Text: Susanne Kailitz — Foto: Max Gödecke
Wenn Daika sich querstellt, weiß Hannah Reuter Bescheid: Hindernis voraus. Das kann der Stuhl eines Straßencafés sein, ein geparkter E-Scooter oder auch der Zaun einer Baustelle. Je nachdem, in welchem Winkel die Golden Retriever-Hündin ihr den Weg verwehrt, steuert das Hund-Mensch-Team auf eine Engstelle auf dem Gehsteig zu – oder es muss einen Umweg nehmen. „Wie sie das macht“, sagt Hannah Reuter, „das fasziniert mich immernoch.“
Seit neun Jahren ist Daika an ihrer Seite und sorgt dafür, dass Hannah Reuters Alltag deutlich problemloser ist, als er es ohne die schwarze Hündin wäre. Daika ist Assistenzhund, darauf trainiert, Reuter zu navigieren und Türen, Treppen oder Ampeln anzuzeigen, Hindernisse zu umgehen oder zahlreiche akustische Signale, so genannte Hörzeichen, zu befolgen. Und im Notfall muss Daika dann intelligent den Gehorsam verweigern, wenn das Kommando, das ihr von Hannah Reuter gegeben wird, die Frau in Gefahr bringen würde.
Daika hat einen Job, einen ziemlich verantwortungsvollen. Das Signal dafür, dass ihre Schicht beginnt, ist das Anlegen des Führgeschirrs. „Wenn sie das trägt, ist sie im Arbeitsmodus“, so Reuter. „Es wäre schön, wenn das alle Menschen um sie herum auch wissen und respektieren würden.“ Doch das Wissen darum fehlt häufig – vermutlich auch, weil Assistenzhunde noch lange nicht zum alltäglichen Straßenbild gehören.
In Deutschland gibt es aktuell nur rund 3 000 Mensch-Assistenthund-Duos, in denen speziell ausgebildete und geprüfte Hunde Menschen und Kinder mit Behinderungen unterstützen. Während Blindenführhunde etwa blinde oder Menschen mit Sehbehinderung durch den Alltag navigieren, weisen Signalhunde gehörlose oder hörbehinderte Menschen auf Geräusche hin, assistieren Servicehunde Menschen mit Bewegungseinschränkung und warnen medizinische Signalhunde, wenn beim Menschen etwa ein epileptischer Anfall droht.
Dass Assistenzhunde so selten sind, hat verschiedene Gründe. Zum einen ist die Ausbildung der helfenden Vierbeiner teuer: Mehr als 30 000 Euro werden für das Training fällig, das die Hunde für genau einen Menschen befähigt – und nur die Kosten für Blindenführhunde werden bislang von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Zum anderen haben die Teams aus Mensch und Tier noch längst nicht überall uneingeschränkten Zutritt.
Verschlossene Türen trotz Gesetz
Zwar besagt das Behindertengleichstellungsgesetz, das im Juli 2021 in Kraft getreten ist, dass Menschen mit Behinderungen in Begleitung durch ihren Assistenzhund der Zutritt von Anlagen und Einrichtungen für den allgemeinen Publikums- und Benutzungsverkehr nicht mehr verweigert werden darf, „soweit nicht der Zutritt mit Assistenzhund eine unbillige oder unverhältnismäßige Belastung darstellen würde“. Hannah Reuter aber hat andere Erfahrungen gemacht: „Ich bin trotzdem bisher noch aus jedem Krankenhaus rausgeflogen, wenn ich mit Assistenzhund unterwegs war, egal ob als Besucherin oder Patientin.“ Schwierig sei es mitunter auch noch in Lebensmittelgeschäften oder Restaurants.
Hannah Reuter möchte, dass sich das ändert. Vor vier Jahren hat die promovierte Sprach- und Kulturwissenschaftlerin dem Wissenschaftsbetrieb deshalb den Rücken gekehrt und als Referentin für Öffentlichkeitsarbeit bei den Pfotenpiloten angeheuert – einem Verein mit Sitz in Frankfurt, der drei Ziele verfolgt: die Aufklärung der Öffentlichkeit über Assistenzhunde, die Qualitätssicherung und den Aufbau wirksamer Förderstrukturen für ihre Finanzierung.
