Text: Tom Waurig — Fotos: Amac Garbe
Die drängende Frage zuerst: Nein, in den eigenwilligen Namen der Band hat sich kein Fehler eingeschlichen – kein Schriftzeichen ist in der Buchstabenreihung zu viel. Kafvka ist Kafvka ist Kafvka. Wie es zu dieser außergewöhnlichen Kreation kam, ist kein Geheimnis. Sänger Jonas starrte eines morgens auf seine gut gefüllte Bücherwand und entdeckte inmitten der vielen dicken Wälzer einen von Franz Kafka, ein Werk des tschechischen Ausnahmeliteraten.
Und weil die Band durchaus intellektuell unterwegs ist, sollte der Schriftsteller eben auch den Namen für ihre Combo stiften. Die anderen Musiker waren angetan von der Idee, aber auch nicht restlos überzeugt.
Der ergänzende Buchstabe war dann keine Kurzschlussreaktion, er wurde also nicht einfach blind dazu gedichtet, um den Namen nichtssagend zu verfremden. Denn der Letter ist eine Anspielung auf Markus Kavka – kein Dichter zwar, mindestens aber ein Wortakrobat. Musiksender-Moderator bei MTV und VIVA und heimlicher Fernsehheld der deutschen Neunziger-Jahre-Generation. Kafka trifft Kavka – und was epochenmäßig so gar nicht zueinander passt, wird im Bandnamen des Quartetts Realität.
Fan war auch Bassist Philipp, wie er gesteht. Und so vermischen die Vier musikalischen Sachverstand mit lyrischer Intelligenz, und das aber nicht allein nur im Namen.
Warum Kafvka einen Nerv trifft
Die Band jedenfalls entstand mindestens genauso zufällig wie der Name. Philipp und Jonas lernten sich 2013 bei einem Berliner Startup kennen und wurden so auf die Musikalität des jeweils anderen aufmerksam. Philipp spielte damals noch bei einer anderen Crossover-Band, dem Vorläufer von Kafvka. Und Jonas wagte die ersten Schritte als Rapper in der hauptstädtischen Szene. Der große Durchbruch allerdings blieb aus. Dafür passte die Chemie zwischen den beiden umso besser. Musik haben auch die anderen zwei Bandkompanen schon vor Kafvka gemacht – Gitarrist Oscar und Schlagzeuger Stephan, der eine aus Peru, der andere aus Österreich.
Mit einer passgenauen Beschreibung zu ihrem ausgefallenen Musikstil tun sie sich selbst schwer. 2017 befragten sie dazu ihre Fans bei Facebook: „Politcrossoverrap? Deutschraprock? Politischer Crossoverdeutschrap? Einfach nur 90er Crossover? Wie heißt das, was wir machen?“ Die Band sei in einem Genre zuhause, „das eigentlich niemand mehr hört“, bemerkt Philipp breitgrinsend. Wie auch immer das heißt, was die vier Jungs spielen; Sound und Inhalt treffen offenbar einen Nerv – einen, der zum hier und jetzt passt. „In all der ultra-energiegeladenen Musik verstecken sich Texte, deren gerappte Zeilen von ernsten, oft politischen Themen erzählen“, meinen die Kritiken.
Über den Feind am rechten Rand
Den Frühling über waren die vier Jungs im Land unterwegs – acht Shows in eineinhalb Monaten haben sie gespielt. Das hieß: mittwochs Hannover, donnerstags Köln.
Der Titel der Tour war mit Absicht plakativ gewählt. Auf den Werbetafeln prangte die eindeutige Botschaft: „Alle hassen Nazis“ – dazu eine geballte Faust, die ein Hakenkreuz zerschmettert. Für Interpretationen bleibt da kaum Platz, aber doch ein wenig künstlerische Freiheit. „Der Nazi-Begriff ist schon sehr griffig. Deshalb haben wir ihn ausgesucht. Wir wollen andere aufrütteln, uns aber auch klar positionieren: Wenn jemand überzeugter Nazi ist, brauche ich nicht mehr zu diskutieren.“
Aber nicht nur die Tour hieß so, sondern auch ein Song, der im November des vergangenen Jahres erschienen ist. Dort klingt die Botschaft genauso eindeutig:
Als sich die Musikwelt änderte
Sich als Band nicht nur neben, sondern vor allem auf der Bühne politisch so klar zu positionieren, ist nicht selbstverständlich. Vor allzu deutlichen Aussagen schrecken viele in der Branche zurück. Das war allerdings nicht immer so. Die 68er beeinflussten auch die Musikwelt, die nicht mehr nur über knallrote Gummiboote singen wollte, sondern über die gesellschaftlichen Verhältnisse. Als erste Politrockband Deutschlands gilt Ton Steine Scherben mit ihrem Frontmann Rio Reiser. Sie propagierten das Schwarzfahren und wehrten sich gegen Immobilienspekulationen. Konzerte spielten sie oft zum Selbstkostenpreis und ihre Platten veröffentlichten sie in Eigenregie.
