VEranTwOrtung — Kolumne Sookee

Links-Sein ist und bleibt ein ewiger Balanceakt zwischen theoretischen Entwürfen und der reellen Machbarkeit in einer gesellschaftlichen Umgebung, die einem abspricht den Ernst des Lebens verstanden zu haben.
18. Dezember 2023
3 Minuten Lesezeit
Text: Sookee — Foto: Benjamin Jenak

„Wer mit 20 nicht links ist, hat kein Herz. Wer mit 40 immer noch links ist, hat keinen Verstand.“ Dieser Spruch existiert in verschiedenen Varianten und wird unterschiedlichen Leuten – unter anderem dem einstigen britischen Premierminister Winston Churchill – zugeschrieben. Von wem auch immer dieser Satz stammt und in welcher Variante er auch immer aufgerufen wird, in jedem Fall ist er adultistisch, denn er konnotiert Links-Sein als weltfremd, naiv, unrealistisch und nicht tragfähig.

Auch ist er Ausdruck einer tiefen Verbitterung darüber, dass sich Gesellschaften mitunter nur langsam in Bewegung bringen lassen. Das wiederum liegt etwa an Erzählungen wie sie in diesem zynischen Ausspruch enthalten sind. Und ein „erwachsener“, „reifer“, „seriöser“ Konservatismus wie er hier beschworen wird, sucht und verstärkt diese ignorante Trägheit nur. Ich ärgere mich über diesen 20-40-Satz schon seit meiner Jugend. Und ich ärgere mich auch heute noch über andere Sätze, die in Hufeisen-Manier von „weder rechts noch links“ eine vorgeblich neutrale Mitte konstruieren. Jahr um Jahr geschehen gesellschaftliche Entwicklungen, die wir mit dem Wort „Rechtsruck“ beschreiben.

Ganz so, als wäre es etwas plötzliches, spontan mit hochgezogenen Augenbrauen zu skandalisierendes. Ein Teil einer Demokratie, die sich nun mal selbst aushalten muss. Wie ein krachendes Knochenknacken, das Unbehagen auslöst, aber irgendwie vom Körper kommt und deswegen zum Organismus dazugehört.

Dieser Rechtsruck wird in Wahlerfolgen der AfD, im Erstarken der Reichsbürger-Szene und vergleichbaren Tendenzen Rechtsaußen gesehen. Aber die zunehmende Durchlässigkeit der Mitte-Parteien nach Rechts wie die neuerliche „klare Kante“ eines SPD-Bundeskanzlers in Asylfragen, die von „Abschiebungen im großen Stil“ träumt, oder die Teile-und-herrsche-Aussagen von gewollter und unerwünschter Migration des FDP-Finanzministers sind ebenso Ausdruck dieses Rechtsrucks, der eigentlich ein Schleichen ist.

Auch der Umstand, dass wir uns als Gesellschaft damit abgefunden haben, dass wir nunmal im Ausbeutungssystem des Kapitalismus feststecken und dafür Lebensgrundlagen und Menschlichkeit opfern, ist Teil dieses Prozesses.

Als Kind einer Familie, die unter einem verlogenen und autoritären Realsozialismus massiv gelitten hat, fällt es mir auch schwer, einen sozialistischen Staat herbeizusehnen. Denn die Angst davor, dass die große Enttäuschung zugleich in die Hoffnung eingewoben ist und mit der Zeit die Fadenscheinigkeit, Machtstreben und Korrumpierbarkeit sichtbar macht, hat einen realen historischen Anker. Aktuell tut sich eine kleine, aber nennenswerte Chance auf, die Dinge doch glaubwürdig und mit Bodenhaftung zu gestalten.

Seit dem Weggang von Sahra Wagenknecht und ihrer Gefolgschaft aus der Linkspartei sind mehr Neuzugänge als Austritte zu verzeichnen. Selbstverständlich hat mich dieser Trend auch nachdenken lassen, ob es nun – mit fast 40 – für mich an der Zeit ist, nicht mehr nur Bewegungslinke zu sein, sondern auch Parteilinke zu werden.

Links-Sein ist und bleibt ein ewiger Balanceakt zwischen theoretischen Entwürfen und der reellen Machbarkeit in einer gesellschaftlichen Umgebung, die einem abspricht den Ernst des Lebens verstanden zu haben, während sich Menschen selbst fortwährend im Versuch befinden, den Ernst aller Leben zu verstehen.

Links-Sein bedeutet für mich in erster Linie den eigenen Wertevorstellungen so zu folgen, dass solidarische Lebensformen daraus hervorgehen, die die persönliche Selbstbestimmung respektiert und gleichzeitig das kollektive Wohl priorisiert. Eine Gesellschaft also, in der die Freiheit nicht mit Sicherheit stirbt, sondern in ihr entlang gerechter, an Bedürfnissen orientierter Verteilungen aufgeht. Diese Ausgewogenheit braucht Kompromissfähigkeit, die geprägt ist von Freiwilligkeit. Die Bereitschaft gerne auf persönliche Bereicherung zu verzichten, wissend, dass damit allen Genüge getan wird, auch mir selbst.

Ich wurde kürzlich von einem Kind gefragt, was der Unterschied zwischen der politischen Rechten und der Linken sei. Ich antwortete: Die Rechten wollen das Beste für sich. Die Linken wollen das Beste für alle.

Ich habe mein Vertrauen in meine linken Überzeugungen nie verloren. Im Gegenteil: Mit wachsender Kritikfähigkeit verdichtet sich dieses Selbstverständnis noch. Dem eingangs zitierten Satz nach, fehlt es mir also an Verstand. Ich habe nicht vor, mich herabwürdigen oder desillusionieren zu lassen. Ich vertraue meinem Vertrauen und ich nähre es aus messbaren historischen Erfolgen linker Kämpfe. Aus kleinen, aber sinnstiftenden Veränderungen, an denen ich selbst mitgewirkt habe.

Und auch aus dem lebenslangen, unumstößlichen Engagement von Menschen wie Cornel West und Tricia Hersey, die immer wieder Worte finden, die mein Feuer brennen lassen: „I trust myself more than capitalism.“ Genau darum gehts! Gemeinschaftlich weiterzumachen, sich nicht demoralisieren oder aufkaufen zu lassen. Mit 20, 40, 60 … bis zuletzt.

Sookee ist queerfeministische Antifaschistin, Musikerin und Mutter. Und sie ist Fan von gegenseitiger Sichtbarmachung, Rotationsprinzipien und Aufrichtigkeit.

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