Weggelacht — Sasha Dolgopolov

Was bleibt, wenn der Spaß verschwindet? Nicht viel, findet Sasha Dolgopolov. Die russische Comedian war gezwungen, ihr Heimatland zu verlassen. Wie sie trotz allem ihren Humor behält und was der Tod von Alexej Nawalny für sie bedeutet.
29. Februar 2024
6 Minuten Lesezeit
Text: Selina Hellfritsch — Fotos: Max Gödecke

Dunkelrot gemusterte Tapete schmückt die Wände und wird von sanftem Kerzenschein beleuchtet. Neben der Bar hängt ein Gemälde einer Matrjoschka, eine der russischen Puppen, die ineinander geschachtelt werden. Der Raum ist erfüllt von Gelächter, Gläserklirren und dem Geruch von Rauch aus dem Nebenzimmer. Immer mehr Menschen strömen in die Kvartira 62 in Berlin-Kreuzberg. Die angekündigte Stand-up-Comedy-Show lockt die Menschen trotz miesen Wetters in die russische Bar, die einen willkommen heißt wie ein zweites Wohnzimmer.

Sasha Dolgopolov tritt ans Mikrofon und begrüßt das Publikum auf Englisch. Leicht amüsiert fragt sie in die Runde, wer nicht aus Russland komme – sechs Leute melden sich. „Wunderbar, extra für euch mache ich diese Show auf Englisch. Wie ihr seht, habe ich bereits ein großes internationales Publikum“, eröffnet sie den Abend und ein Lachen geht durch die Runde.

Die Comedian erzählt davon, wie sie zwei Jahren gezwungen war, ihre Heimat zu verlassen, als Russland den Angriffskrieg auf die Ukraine begonnen hatte. Ausgereist ist Sasha Dolgopolov, wie viele andere Menschen aus Russland, ins Nachbarland Georgien. Die Stimmung unter den Flüchtenden war geprägt von tiefer Trauer und Entsetzten, aber auch von Widerstand.

Aufgenommen wurden sie zurückhaltend. Seit dem sogenannten Kaukasuskrieg 2008 hält Russland rund 20 Prozent Georgiens besetzt – und der Konflikt ist bis heute weiter ungelöst. Diplomatische Beziehungen gibt es deshalb keine. „Als der Krieg ausgebrochen ist, bin ich in dem Gefühl von Machtlosigkeit untergegangen. Aber als ich das Land verlassen habe, habe ich den Willen gespürt, etwas zu unternehmen. Ich habe Wohltätigkeitsshows gegeben und öffentlich über den Krieg gesprochen. Das war sehr wichtig für mich und hat mir die Kraft gegeben, weiterzuleben“, erzählt Sasha Dolgopolov 2022 in einem Live-Stream auf YouTube.

Seit gut einem Jahr wohnt sie in Berlin. Ende Februar startet ihre erste englischsprachige Tour, einmal quer durch Europa. „Nachdem ich Russland gezwungenermaßen verlassen habe und in Europa nicht nur russische Shows geben kann, habe ich mich dazu entschieden, meine zweite Kolonialsprache zu lernen“, scherzt sie auf der Bühne. Über eine Stunde steht Sasha Dolgopolov im Scheinwerferlicht und bringt das Publikum der Kvartira zum Lachen.

Am Ende sitzen alle fröhlich schmunzelnd an ihren Tischen und tauschen sich über die Show aus. Ein paar der russischen Menschen aus dem Publikum wenden sich an die Deutschen: Ob sie Sasha Dolgopolov schon kannten? Kopfschütteln. Sie sei eine der bekanntesten jungen Comedians in Russland und spiele für die junge Generation eine wichtige Rolle, erzählen sie.

