Text: Susanne Kailitz-Kunz — Fotos: Jennifer Schäufelin
Wer mit Claire Funke spricht, spürt zuerst ihre unbändige Kraft. Gleich danach folgt die Wut. Vor allem auf die Verhältnisse, die regelmäßig dafür sorgen, dass Menschen, die sich in der gleichen Lebenslage wie sie befinden, immer wieder die Kraft ausgeht, obwohl sie sich das eigentlich überhaupt nicht leisten können. Claire Funke ist alleinerziehend, sie kümmert sich um ihre beiden Söhne ohne die Unterstützung durch deren Väter.
Alleinerziehend – das heißt: fiebrige Nächte allein stemmen, Hausaufgaben, Liebeskummer und Pubertät allein begleiten, für Einkäufe, Mahlzeiten und Wäsche allein zuständig sein und nebenbei noch allein das Familieneinkommen stemmen. Immer und ständig. Deutlich zu viel für eine Person. Funke weiß, was es bedeutet, wenn keine Kraft mehr da ist.
Dass sie neben ihrem Mutterjob und dem Beruf als virtuelle Assistentin auch noch Aktivistin ist, liegt an der eingangs erwähnten Wut. Im Sommer 2015 brach sie zusammen, erinnert sich Funke. Sie hatte noch in der Schwangerschaft realisiert, dass auch die Beziehung zum Vater ihres zweiten Kindes gescheitert war. Der große Sohn war damals sechs Jahre alt, nach der Trennung kümmerte sich sein Vater nicht mehr um ihn. Als dann die Verbindung zum zweiten Kindsvater kaputt ging, „bin ich komplett zusammengerutscht, da ging dann nichts mehr“.
Funke suchte Hilfe beim Jugendamt. Und sie stellte fest: „Für Fälle wie mich gab es einfach kein Angebot. Keine Formulare, keine Prävention, nichts.“ Sie erreichte, dass ihr kleiner Sohn für vier Wochen in einer Pflegefamilie betreut wurde und der Große über das Jugendamt beim Vater – und holte sie zu sich zurück, als sie wieder einigermaßen stabil war. Obwohl sie sich immer wieder für das schämte, was ihr widerfahren ist, gab sie ein Interview in einer Frauenzeitschrift. „Das war eine Initialzündung. Jahrelang habe ich an mir gezweifelt und den Fehler bei mir gesucht. Und dann wurde mir klar: Dass ich so überfordert war, war kein persönliches Versagen. Das ist ein strukturelles Problem.“
Was ist Care-Arbeit wert
Ein Problem, gegen das Claire Funke seither vehement vorgeht – auch wenn das Thema mit den Kraftreserven weiterhin besteht. Seit 2017 hat die Kronacherin sich an unterschiedlichen Kampagnen beteiligt, sie tritt als Speakerin auf, schreibt auf ihrem Blog „Mama streikt“ und auf X (ehemals Twitter). All das verbunden mit einem klaren Ziel: „Private Care-Arbeit von Eltern und pflegenden Angehörigen muss sichtbar und als Fürsorge-Arbeit mit gesellschaftlichem Wert anerkannt werden.“ Jeder Mensch sei im Lauf seines Lebens auf Fürsorge angewiesen. Das werde immer wieder als individuelles Problem abgetan, erzählt Funke, dabei sei es doch eines der gesamten Gesellschaft – und startete im Mai 2017 eine Petition für ein Fürsorge-Gehalt. 30 000 Menschen haben dafür unterschrieben.
Immer wieder hofft Funke darauf, dass das Thema in seiner Dimension gesehen wird – zuletzt mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie, die mit landesweiten Kita- und Schulschließungen nicht nur alleinerziehende Eltern an Belastungsgrenzen und darüber hinaus getrieben hat. Doch immer wieder stellt sie fest: Eltern haben keine wirkliche Lobby und ihre Fürsorgearbeit wird nicht als gesellschaftlich wichtige Arbeit wahrgenommen.
