Text: Eva Goldschald — Fotos: Martin Lamberty
Miman Jasarovski hat häufig das Gefühl, dass es ihm seine Heimat nicht leicht macht. In Düsseldorf geboren, hat er bis heute keinen deutschen Pass, sondern einen mazedonischen. Vielmehr als eine flüchtige Urlaubserinnerung verbindet er mit dem Land aber nicht.
Jasarovskis Eltern kamen 1968 aus dem ehemaligen Jugoslawien als Gastarbeitende nach Düsseldorf. Ihr Leben verbrachten sie ausschließlich mit Menschen, deren Biografien ähnlich verlaufen sind – oder in Familie. Kontakt zur deutschen Einwohnerschaft gab es nicht. „An meinem ersten Schultag fühlte ich mich, als wäre ich zum ersten Mal richtig in Deutschland. Ich war nie im Kindergarten und hatte nie Kontakt zu deutschen Kindern. Und ich weinte so bitterlich, dass meine Lehrerin damals meinen Vater zurückholte.“ In Jasarovskis Erinnerung blieb er den ganzen Schultag über bei ihm.
Einmal schon hat er den Versuch unternommen, den deutschen Pass zu beantragen. In guter Erinnerung ist ihm das nicht geblieben: Das Prozedere sei demütigend und lang. „Ich musste beweisen, dass ich nicht obdachlos und nicht kriminell bin oder vom Staat lebe. Sprachtests erübrigen sich bei mir, ich spreche ja ganz normal deutsch. Da reichte das Schulzeugnis.“
Weil seine Situation damals nach einer Trennung schwierig war, brach Miman Jasarovski das Verfahren ab und hat es seit heute nicht wieder versucht. Dass Deutschland es ihm so schwer macht, frustriert ihn oft. „Einerseits denke ich mir, ich sollte nicht etwas beantragen müssen, was mir eigentlich zusteht, weil ich hier geboren wurde und schon immer hier lebe“, sagt er. „Andererseits sollte ich mich vielleicht fügen und es hinter mich bringen.“
Während er mit ruhiger Stimme spricht, faltet er immer wieder die Hände, stützt nach vorne gebeugt seine Ellbogen auf die Oberschenkel. Jasarovski lebt heute mit seinen drei Söhnen in Wuppertal. Wie andere auch ging er zur Schule, machte eine Ausbildung, trifft befreundete Menschen, erzieht seine Kinder. Was ihn unterscheidet? Ein fehlendes Dokument.
So wie Miman Jasarovski geht es rund 14 Prozent der Bevölkerung in Deutschland. Das sind über zwölf Millionen Menschen. Fast die Hälfte von ihnen lebt laut Zahlen der Bundesregierung seit mindestens zehn Jahren in diesem Land, besitzt allerdings keinen deutschen Pass. Das bedeutet konkret, nicht wählen zu dürfen oder den Reisepass anstatt in der nahegelegenen Gemeinde in einem vielleicht fern gelegenen Konsulat verlängern lassen zu müssen. Und es bedeutet für manche, stattdessen die Staatsbürgerschaft eines Landes zu tragen, in dem sie vielleicht noch nie gewesen sind.
Vor etwa drei Jahren gründete er gemeinsam mit gut 50 anderen Organisationen und seiner eigenen Initiative „With Wings and Roots“ das Bündnis „Pass(t) uns allen“. Das Ziel: ein Pass für alle Menschen, die seit mindestens drei Jahren in Deutschland leben. Außerdem ein Wahlrecht für alle, die in Deutschland leben, die Möglichkeit, mehrere Staatsangehörigkeiten zu besitzen und automatisch einen deutschen Pass für Kinder, die hier geboren wurden.
„Ich frage mich“, meint Miman Jasarovski, „wieso muss ich mir meinen Pass verdienen, wenn ich hier geboren bin? Stattdessen schieben wir Leute während ihrer Ausbildung ab, obwohl wir sie als Arbeitskräfte dringend benötigen. Ich kann mir ja als Land Menschen nicht wie bei Aschenputtel aussuchen, die guten ins Töpfchen die schlechten ins Kröpfchen.“
Neues Einbürgerungsgesetz
Wie aufwändig es sein kann, an den deutschen Pass zu kommen, zeigt für Jasarovski auch der Fall eines Bekannten. Der Mann aus Indien arbeitet als Professor an einer Universität. Bis er eingebürgert wurde, dauerte es laut Jasarovski knapp sieben Jahre. Am Ende des Verfahrens hätte er alle Papiere, die er über diesen Zeitraum eingereicht hatte, erneut kopieren und gesammelt per Post an die Behörde senden müssen. „Das waren fünf Kilogramm Papier.“
Jasarovski ordnet Vorfälle wie diesen als „klare Schikane“ ein. „Den Sinn dahinter kann ich nicht nachvollziehen. Für mich ist das ein Signal der Politik an eine bestimmte Gruppe in Deutschland, die zeigt: Manche sind gleicher als andere.“ Genauso fühle sich für ihn auch das überarbeitete Einbürgerungsgesetz an, das Ende Juni in Kraft treten soll.
Problematisch daran sei etwa, dass die zuständigen Behörden kein zusätzliches Personal bekommen und nichts dafür getan werde, um diesen Job attraktiver zu machen. Auf dem Papier klinge beispielsweise auch die verkürzte Wartezeit gut, in der Realität könne sie jedoch ein Reinfall werden, befürchtet er. „Laut Fachleuten der Ausländerbehörden werden sich die Wartezeiten vermutlich verdoppeln. Sie rechnen mit mehr Anträgen, weil die Menschen eine Antragsbearbeitung von drei bis fünf Jahren in Anspruch nehmen können. Was bringt es mir, wenn ich nach fünf Jahren meinen Antrag einreichen kann, dann aber bis zu acht Jahre warten muss, bis ich wirklich eingebürgert bin“, fragt sich Jasarovski.