Gegründet wurden die Pfotenpiloten 2015 von Roswitha Warda. Ihre Tochter habe damals als Trainerin für Blindenführhunde gearbeitet, erinnert sie sich. „Ich war vollkommen konsterniert, dass es für Hunde, die so viel Verantwortung tragen, keine standardisierte Ausbildung oder Prüfung gab“. Lange galt: Wer mit einem Assistenzhund leben will und dafür unter Umständen viel Geld in die Hand nimmt, muss aufs Bauchgefühl vertrauen – oder schlicht Glück haben.
Verlässliche Strukturen für diesen Bereich zu schaffen, das ist das Ziel der Pfotenpiloten. Der Grundstock dafür ist Aufklärung. Davon sind Hannah Reuter und Roswitha Warda überzeugt. Darüber, wie Assistenzhunde arbeiten, welchen Vorteil sie für Menschen mit Behinderungen haben – und dass sie, wenn sie im Einsatz sind, nicht gestört werden dürfen.
Sie könne verstehen, sagt Reuter, dass Menschen das Bedürfnis hätten, Daika zu streicheln. „Aber wenn ich einen Assistenzhund anspreche oder ihm schlimmstenfalls ungefragt ein Leckerchen zustecke und dazu bringe, dass er die Konzentration verliert, kann das seinen Menschen in große Gefahr bringen.“ Bei allem Training und der größten Verlässlichkeit ließen die Vierbeiner sich ablenken. „Da ist der Hund am Ende auch nur ein Mensch.“
Überlebenswichtige Überstunden
Auch das große Problem der Zutrittsrechte gehen die Pfotenpiloten in ihrer Arbeit an. Vor drei Jahren initiierten Warda und ihr Team die Kampagne „Assistenzhund willkommen“. Seither können Geschäfte und Einrichtungen mit Stickern an der Tür oder den Fenstern signalisieren, dass die felligen Navigierenden Zugang haben. Infos dazu, dass Hunde nicht unhygienischer sind als Menschen in Straßenklamotten, lieferte der Verein mit Flyern und Videos direkt mit.
Inzwischen gibt es als Tochter des Vereins auch die Stiftung Assistenzhund, die Konzepte zur Qualitätssicherung und Anerkennung für Teams entwickelt und mittelfristig als eine Art TÜV für die Ausbildung der Hunde dienen kann. Ziel ist, ab etwa 2025 die zertifizierte Ausbildung auch fördern zu können. Das Team arbeite an besseren Förderstrukturen, so Roswitha Warda, damit künftig mehr Menschen dank Assistenzhund an Mobilität gewinnen und es gleichzeitig nicht mehr davon abhängig ist, wieviel Geld jemand zur Verfügung hat.
Ganz bewusst bilden die Pfotenpiloten keine Teams aus oder vermitteln Hunde. Für Gründerin Warda ist das eine Grundsatzentscheidung. „Wir wollen für bessere Strukturen sorgen. Das können wir nur glaubwürdig, wenn wir unabhängig zwischen den Beteiligten vermitteln und keine eigenen Interessen verfolgen.“ Was so nüchtern klingt, beeinflusst am Ende massiv den Alltag und das Leben vieler Menschen. Auch das von Hannah Reuter. Sie kann sich, wie viele andere Menschen, die einmal gelernt haben, ihrem Assistenzhund zu vertrauen, das Leben nicht mehr ohne ihre Begleiterin auf vier Pfoten vorstellen.
Gerade erst hat Daika wieder bewiesen, wie verlässlich sie ist. „Wir waren an der Spree unterwegs und sie im Freilauf, hatte also frei. Aber dann haben Bauarbeiten eingesetzt, die so laut waren, dass ich ihr Glöckchen nicht mehr hören konnte. Sie ist sofort zu mir gekommen um zu checken, ob ich in Ordnung bin.“ Es sei in der Assistenzhunde-Community eine viel diskutierte Frage, ob die Hund tatsächlich Verantwortung für den Menschen am anderen Ende des Führgeschirrs verspürten. „Für mich hat Daika das klar beantwortet.“
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