Als im Sommer 2020 mehrere Mütter unter dem Hashtag #CoronaElternRechnenAb in einer Protestaktion ihre Kinderbetreuung symbolisch in Rechnung stellten, ernteten sie viel Kritik – und die Belehrung, zum Kinderhaben gehöre nunmal auch Betreuung. Zynisch findet Funke das, als ob irgendjemand bei der Entscheidung für ein Kind wirklich auf dem Zettel haben würde, dass eine Pandemie alle Pläne über den Haufen werfen kann. „Den meisten ist ja noch nicht einmal bewusst, dass sie sich im Grunde wirklich immer sicher sein müssen, dass sie ein Kind im Zweifel allein großkriegen müssen, weil immer die Gefahr besteht, dass sie vom anderen Elternteil hängengelassen werden.“
Auch Funke fühlte sich während der Pandemie oft überlastet. Dass die Diskussionen um eine faire Entlohnung von Familienarbeit dadurch weitergekommen sind, sieht sie nicht. Oder dass in dieser Phase zu politisch Entscheidenden durchgedrungen ist, dass auch Paare und nicht nur Alleinerziehende Überforderung erfahren haben. Im Gegenteil: „Wir erleben in der Politik doch permanent die Forderung, dass möglichst alle Vollzeit arbeiten sollen. Es geht immer nur darum, das Wirtschaftswachstum über den Konsum zu steigern, also wird die ganze Welt komplett auf Erwerbsarbeit hin ausgerichtet.“
Wenn Menschen aus unterschiedlichen Gründen nicht mithalten können, werde ihr Problem individualisiert: „Dann wird gesagt: Wenn du dich alleine um die Kinder kümmerst, dann hast du das in deiner Beziehung nicht richtig aufgeteilt, du hast dich nicht richtig gewehrt. Da bist du selber schuld, dass du es nicht hinbekommen hast.“ Was stattdessen nötig wäre? Eine solidarische und gesellschaftliche Lösung für alle Beteiligten. Die werde aber nicht erreicht, würden die Debatten weiter so geführt wie bisher.
Klischees und Realitäten
Auch wie sich das Familienrecht in den letzten Jahren entwickelt hat, sieht Funke kritisch. „In der Regel ist das zulasten von Müttern gegangen.“ Laut Deutschem Jugendinstitut erhält nur jedes vierte Kind von – überwiegend weiblichen – Alleinerziehenden den Mindestunterhalt, bei vielen kommt gar kein Unterhalt an. Zwar springt der Bund in solchen Fällen mit einem Unterhaltsvorschuss ein, nach einer Neuregelung müssen Alleinerziehende von Kindern, die älter als zwölf Jahre sind, dafür aber ein Mindesteinkommen von 600 Euro beziehen.
Im Zuge dieser Gesetzesreform zog FDP-Finanzminister Christian Lindner den Unmut vieler an der Debatte Beteiligter auf sich, als er sagte, es sei eine „beklagenswerte Tatsache, dass die Erwerbsbeteiligung von Alleinerziehenden im vergangenen Jahrzehnt trotz des Ausbaus der Kinderbetreuungsstruktur zurückgegangen ist“. Durch die neue Anrechnung der Vorschüsse beim Unterhalt gebe es „einen Anreiz, dass es eine Arbeit braucht“.
Gleichzeitig soll das Unterhaltsrecht künftig so geändert werden, dass Eltern, die zwar nicht paritätisch, aber mehr als im klassischen alle-14-Tage-am-Wochenende-Modell mitbetreuen, weniger Unterhalt zahlen müssen. Davon betroffen: in der Regel Männer, die dann zwar immer noch nicht die Hälfte der Carearbeit übernehmen, aber Geld sparen, das den überwiegend betreuenden Müttern für die Versorgung der Kinder fehlt.
Wenn sie darüber nachdenkt, wird Claire Funke einmal mehr wütend. Mit den Aussagen des Finanzministers werde ein Klischee der faulen Alleinerziehenden, die von Transferleistungen leben wollten, bedient, das in der Realität einfach nicht zutreffe: Die Arbeitsbelastung der meist weiblichen Alleinerziehenden sei immens. Die Pandemie habe deutlich gezeigt, dass Sorgearbeit von Alleinerziehenden, Eltern und pflegenden Angehörigen überlebensnotwendig sei. „Unser gesellschaftlicher Wohlstand beruht zu einem nicht geringen Teil auf dieser unbezahlten Sorgearbeit. Das müssen wir endlich zur Kenntnis nehmen.“
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