Oft habe er das Gefühl, dass Politik Menschen nur nach wirtschaftlichem Nutzen bewertet – und sie müssten sich ihren Platz „verdienen“. Das bezieht er konkret auf zwei Punkte des neuen Gesetzesentwurfs. Erstens erhielten marginalisierte Menschen immer noch keine Chance auf Einbürgerung, sofern sie nicht erwerbsmäßig arbeiten können. Zweitens würden Alleinerziehende, Menschen mit Behinderung oder chronischen Krankheiten sowie ältere Menschen benachteiligt, weil sie oftmals auf Unterstützung angewiesen sind, wenn es darum geht, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Doch sobald sie aber Sozialleistungen beziehen, mindere das ihre Chancen auf eine dauerhafte Einbürgerung.
Das kritisiert nicht nur Miman Jasarovski, sondern genauso die Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman. Auch der Fakt, in Deutschland geboren zu sein, reiche in genau diesen Situationen nicht aus, um einen deutschen Pass zu erhalten. „Was ist, wenn wenn ich Kranke pflege oder mich um Kinder kümmere und deshalb nicht Vollzeit arbeite? Habe ich mir dann meine Staatsbürgerschaft nicht verdient?“
Rassismus und Ausgrenzung passierten in Abstufungen, wie bei einer Leiter, ergänzt er. Ganz oben stehe der weiße Cis-Mann, danach kommen Menschen aus England, Frankreich, Amerika, gegen die es vielleicht Vorurteile gibt, die aber trotzdem gleichgestellt werden. Und darunter ordneten sich Menschen aus Ländern wie Polen oder Russland ein. Denn gegen sie gäbe es schon weit mehr Vorurteile. Und ganz unten an der Leiter platziert Jasarovski in seinem Bild Roma, Sinti und Schwarze Menschen. Für diese Personengruppen setzt er sich seit Jahren in der Bleiberechtsbewegung ein. Auch war er als Sozialarbeiter für Geflüchtete tätig.
Rassismus und Ausgrenzung
Miman Jasarovskis Sohn ist zwölf, wurde in Deutschland geboren und bekam aufgrund der unbefristeten Aufenthaltsgenehmigung seines Vaters den deutschen Pass. Er ist in einer Clique mit gleichaltrigen Jungs, die alle in Deutschland geboren wurden. Einer von ihnen besitzt keinen deutschen Pass, weil die Mutter keine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung hat. Einem anderen fehlt das Dokument, weil seine Eltern nur geduldet sind und in ständiger Angst vor der Abschiebung leben. Seit dem Kindergarten sind sie befreundet, haben danach die gleichen Schulen besucht. Und doch leben sie mit unterschiedlichen Grundbedingungen. „In einer Welt der Gleichbehandlung und Menschenrechte kann das alles nicht richtig sein.“
Vielen politisch Verantwortlichen sei klar, „dass unsere Gesellschaft ohne Migration absolut nicht existenzfähig ist“. Doch wenn Jasarovski Zitate wie das von FDP-Fraktionschef Christian Dürr, liest, wonach nur Menschen die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen sollen, die „von eigener Hände Arbeit leben“ können, macht ihn das wütend.
Das bedeute nichts anderes, als dass migrantische Menschen die Arbeiten machen sollen, die Politiker wie Christian Dürr nicht selbst machen möchten. „Ansonsten sollen sie doch bitte die Fresse halten und gefälligst dankbar sein, dass sie arbeiten dürfen. Mitentscheiden, was mit den Steuern passiert, die sie in dieses Land spülen, sollen sie jedoch nicht.“ Miman Jasarovski benennt das als „Apartheid light“. Schließlich hieße es Wahlrecht und nicht Wahlprivileg.
Im Oktober letzten Jahres verstarb Jasarovskis Vater. Auf eigenen Wunsch wurde er in seiner Heimat Nordmazedonien beerdigt. Dem Land, aus dem er im Jahr 1968 nach Deutschland kam. Obwohl er sein ganzes Leben hier verbrachte und hart am deutschen Wirtschaftswunder mitarbeitete, fühlte er sich nie so richtig Zuhause, resümiert sein erwachsener Sohn heute.
Insgesamt sei das neue Einbürgerungsgesetz auch ein Schritt nach vorne. Es beinhaltet eine verkürzte Wartezeit auf Einbürgerung von acht auf fünf Jahre. Bei besonderen Leistungen soll es schon ab drei Jahren möglich sein, den Antrag zu stellen. Eine Änderung, die sich „Pass(t) uns allen“ lange gewünscht hat. Ebenso ist nun eine doppelte Staatsbürgerschaft möglich.
Das Bündnis ist mit seiner politischen Arbeit noch lange nicht am Ende. „Es wäre schön, wenn wir unsere Arbeit einstellen könnten“, meint Miman Jasarovski. „Aber statt dem modernsten Einbürgerungsgesetz der Welt, schafft Olaf Scholz unterschiedliche gesellschaftliche Klassen. Bist du wertvoll? Bist du ein lukrativer Ausländer? Dann darfst du deutsch sein. Die anderen sollen sich an den Rand stellen und verharren. Selbst dafür werden sie dann ausgegrenzt.“
Bei aller Wut gibt Jasarovski nicht auf. „Im Grunde sind wir alle gleich. Nur manche schüren – aus oft sehr egoistischen Gründen – Ängste gegen andere Menschen, obwohl wir eigentlich alle dasselbe möchten: Gesundheit, Glück und Sicherheit für uns und unsere Liebsten.“
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