schreiben. Da kann ich mich darauf verlassen, dass ich das bin.“
Die Lust, auf der Bühne zu stehen, verspürte Lila Sovia schon lange, der Durchbruch jedoch kam dann doch überraschend. Vor einem Jahr nahm die Bekanntheit mit Nominierungen für den Nachwuchspreis „Krach und Getöse“ und den „Preis für Popkultur als hoffnungsvollste*r Newcomer*in“ Fahrt auf. Auf das 2022 veröffentlichte Debüt „FLINTA“ folgten eine Förderung der „Initiative Musik“ und sogar die zweite Veröffentlichung unter dem markigen Namen „No Need For Speed, Volume 1“ – eine Doppel-EP, an deren zweiten Teil Lila Sovia gerade arbeitet.
Die deutsch-englischen Texte kommen mal heftig daher, auch mal weich und sie sind geprägt von persönlichen Erfahrungen. Die Songs erzählen von den Fesseln des Patriarchats und von Safer Spaces in der queeren Community, aber genauso von viel Frustration – über sexuelle Übergriffe, unaufgeklärte Gewaltfälle oder Täterschutz: „Ehj, was bist du denn für ein Freund, du laberst von Flintas und Safe Space, aber brauch ich dich dann mal als Zeuge, dann hältst du dein Maul, machst auf Male Gaze.“
Der Erfolg treibe an, löse aber auch Druck aus, schneller und weiter nach oben zu wollen. In den Songs verarbeite Sovia als Reaktion darauf deshalb Sehnsucht nach Entschleunigung – und einen guten Umgang mit einer Emotion, die immer wieder in Lila Sovia arbeitet.
Wut trifft Vergebung
Die Wut sei eine „der transformativsten und wichtigsten in meinem Leben, die mich auch vor sehr vielem gerettet hat“, sagt Sovia und meint Übergriffe oder schädliche Entscheidungen. „Du schaust mir Löcher in die Grenzen / Du fasst mir Stacheln in die Haut / Küsst mir Narben auf die Augen / Heilst die Wunden wieder auf / Du nimmst mich als wäre ich deine / Und dich wie du es willst“, formuliert es Lila Sovia poetisch im Song „Jenga“. Auch das Gedicht „Rage“, das sich „durch mich hindurch geschrieben hat“, wie Sovia es beschreibt, thematisiert dieses Gefühl, das wie ein bodenloses Fass sei, gleichzeitig aber auch Quelle der Inspiration.
Aber so wichtig Wut im politischen Sinn auch sein möge – auf persönlicher Ebene könne sie auch gefährlich werden, gerade dann, wenn sie zu lange zu groß ist. Aus diesem Grund sei es inzwischen auch Vergebung, die Sovia inspiriere, so wie bei „Loyal Carner“ oder „Little Simz“. Damit ist allerdings nicht gemeint, den Tätern einfach zu vergeben, sondern radikal sanft zu sich selbst zu sein und sich dafür zu entscheiden, dass nicht alle Lyrics aus Empörung heraus entstehen sollen. Genau dort setzt Lila Sovia mit der Doppel-EP „No Need für Speed“ an.
In den Songs thematisiert Lila Sovia auch den schwierigen Balanceakt zwischen dem Privileg, von der Kunst leben zu können und der Idee, in einem kapitalistischen System von der Kunst leben zu müssen. Die Texte sind getragen von der Frage, wie sich Kunst in einer Umgebung verhält, die dazu neigt, sich selbst auszubeuten und in der jede Pause gewissermaßen ein Akt des Widerstands ist. Eine Umgebung, in der sich Annahmen wie diese als irrtümlich erweisen: „Wenn ich noch den Song rausbringe oder dies oder jenes erreiche, dann kann ich mich zur Ruhe setzen. Aber dieser Punkt kommt ja nie“, beschreibt Sovia.
Dabei könne es schnell passieren, dass in dieser Logik zu wenig Platz für Heilung bleibt, warnt Lila Sovia und greift solche gedanklichen Auseinandersetzungen mit dem eigenen Leben auch stets in der Musik auf: „Ja ich mein, so geht’s hier halt auf ewig weiter / Ja ich weiß, ich werd‘ neue Tracks auf ewig schreiben / Ja du meinst ja, der Stress wird mir auf ewig bleiben.“ Sovia weiß um das Problem, kennt aber genauso den passenden Ausweg: „radikale Selbstfürsorge“.
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