Text: Melanie Skurt — Fotos: Nora Börding
Es sind Sekunden, in denen die Stimmung kippt: von abwartender Anspannung in aggressive Konfrontation. Gerade war da noch ein Abstand von fünf Metern zwischen Kili Weber und den Ordnern der Kleinstpartei „Der Dritte Weg“ und jetzt – keine handbreit. Die Journalistin will näher ran und nicht nur ein angeschnittenes Gesicht in ihrem Video zeigen. Also geht sie los, mitten rein in die Neonazi-Menge, und stellt sich vor den blauen Demo-Transporter, der auf der Wartburgstraße in Plauen parkt. Reproduziert werden die Parolen hier aber nicht.
Zwei Menschen setzen der zierlichen Frau nach wie Schatten und positionieren sich in ihrem Rücken. Zum Schutz vor Angriffen. Doch die Konfrontation ist schnell da. Ein Mann baut sich vor dem Smartphone Webers auf, die Aufnahme läuft. „Mach dich ab“, „Zurück“, „Abmarsch, Abmarsch“ spuckt er ihr entgegen, aber sie bleibt standhaft. Eine Hand trifft ihre Schulter, stößt sie in ein Rosenbeet, drängt sie und schließlich auch ihren Begleitschutz zurück. Wenig später bilden einzelne Männer eine Kette aus verschränkten Armen und versperren so den Zugang zum Gelände der Abschlusskundgebung. Zulässig ist das nicht.
Als Journalistin darf sich Weber im Demonstrationsgeschehen frei bewegen und Bild- sowie Tonaufnahmen anfertigen. Das ergibt sich aus der Informationsaufgabe von Medien und wird durch Artikel 5 des Grundgesetzes garantiert. Doch die Realität ist anders. Der rund hundert Meter lange Straßenabschnitt gleicht eher einer „national befreiten Zone“ mit bürgerlichem Anstrich. Es gibt Bratwürste und Obst, und einen Galgen an dem „Rechtsstaatlichkeit“ und „Grundrechte“ gehängt wurden. Nach innen geschützt durch Ordner im Partei-Merch, auf das die immer gleiche Parole gedruckt ist: „national, revolutionär, sozialistisch“.
Die Demonstrierenden sind ebenso uniformiert oder tragen schwarze Jacken mit Sprüchen wie „Auch ohne Sonne braun“ – Standardjargon Rechtsaußen. In Sichtweite ragt das 2017 eröffnete Büro der Kleinstpartei auf, der sogenannte Stützpunkt. Alltag in der 45 000-Seelen-Stadt im sächsischen Vogtland, um den es jedoch nicht weiter gehen soll.
Dieser Artikel zeigt die Gesichter rechtsextremer Menschen, da es unmöglich ist, jene abzubilden, von denen dieser Text eigentlich handelt. Denn das könnte nicht nur Kili Weber gefährden, sondern auch das Team, das sie begleitet. Viele hätten es darauf abgesehen, ihre Identität zu enttarnen, sagt die junge Frau. Ihren Wohnort, das private Umfeld. Als freie Journalistin erlebe sie seit Monaten Gewaltandrohungen und tatsächliche Übergriffe. Ihr Twitter-Account dokumentiert diese Aggressionen im Berichterstattungskontext. „Ich muss immer wieder vor den Faschos rennen, in Einkaufszentren flüchten, mich verstecken“, sagt sie. Wie das ihren Alltag beeinflusst, wird sie später noch erzählen.
Brennpunkt Sachsen
Gerade in Sachsen steht die Presse unter Druck. In keinem anderen Bundesland eskalieren Pöbeleien, Beleidigungen und handfeste Angriffe gegen Medienschaffende derart stark. Das belegt eine Studie des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit in Leipzig. Zudem wurde Deutschland 2022 im Pressefreiheitsranking der NGO „Reporter ohne Grenzen“ unter anderem wegen steigender Gewalt gegenüber Berichterstattenden drei Plätze nach unten gestuft – ein Abstieg vom Status „gut“ zu „zufriedenstellend“. Auch journalistische Interessenvertretungen reagieren inzwischen auf diese Entwicklung: Der Schutzkodex für Medienhäuser empfiehlt unter anderem, die Begleitung durch Sicherheitspersonal. Es ist ein Vorstoß, der besonders in etablierte Strukturen hineinwirkt.