Im Visier des Regimes

Geboren und aufgewachsen ist Sasha Dolgopolov in der Kleinstadt Pawlowsk nahe der ukrainischen Grenze. Schon als Kind hatte sie Spaß daran, andere zum Lachen zu bringen, nur hatte sie das nie als ihren Beruf gesehen. Erst als Teenagerin entdeckte sie Stand-up-Comedy, die zu dieser Zeit vor allem in den USA boomte. Ihr Idol wurde schon bald der amerikanische Komiker George Carlin, dessen Art und Weise sie bis heute bewundert. „In Russland gab es damals keine richtigen Stand-up-Comedy-Shows, es war alles noch sehr am Anfang.“

Diese Art der Bühnenperformance begeisterte Sasha Dolgopolov immer mehr und mit 18 Jahren hatte sie ein klares Ziel vor Augen: Stand-up-Comedian werden. Ein Plan, der unter dem Deckmantel, internationale Beziehungen in Woronesch zu studieren, immer weiter gedeihen konnte. Als sie über diese Zeit spricht, grinst sie: „Ich bin zu keiner Vorlesung gegangen. Ich habe mich nur in der studentischen Schreibwerkstatt engagiert, die für Schauspiel, Theater und auch Comedy gedacht war.“

Heute steht Sasha Dolgopolov mit einer lockeren Selbstverständlichkeit auf der Bühne und zieht die Zuschauenden in ihren Bann. Was auf den ersten Blick so wirkt, als würde sie etwas schüchtern die Bühne betreten, enttarnt sich als ein gekonnter Akt der Selbstinszenierung. Sie macht sich den Prozess der Comedy-Show zu eigen. In den ersten Minuten zieht sie einen zerknitterten Zettel aus ihrer Hosentasche: „Auf der linken Seite habe ich Witze notiert, von denen ich mir sicher bin, dass sie euch zum Lachen bringen. Auf der rechten Seite habe ich neues Material, das wir heute testen werden. Also mal schauen, wie der Abend läuft!“

Nicht nur ihre Kunst des alternativen Stand-up hat Sasha Dolgopolov bekannt gemacht. Auf Instagram folgen ihr über 100 000 Menschen und ihre YouTube-Videos werden millionenfach geklickt. In Russland aber wurden ihr die teils politischen Shows des Öfteren zum Verhängnis.

2020 verließ sie mehr unfreiwillig als gewollt das Land. Bei einer ihrer Shows hatte sie sich russlandkritisch geäußert und einen religiösen Witz gemacht, der ausreichte, um sie wegen Gotteslästerung anzuzeigen. Sasha Dolgopolov blieb für einige Zeit in Österreich, um den Tumult auszusitzen. Gleichzeitig sprach sie so öffentlich wie möglich über ihre Situation, um sich vor einer Festnahme zu schützen. Mit Ausbruch der Corona-Pandemie schienen die Behörden anderweitig beschäftigt und sie konnte vor dem Lockdown zurück nach Russland.

Putins absolute Macht

In den darauffolgenden zwei Jahren verschlechterte sich die Lage in Russland allerdings drastisch. Das Land erlebte unter Präsident Wladimir Putin einen Autokratisierungsschub – nicht zuletzt durch die Änderung der Verfassung, die es Putin erlaubt, bis 2036 im Amt zu bleiben. Es folgte eine Repressionswelle nach den Staatsduma-Wahlen, totalitäre Tendenzen, Propaganda, der Giftanschlag auf den Kremlkritiker Alexej Nawalny und die Verdrängung unabhängiger Medien. „2021 war ein seltsames und brutales Jahr. Es war das Jahr, in dem die Menschen aufgehört haben, über politische Witze zu lachen“, erinnert sich Sasha Dolgopolov.

Sie sitzt am Küchentisch und blickt nachdenklich aus dem Fenster ihrer Einzimmerwohnung im Berliner Westen. Zuvor hätten die Menschen noch Hoffnung gehabt, dass sich bald alles ändern werde. Nach und nach aber sei der Ernst der Lage nicht mehr zu übersehen gewesen. „Als ein Comedian und Freund wegen eines Witzes verhaftet wurde, hat das die Comedy-Szene hart getroffen. Er wurde im Staatsfernsehen verurteilt, verhaftet, ins Gefängnis gesteckt und des Landes verwiesen.“

Bevor sie Russland verlassen hat, dachte Sasha Dolgopolov, sie sei eine ängstliche Person. Dabei habe sie erst später gemerkt, dass sie sich unterbewusst immer unsicher gefühlt habe. „In den letzten Jahren wurde es immer schwieriger als Comedian zu arbeiten. Ich konnte kaum über Politik oder soziale Probleme sprechen, jede Nuance war zu viel.“ Von Tblissi zog sie weiter in die Hauptstadt Estlands. Dort fing sie an für das Team des Kremlkritikers Nawalny zu arbeiten, mit dem sie den russischen YouTube-Kanal „Gesprächsstoff“ aufbaute.

