Text: Olivier David — Fotos: Benjamin Jenak
Ein später Vormittag Mitte März. Hubertus Koch, von befreundeten Menschen und jenen, die ihm in den sozialen Netzwerken folgen, „Hubi“ genannt, steht in der offenen Küche seiner Wohnung im Bremer Stadtteil Viertel und kocht Kaffee. Er balanciert ein kleines Brettchen mit geschmierten Broten in der einen Hand, die dampfende Tasse Kaffee in der anderen zu seinem beigefarbenen Sofa im Wohnzimmer, setzt sich und beginnt zu erzählen. Unverblümt. Dieses Wort beschreibt Kochs direkte Art vielleicht am besten.
Unverblümt und „mit einer drei viertel Flasche Wein im Kopp“ hielt Hubertus Koch bei der Preisverleihung des Deutschen Fernsehpreises der anwesenden Filmindustrie den Spiegel vor, als er sagte: „Ich mach das Fernsehen an und ich krieg das kalte Kotzen, weil so viel Bullshit kommt. (…) Und trotzdem liege ich zu Hause auf der Couch und rege mich auf und nur weil ich jetzt hier stehe, heißt das nicht, dass ich mich nicht aufrege.“ In einem Video, aufgenommen von einem Freund, ist zu sehen, wie entgeistert Moderatorin Barbara Schöneberger Kochs Worten lauscht. Die Rede sei aus seinem tiefsten Innern gekommen, sagt er rückblickend.
Wer mit Koch Zeit verbringt, merkt, dass es für ihn keinen Unterschied macht, ob er eine Rede beim Deutschen Fernsehpreis hält, ein Video dreht, oder eine Sprachnachricht für einen Bekannten aufnimmt. Koch ist auf eine Art und Weise authentisch, die in der Medienwelt ihres Gleichen sucht. Seine Syrien-Dokumentation „Süchtig nach Jihad“ wurde zur Blaupause für das Y-Kollektiv, dem YouTube-Format der öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF, das Koch mit aufbaute und dessen Idee es ist, mit emotionalen Themen und Geschichten, aber auch mit einem meinungslastigen, manchmal subjektivem Journalismus eine jüngere Zielgruppe zu erreichen, als es die Hauptsender tun.
Es gibt einen Hubertus Koch vor dem Syrien-Film und einen danach. Die Geschichte vor 2014 ist schnell erzählt. Nach dem Abitur beginnt er ein Praktikum beim TV-Sender „Sport 1“ in München. Koch stellt sich vor, Fußball-Kommentator zu werden. Nach dem Praktikum fängt er ein Germanistik-Studium an, nebenbei lernt er als freier Mitarbeiter das tägliche Fernsehgeschäft kennen. Von einer Kommilitonin erfährt er, dass ihr Vater auf eigene Faust Hilfslieferungen nach Syrien bringt. Kurzerhand fragt Koch an, ob er ihn begleiten dürfe. Er darf.
Zurück aus Syrien ist er nicht mehr derselbe. Die Erlebnisse bringen ihm neben Auftritten bei Stern TV und Markus Lanz auch eine posttraumatische Belastungsstörung ein. Er beginnt eine Therapie. Monatelang schneidet er an dem Filmmaterial. Ausgerechnet die Frage einer Bekannten, ob er in Syrien backpacken gewesen sei, ist der Schlüssel zum Erfolg seines Films. Egal mit wem er gesprochen habe, die Fragen hätten immer nur ihm selbst gegolten, sagt er, nicht dem Krieg und auch nicht dem Elend der Menschen dort. Seine Idee: „Ich mache mir diese Doppelmoral zunutze und erzähle meine Geschichte. Als Protagonist ziehe ich sie in die Scheiße rein und jubel ihnen den Krieg, für den sich die meisten nicht interessieren, unter.“
Journalistische Regeln außer Kraft
Bis heute ist das Persönliche bei ihm ein Vehikel, über das er eine Nähe erzeugt, die mehr will als nur aufklären. Seit der Syrien-Dokumentation war Koch im mittlerweile geräumten Geflüchtetencamp im nordfranzösischen Calais, im vergangenen Jahr berichtete er auf eigene Faust und nach einer Crowdfunding-Aktion mehrere Tage über die Räumung des Dannenröder Forst. Und wenn es mal nirgendwo brennt, dann löscht Koch seine eigenen Feuer. Im Februar diesen Jahres hörte er vor den Augen seiner mehr als 40000 Menschen großen Instagram-Gefolgschaft mit dem Kiffen auf. Ende 2020 veröffentlichte er seinen ersten Gedichtband, der „Brandloch“ heißt. Für etwas brennen und sich verbrennen, bei Koch liegt das nicht weit auseinander.
Kochs Journalismus ist nicht nur persönlich, er geht auch an der Stelle weiter, wo andere Medienschaffende eine Grenze ziehen. Die Parameter, nach denen er handelt, lässt er sich nicht von Kodexen diktieren, wie sie an Journalismusschulen beigebracht werden. Er steckt sie sich lieber selbst. „Dass man sich auch nicht mit einer guten Sache gemein macht, diese Regel werde ich jetzt brechen“, sagt er in der Dokumentation über den Dannenröder Wald – und hilft mit, ein Podest in die Baumwipfel zu ziehen. Von den Engagierten vor Ort bekommt er Applaus. Er findet, „wenn ich schon auf Missstände aufmerksam mache, kann ich auch gleich versuchen, sie zu verbessern. Und wenn ich klar kennzeichne, dass ich Regeln breche, kann ich das mal machen.“ Der Klimawandel ist für ihn ein solcher Missstand, das Sterben an Europas Außengrenzen ein anderer.
Durch seine Erlebnisse in Syrien hat sich bei ihm etwas verändert. Er ist politisiert worden, er berichtet nicht über Ungerechtigkeit, er filmt gegen sie an. Mit „Süchtig nach Jihad“ sammelte er auf Vorführungen tausende von Euros, die an syrische Hilfsorganisationen gingen. Bei einer Spendenaktion mit seinem Gedichtband kamen 3000 Euro für die Geflüchteten-Kampagne #LeaveNoOneBehind zusammen.
Trotz Fernsehpreis und Grimme Online Award hat Koch nach seinem Aufstieg erstmal die Stopptaste gedrückt. Zum einen, um die letzten Jahre zu reflektieren, zum anderen, weil in der Zusammenarbeit nicht alle mit seiner direkten Art klar kamen. „Wenn du brennst“, erklärt er, „wenn du als Reporter ein Gefühl auf den Bildschirm bringst, ist das gut für die Dramaturgie, aber wenn du hinter dem Bildschirm auch so bist, können manche damit nicht umgehen.“ Nach rund einem Dutzend Produktionen fürs Y-Kollektiv war für Koch bei Funk fürs erste Schluss, seither ist er sein eigener Chef.
In seiner täglichen Arbeit pendelt Hubertus Koch zwischen Auftragsarbeit und Bubble-Journalismus, zwischen Idealismus und Realität, zwischen Filmen und Büchern. Dabei folgt er nur seinem brennenden Herzen und bringt damit ein wenig Erfrischung in den oftmals kühl kalkulierenden Journalismus der deutschen Medienlandschaft.
Dieser Text erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe des Veto Magazins: www.veto-mag.de/gedruckt. Unsere Botschaft an alle Gleichgesinnten: Ihr seid nicht allein!