Frei arbeitende Menschen im Journalismus haben es dagegen ungleich schwerer. Weil hinter ihnen keine ressourcenstarke Redaktion steht. Doch seit einem Jahr finden sie ebenso Hilfe: Bei „Between The Lines“. Unter dem Motto „Zivilgesellschaft schützt Pressefreiheit“ ist die Initiative ehrenamtlich in Sachsen unterwegs.
Als Begleitschutz fahren die Engagierten ein- bis zweimal wöchentlich zu Versammlungen, Kundgebungen und Demos – vorrangig in sächsische Kleinstädte. Nach Engelsdorf, Borna, Oschatz, Wurzen, Bautzen … oder nach Plauen, wie jetzt Anfang Oktober. Dorthin, wo nicht zwangsläufig behelmte Hundertschaften das Geschehen absichern, sondern manchmal nur eine handvoll Einsatzfahrzeuge. In Plauen ist das an diesem Wochenende anders: „Der Dritte Weg“ ein Hochsicherheitsfall; vom Verfassungsschutz Sachsen als „aktivste erwiesene rechtsextremistische Parteistruktur“ eingestuft.
Hier mobilisieren sie heute allerdings keine breite Masse. Knapp 200 Personen schätzt die Polizeidirektion Zwickau später in einer Pressemitteilung. Auffällig ist hingegen die Vielzahl an Menschen, die fotografieren, filmen, Notizen machen. Kili Weber ist diesmal nicht allein, um Plauen zu dokumentieren. Doch nicht alle schützen sich während ihrer Arbeit so wie sie. Vom Verlassen bis wieder Betreten ihrer Wohnung trägt sie als Corona- aber auch Identitätsschutz eine FFP2-Maske. Ihr gegenüber stehen viele andere Medienschaffende ohne Mund-Nasen-Bedeckung, die sich allein am Rand der Demo bewegen. Ihre Gesichter werden von Ordnern abgefilmt, ihre Klarnamen erscheinen später eventuell neben Artikeln, Beiträgen, Fotos. Und damit vielleicht auch zeitversetzt auf sogenannten Feindeslisten rechtsextremer Netzwerke.
Unterm Radar bleiben
Erst vor einem Jahr hat Kili Weber angefangen, Demonstrationen zu filmen und ihre Clips via Twitter zu veröffentlichen. Sie bezeichnet das selbst als „Journalismus von unten“, finanziert durch Spenden. Ihr Themenspektrum: Querdenken und die extreme Rechte. Vereinzelt habe sie in der Vergangenheit Material an lokale Medien verkauft, in der Regel sei sie jedoch ohne Redaktionsauftrag, aber mit Presseausweis auf eigene Faust in Sachsen unterwegs. „Weil es sonst kaum einer macht“, erklärt sie ihre Motivation. Selten treffe sie bei diesen Einsätzen auf lokale Medienschaffende. Einen Großteil dieser Arbeit könne sie nur erledigen, weil „Between The Lines“ sie zu Hotspots begleite, sagt sie. „Sonst wäre es viel zu gefährlich.“
Gemeint sind Fahrten in Kleinstädte oder Stadtteile, in denen die junge Frau bei einschlägig Rechten längst bekannt sei. Orte, in denen sie auch mit Presseschutz schnell zur Zielscheibe wird, sich aber so immerhin überhaupt noch dort bewegen kann. „Darum geht es: Wir wollen journalistische Arbeit ermöglichen. Pressefeindlichkeit ist kein Trend, der sich umgekehrt hat. Im Gegenteil“, so Mitgründer Klemens Köhler. „,Between The Lines’ ist dafür da, journalistisch arbeitenden Menschen den Rücken freizuhalten, damit sie sich auf ihre Arbeit konzentrieren können. Damit sie keine Angst vor Angriffen haben müssen, während sie Fotos machen.“
In seiner Funktionskleidung ist Klemens Köhler leicht zu übersehen. Klobige Bundeswehrstiefel hängen wie Betonklötze an seinen Füßen. Kein Gepäck, keine sichtbaren Details. Während der gesamten drei Stunden in Plauen zückt er nicht einmal das Smartphone aus der Tasche, stattdessen verschwinden die Hände tief im Innenfutter der schwarzen Kutte. Der Blick unter der Maske ist wach, jede Bewegung, jeder Satz wirkt beherrscht und will sagen: Nur keine unnötige Aufmerksamkeit erregen. „Wir versuchen, unterm Radar zu bleiben und kein Interesse auf uns und unsere Zielperson zu lenken. Es geht ja darum zu schützen, nicht mehr Stress zu machen“, erklärt er im Vorfeld der Demo.