In der wöchentlichen Late-Night-Show sprach Sasha Dolgopolov über die Geschehnisse der vergangenen Woche und ließ sich dabei ihren Witz und Humor nicht nehmen. „Schon damals und auch heute noch kommen Menschen zu mir und danken mir für diese Show. Sie hat vielen geholfen, die Nachrichten zu verfolgen, ohne dabei verrückt zu werden.“ Das Format wurde auf dem YouTube-Kanal @NavalnyLiveChannel geteilt und erreichte so Hunderttausende.

Unter Schock gesetzt

Auf die Frage hin, ob sie heute noch viel Kontakt mit befreundeten Menschen, ihrer Familie oder auch mit Gleichgesinnten in Russland habe, antwortet sie, dass es schwierig sei. Wenn sie zu einer Show oder einem Podcast eingeladen ist, muss sie meist absagen: „Ich bin trans, nicht-binär und mein Leben in erzwungener Immigration aufgrund des Krieges ist mein Alltag. Das sind alles Themen, die in Russland nicht ausgesprochen werden können. Ich existiere dort quasi nicht.“

Schon im Dezember 2022 hat Russland sein Gesetz zur „LGBT-Propaganda“ weiter verschärft. Queeres Leben wurde damit so gut wie vollständig aus der Öffentlichkeit verbannt. Und seit letztem Jahr ist es trans Personen außerdem verboten, ihren Geschlechtseintrag zu ändern oder geschlechtsangleichende Operationen durchzuführen. Den vorläufigen Höhepunkt der Repressionen stellt ein aktuelles Urteil des obersten Gerichtshof in Russland dar, das die „internationale LGBT-Bewegung“ als „extremistisch“ einstuft und illegalisiert.

Trotz allem wurden besonders die letzten Tage für Sasha Dolgopolov zur Herausforderung, genauso für viele russische Menschen im In- oder Ausland. Mit dem Tod des Oppositionellen Alexej Nawalny ist ein großer Hoffnungsträger im Kampf gegen Russlands Machthaber Putin gestorben. Seine Anhängerschaft, seine Frau und seine Mutter sprechen von Mord und wollen die Hintergründe aufklären. „Als ich die Nachrichten gelesen habe, war ich unter Schock. Ich wusste allerdings, wie ich mit der Situation umgehen kann, da es nicht das erste Mal ist, dass ich mit so schrecklichen Nachrichten konfrontiert werde“, meint Sasha Dolgopolov. Sie wisse, dass Doomscrolling die Situation nur verschlimmere. Daher habe sie befreundete Menschen kontaktiert, sei in Gesellschaft gewesen und auf die Demonstration in Berlin gegangen.

Es ist Sonntagabend. Die Menschen drängen sich dicht an dicht in dem kleinen Nebenraum des Oblomov Kreuzkoelln. Gespannt schauen sie auf die Bühne mit dem markanten roten Vorhang im Hintergrund. Begleitet von lautem Klatschen und Rufen betritt Sasha Dolgopolov die Bühne. Zwei Tage sind seit Nawalnys Tod vergangen. Nach kurzer Begrüßung spricht sie das Thema direkt an, erzählt vom Todestag des Kremlkritikers, der Demonstration und davon, dass sie am selben Abend noch eine Show spielte. Sie entschied sich, Bekannte – ehemalige politische Gefangene, Medienschaffende und aktivistische Menschen – mitzunehmen. „Der Moderator hatte echt ein schweres Publikum“, scherzt sie. „Jetzt weiß er mal, wie das ist!“

Der Raum wird von einem Lachen durchzogen, während sich gleichzeitig Bedrückung breit macht. Wenn Sasha Dolgopolov über ihre Zeit bei der politischen Late-Night-Show und dem Team von Alexej Nawalny spricht, erzählt sie, wie sie anderen ein Vorbild sein wollte. Sie wollte zeigen, dass auch Comedians ernste Themen ansprechen und dabei immer noch lustig sein können. Das hat sich bis heute nicht geändert.

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