Dazu kamen Liedermacher, die über Politik sangen: Franz Josef Degenhardt, Hannes Wader oder Konstantin Wecker. Später Altbekannte wie Udo Lindenberg, Herbert Grönemeyer, Die Ärzte und Die Toten Hosen. Doch mit der Jahrtausendwende schien auch die Zeit der klaren Ansagen vorbei zu sein. Politisch ja, aber weniger plakativ, dafür diffuse Kritik – verpackt in mehrdeutigen Zeilen. „Die Zweitausenderjahre waren super unpolitisch, auch und vor allem in der Musik“, erinnert sich Philipp. Das ändere sich nun langsam wieder, zum Beispiel durch neu-politisierte Musikgrößen wie Casper oder Marteria, die den Ernst der Lage erkennen und versuchen, gute Vorbilder zu sein.
So politisch wie sonst niemand
Kafvka sind da noch deutlich klarer in der Sprache – Wut, Hoffnung, Rebellion. 2016 coverten sie den legendären Ton Steine Scherben Rauch-Haus-Song als Kritik an der Gentrifizierung. „Wichtig ist“, verdeutlicht Philipp, „dass die Menschen aktiv sind, sich informieren und die Zeit nicht einfach an sich vorbeilaufen lassen. Mir ist schon klar, dass Musik wenig an der politischen Situation ändern wird, aber wir können neue Impulse setzen und Verbundenheit schaffen.“
Ein anderer Kafvka-Song ist heimlich zum Soundtrack von Fridays for Future geworden, zumindest läuft „Hallo Welt“ auf den Demonstrationen rauf und runter, ein Plädoyer für eine bessere Welt, das wie maßgeschneidert scheint für die neue Bewegung.
Und mit „2018“ hat die Band einen Song über das Geflüchtetensterben gemacht, der an Aktualität nicht verloren hat. Bassist Philipp erklärt dazu: „Wir sind keine super, super ernste Band, die rund um die Uhr nur über Politik redet. Wir möchten natürlich auch, dass die Menschen Spaß bei unseren Shows haben. Doch momentan ist das ganze Land politisiert und so drängt es sich auf, dass wir was machen müssen.“
Ihre beißende Gesellschaftskritik adressiert Kafvka durchaus auch mit dem erhobenem Zeigefinger. Und die Band lebt das, was sie singt. An ihrem Merchandise-Stand verkaufen die Jungs ausschließlich Second-Hand- und Fair-Trade-T-Shirts.
Eine Band, die kritisch bleibt
Bisweilen provozierten Kafvka aber auch im rechten Lager. In Dresden musste sogar ein Gig abgesagt werden, weil der damalige Schlagzeuger einen ihrer Songs auf den Profilen von Pegida in den sozialen Netzwerken gepostet hatte. „Der Veranstalter hatte Angst, dass sie ihm den Laden auseinandernehmen“, erzählt Philipp. Damals häuften sich auch die negativen Kommentare unter den Videos der Band. 2015 wurde auf Facebook eine Todesanzeige von Sänger Jonas erstellt, inklusive einer gefakten Stellungnahme der verbliebenen Bandmitglieder. Und während sie in Schnellroda, Sachsen-Anhalt, ein Konzert spielten, sammelten sich Neonazis in der Dorfkneipe.
Für Kafvka war das ein komisches Gefühl: „Wir bekamen eine Nähe zu der Realität, in der andere Menschen jeden Tag leben müssen“, sagt Philipp. Die Band bleibt deshalb weiter kritisch – auch mit Blick auf das gigantische #wirsindmehr-Konzert in Chemnitz. Das sollte eine Antwort auf die rechtsextremen Proteste und Ausschreitungen sein, nachdem auf dem Chemnitzer Stadtfest ein 35-jähriger Deutsch-Kubaner erstochen worden war. 65 000 Menschen sahen Kraftklub, K.I.Z. oder Feine Sahne Fischfilet live. „Wir waren vielleicht eine Stunde lang die Mehrheit in Chemnitz, aber danach ging das Leben für die Menschen vor Ort weiter. Bringt das überhaupt irgendwas?“
Engagement außerhalb der Musik
Sänger Jonas ist übrigens nicht nur musikalisch engagiert. Denn im Herbst 2014 gründete er mit Freundin Mareike eine Wohnbörse für Geflüchtete. Eigentlich wollten sie damals nur ein Zimmer in ihrer WG für eine Zeit untervermieten, idealerweise an eine geflüchtete Person. Sie haben ihre Bekannten und Verwandten gefragt, ob die sich an den Mietkosten beteiligen würden. Die Resonanz sei überwältigend gewesen.
Hilfe bekamen beide von einer befreundeten Sozialarbeiterin, die mit Fachwissen zur Seite stand. Ab wann jemand in eine Wohnung ziehen darf, ist nämlich von Bundesland zu Bundesland, sogar von Kommune zu Kommune unterschiedlich.
Einen Monat später zog Bakary aus Mali für ein halbes Jahr bei Jonas und Mareike ein – es war die erste WG, die durch das Projekt entstand. Jonas programmierte die passende Internetseite, eigentlich nur, um die Erfahrungen mit anderen zu teilen. Seit dem wurden unzählige Geflüchtete in Wohngemeinschaften vermittelt und die Idee mit Unterstützung in zig andere Länder adaptiert.
Den Umgang der Gesellschaft mit Geflüchteten verarbeitet Jonas auch in seinen Texten. Im bitterbösen Refrain von „Lampedusa“ heißt es: „Komm, wir fahr’n nach Lampedusa! Halt dich fit, fang an zu rudern! Hurrah, fast geschafft! Jetz’ nur noch klarkommen lernen mit dem Hass.“
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