Der Begleitung in Plauen blickt Köhler zu Beginn recht entspannt entgegen. Schon rund 20 Mal sei die Initiative mit Kili Weber unterwegs gewesen – eine geübte Zusammenarbeit, die mit den Corona-Protesten gewachsen ist. Anfangs begleitet „Between The Lines“ vor allem das Berichterstattungsduo „Vue Critique“ aus Dresden, doch bald häufen sich weitere Anfragen. Das Engagement weitet sich auf ganz Sachsen aus und professionalisiert sich.
Auftrag: Deeskalation
Lageeinschätzungen im Vorfeld werden zum Beispiel zu einem Qualitätsstandard. Per Textnachricht verschickt sie das Organisationsteam vorab. Darin heißt es zu Plauen: „Wir gehen sicher von Gelegenheitspöbeleien aus, wobei kontaktsuchendes Verhalten unwahrscheinlich ist und von der Anwesenheit angereister Gruppen oder ,bürgerlichen’ Teilnehmenden aus dem Querdenken-Milieu abhängt.“ Vorausschauend: Schon nach zehn Minuten auf dem Versammlungsgelände kommt es zu einem ersten Zwischenfall.
Vor dem Bahnhof sammelt sich die Menge. Frauen in Daunenjacken umarmen einander, Gelächter dringt herüber. Eine Gruppe amüsiert sich über eine große Plakatwand. Die Aufschrift: „Reserviert für Volksverräter“ – im Hintergrund sind Gefängniszellen zu sehen. Kili Weber fängt die Szenerie mit einem Schwenk ein. „Seid ihr Presse oder was“, schnauzt einer von der Seite und strafft den Rücken. Schnell geht ein Ordner dicht an Weber heran, verdeckt mit seinem Körper die Kameralinse. Von diesem Punkt an, ist das Trio markiert. Klemens Köhler streckt die Hand aus, bittet Abstand zu halten und schiebt den Mann etwas nach vorn. Ein Vollbartträger mit Tunneln im Ohr rückt auf und hält wiederum sein Smartphone auf die Gruppe. Provokationen und Drohungen, die die Gruppe „Between The Lines“ gewöhnt ist.
Die Arbeit der Initiative, sagt Klemens Köhler, bestünde zu 90 Prozent darin, Pöbeleien und Beleidigungen auszuhalten und Sicherheitsabstand herzustellen. Oder auch zu erklären, was Presse im Demonstrationsgeschehen darf. Die rund 30 Engagierten des Bündnisses begleiten dabei größtenteils verschwörungsideologische Versammlungen, „weil hier die Probleme am größten sind und Menschen übergriffig werden“. In Plauen ziehen heute vor allem aggressive Ordner Köhlers Aufmerksamkeit auf sich. „Den müssen wir im Auge behalten“, meint er zu seiner Begleiterin, die unbeeindruckt den Blick schweifen lässt.
In dieser Konstellation fühlt sich Köhler wohl, erzählt er. Denn: Am besten funktionierten bei einer Demo-Begleitung gemischte Teams. „Sie wirken per se deeskalierend. Wenn ein rein männliches Team unterwegs ist und auf der Gegenseite stehen irgendwelche Nazi-Hools, dann entstehen schneller Macker-Dynamiken unter den Demonstrierenden.“
Gefährliche Einsätze
Der Erfahrung nach schaukele sich gerade in Kleinstädten und bei Stadtteilprotesten die Situation schnell hoch. Hier träfen radikalisierte, verrohte Menschen aus der Bürgerschaft zusammen. Viele davon nicht gewalterfahren. „Sie sind überrascht, wenn plötzlich jemand aus ihrer Gruppe zuhaut und lassen sich davon vielleicht anstecken“, unterscheidet Klemens Köhler das Gewaltpotenzial im Vergleich zu Städten wie Dresden, Leipzig und Chemnitz. Bei Großdemonstrationen stünden hingegen häufig Polizei und Gegendemonstrierende im Fokus.
Zudem reisten organisierte Gruppen an, die durchaus pressefeindlich agieren. Personen um den Hallenser Rechtsextremisten Sven Liebich oder die Division Märkisch-Oderland aus dem Berliner Umkreis. In Zwönitz und Zwickau gäbe es wiederum gefestigte Kampfsport-Gruppen. „Die greifen nicht an, wenn Polizei in Sichtweite ist, sondern suchen die Auseinandersetzung in unübersichtlichen Situationen wie der An- und Abreise. Die sind nicht so irrational wie der Opa vom Land, der einfach mal den Presseleuten aufs Objektiv hauen will.“
In Plauen bleibt der Schlag nach dem Smartphone aus. Dass Kili Weber das oft auch ganz anders erlebt, zeigt ein Blick auf ihr Twitterprofil. Gepinnt ist das Video einer Demo in Oschatz vom August dieses Jahres. Wutentbrannt langt eine Frau nach der Journalistin und bläkt: „Was das hier soll, frag ich mich“; eine Polizistin geht dazwischen. Nur wenige Tage nach dem Einsatz in Plauen ist Weber hingegen in Wurzen, wo die Dinge gleichfalls eskalieren.
Der Begleitschutz wird massiv bedrängt und schließlich handfest angegriffen. Wegen der aggressiven Stimmung bricht Weber die Berichterstattung ab und schreibt wenig später: „Die @PolizeiSachsen weigerte sich uns aus #Wurzen zu begleiten, mit der Begründung, dass nichts passieren würde. Uns verfolgten dann 5 Nazis, diese jagten uns teilweise.“ Wieder eine Woche später, am 17. Oktober 2022, laufen die Dinge in Wurzen erneut aus dem Ruder. Tritte, Schläge, Nötigung – so fasst die Initiative „Between The Lines“ die Ereignisse am nächsten Tag in mehreren Tweets zusammen. Die anwesenden Polizeikräfte verhinderten drohende Eskalationen wirkungsvoll, dennoch wurde die Berichterstattung aus Sicherheitsgründen abgebrochen. Noch befinde sich das Team in der Aufarbeitung der Geschehnisse.
Aggressive Eskalation
„Ausnahmesituationen“ nennt Klemens Köhler solche Zwischenfälle. Ein Großteil der Einsätze verlaufe weitgehend friedlich. Dennoch: „Bestimmte Medienschaffende stehen eben auf der Abschussliste. Weil sie in Gegenden gehen, wo die Leute nicht wollen, dass jemand hinschaut. Wo Menschen denken, sie allein hätten ein Recht auf die Straße.“ Und am schlimmsten sei es dann, wenn die Leute bereits bekannt sind. Wenn etwa durch Telegram-Kanäle Nachrichten mit „Antifa oder Systemling“ geisterten. „Dann sind die Leute echt in Gefahr.“ Ihm selbst sei inzwischen ein Fell gewachsen, Übergriffe wie Tritte zwischen die Füße oder Schubsereien im Demo-Kontext prallten in der Regel an ihm ab. Und trotzdem bewege er sich auch im Alltag vorsichtig, ist nicht der Einzige, der etwa eine Auskunftssperre beim Meldeamt beantragt hat.
Einmal habe „Between The Lines“ bislang zu spüren bekommen, wie Situationen auch enden können. Der Herzschlag hämmerte wohl irgendwo in der Halsgegend als in Dresden die Lage am Rande eines Stadtteilprotests am 13. Februar 202 eskalierte. Sowohl Berichterstattende als auch Begleitschützende wurden von einer extrem brutal auftretenden Männergruppe über hunderte Meter verfolgt. In einem Video ist zu sehen, wie die Beteiligten knapp einem Angriff entgehen. Trotz kurzfristiger Anmeldung der Versammlung waren keinerlei Polizeikräfte vor Ort. Um sich in Sicherheit zu bringen, setzte die Initiative vor Ort Pfefferspray ein.
„Das ist eine Situation, in die wir uns heute keinesfalls freiwillig mehr begeben würden“, reflektiert Klemens Köhler die Szene selbstkritisch, die eine Anzeige wegen Körperverletzung nach sich zog. Eine zweite ging ein, als ein Begleitschützer auf einer Demo im sächsischen Döbeln einen Sicherheitsabstand herstellte. Eine weitere am 17. Oktober in Wurzen, wo trotz Polizeibegleitung ein Angriff abgewehrt werden musste.
Immer wieder sähe sich das Netzwerk mit dem Vorwurf konfrontiert, Berichterstattende und Begleitschutz würden mit ihrer Präsenz erst dazu beitragen, dass Menschen überhaupt aggressiv werden. Köhler erzählt das leicht genervt, wiegt jedoch seine Worte diplomatisch ab. Das Prinzip Deeskalation scheint er verinnerlicht zu haben, lässt sich nie zu markigen Aussagen oder verbalen Schnellschüssen hinreißen. Die Initiative „Between The Lines“ setze sich genau dafür ein, dass Orte nicht zu Nachrichtenwüsten werden und sich Menschen dort ungeachtet der Öffentlichkeit radikalisieren, erklärt er und schiebt hinterher: „Wir schützen ein Grundrecht, das im Artikel 5 des Grundgesetzes verbrieft ist.“
Dass die Initiative mit ihrer bloßen Präsenz Gewalt entfache, nennt Köhler falsch: Es sei eine Umkehr von Betroffenen und Tatbegehenden, wenn Medienschaffende und ihr Begleitschutz für Eskalationen verantwortlich gemacht würden, die von pressefeindlich eingestellten Menschen ausgehen. Auch rechte Demonstrierende nutzen diese Argumentation als Narrativ.
Was tut die Polizei?
Nach dem Angriff in Laubegast kommentierte Dresdens Polizeisprecher Thomas Geithner gegenüber dem MDR die Begleitschutz-Initiative von „Between The Lines“ als essentiell und „bitter notwendig“ für Medienschaffende; vorsichtige Kritik übte hingegen Marko Laske, tätig in gleicher Funktion. Er erklärte, dass Begleitschützende selbst in Konflikte verwickelt würden und daher besser vor Ort die Polizei auf Probleme aufmerksam machen sollten, anstatt selbst aktiv zu werden. Sprich, aggressives Verhalten anzeigen. Köhler findet auch das schwierig.
„Wir sehen das Problem, dass es zu wenige Anzeigen gegen Angreifende gibt, aber das ergibt sich aus der Dynamik auf einer Demonstration nicht. Medienschaffende wollen weitermachen, wenn es heiß wird. Natürlich lassen wir sie dann nicht alleine und unterhalten uns mit der Polizei.“ Die Kriminalpolizei sollte Einsätze begleiten und direkt ermitteln, schlägt Köhler vor. „Wir haben dafür keine Zeit und das persönliche Risiko ist uns auch zu hoch, dann wiederum selbst von Personen aus dem rechten Milieu verfolgt zu werden.“
Grundsätzlich beschreibt Köhler den Kontakt mit der Polizei in Sachsen als „sehr gut“. Viele Bedienstete arbeiteten werteorientiert und hätten ein starkes Interesse an Presseschutz. Deshalb steht „Between The Lines“ im Austausch. „Wir berichten von unseren Erfahrungen und stellen unsere Initiative zum Beispiel bei Fortbildungen der Bereitschaftspolizei vor.“
Dass allein die Polizei den Presseschutz organisieren könnte, hält Klemens Köhler allerdings für schwierig. Zum einen gäbe es viele Medienschaffende, die eine solche Zusammenarbeit ablehnen, weil sie das als Befangenheit verstehen. Zum anderen hätte der Polizeischutz auch einen negativen Effekt auf die Wahrung der Grundrechte: „Wenn Berichterstattende von fünf behelmten Polizeikräften über eine Versammlungsfläche begleitet werden, schränkt das das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ein. Gleichzeitig wird die Pressefreiheit beeinflusst, wenn einem permanent über die Schulter geschaut wird.“
Bei ihrer dreistündigen Begleitung in Plauen reagiert die Polizei hingegen nur ein einziges Mal auf Kili Weber. An einer Straßenkreuzung nahe der Innenstadt lässt sie den Demozug an ihrem Smartphone vorbeiziehen. Alles wirkt ruhig, bis unvermittelt ein Auto auf sie und das Team von „Between The Lines“ zusteuert. Kurz bevor die Motorhaube ihre Kniekehlen trifft, bremst der ältere Mann ab und grinst hämisch hinter dem Lenkrad des Wagens. „Haste gut gemacht“, kommentiert einer aus dem „Dritte Weg“-Pulk laut rufend. Die Polizei lotst den Fahrer an der Demo vorbei und Kili Webers Blick senkt sich auf das Smartphone, um den Beitrag zu teilen. Das Drumherum blendet sie in diesen Momenten komplett aus und bewegt sich häufig wie ferngesteuert durch die Straßen. Zum Job des Begleitschutzes gehört es manchmal auch, sie zu stoppen, wenn sie fast mit Straßenschildern kollidiert oder über Bordsteine stolpert.
Zwischen den Zeilen
Auf der Fahrt nach Plauen nannte sie ihre Aufgabe selbstzerstörerisch. Es mache kaputt und verändere das Leben komplett. Permanent fühle sie sich beobachtet. „Auf dem Weg nach Hause nehme ich einen Umweg von 40 Minuten. Ich informiere immer Menschen, wenn ich rausgehe, um zum Beispiel einzukaufen.“ Und manchmal träume sie auch, dass sie verfolgt werde. „Das hat mir irgendwann richtige, körperliche Schmerzen gemacht. Deshalb musste ich für eine Zeit unterbrechen und Pause machen.“ Hilfe sucht sie bei Beratungsstellen für Betroffene rechter Gewalt. Ob sie gerne aufhören würde? Auf diese Frage reagiert Weber blitzschnell: „Nein. Das kann ich gar nicht. Ich hätte sofort ein schlechtes Gewissen, weil da Orte sind, wo niemand hinschaut.“ Selbst wenn sie wüsste, dass andere ihren Job machen, ändere das nichts, meint sie. „Es gibt immer ein Dorf, wo niemand ist.“
Ganz ähnlich erklärt auch Klemens Köhler die Notwendigkeit von „Between The Lines“: „Ich habe den Eindruck, über den Sommer haben viele Menschen in der Politik vergessen, dass da draußen immer noch radikalisierte Leute unterwegs sind, die Lust auf Systemsturz haben – egal, ob sie einen Bürgermeister oder eine Bürgermeisterin angreifen oder den Reichstag stürmen. Sie sind immer noch da. Und sie sind überall in Sachsen.“ Gerade deshalb sucht die Initiative in der Region nach neuen Mitgliedern. Ausdrücklich auch Frauen.
Alle Engagierten durchlaufen vor den ersten Demo-Begleitungen eine Art Ausbildung in Form von Coachings und Workshops. „Außeneinsätze“ finden dann zunächst zusammen mit einem Zweierteam statt – für den Anfang in „einfachen Lagen“. Und dabei gelte ein übergeordnetes Solidaritätsprinzip: „Niemand muss gegen sein Bauchgefühl handeln“, erklärt Köhler. „Wenn sich jemand in einem Einsatz unwohl fühlt, wird abgebrochen. Das ist ganz klar.“
Eine einfache Szene zeigt in Plauen deutlich, was Presseschutz ganz praktisch bedeutet: Während der Abschlusskundgebung sammeln sich Kili Weber, ihr Begleitteam und die Polizei auf einem Grünstreifen. Drei Parteien, die als Randfiguren im Geschehen agieren. Links von ihnen der Gegenprotest, rechts von ihnen „Der Dritte Weg“. Die Füße sind nass vom Regen der letzten Stunden, die Augen irgendwie leer. Es scheint als hätten die immer gleichen Demo-Parolen die letzte Lebenskraft aus der Gruppe gesaugt. Ihr Engagement findet in Zwischenräumen wie diesen statt – ähnlich wie das Problem, um das es hier geht: „Was in Artikeln meist nicht zu lesen, in Beiträgen nicht zu sehen und zu hören ist“, sagt Köhler, „sind alltägliche Angriffe auf die Pressefreiheit“. Auch sie stünden bei jeder Form von Demonstrationsberichterstattung zwischen den Zeilen – vor allem in Sachsen.
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