Bissig — Vanessa Bokr

Wohl kaum ein Zuhause verdient so viele Warnschilder wie das der Hellhound Foundation in Niedersachsen. Hier leben Hunde, die gebissen und sogar getötet haben. Vanessa Bokr hat sie zu ihren Schützlingen gemacht.
28. November 2022
6 Minuten Lesezeit
Text: Susanne Kailitz-Kunz — Fotos: Benjamin Jenak

Ein Grollen, das aus den Tiefen des Körpers kommt. Ein dumpfes Bellen. Ein heiseres Knurren. Schrilles Kläffen. Die Höllenhunde sind in Fahrt. Menschen, die ihren Hof in der Lüneburger Heide besuchen und die tägliche Routine stören, zeigen sie ganz deutlich: Gäbe es die Zäune aus massivem Draht nicht, die Zwei- und Vierbeiner voneinander trennen, dann würden die Kräfteverhältnisse dieser Begegnung ganz anders aussehen.

Und dann ändert sich das Szenario binnen Sekunden. Als eine schlanke, dunkelhaarige Frau an die Zwinger tritt, werden Kraftpakete, die gerade noch aus dem Stand zwei Meter in die Luft gesprungen sind und vor Aggression zu explodieren drohten, zu streichelbedürftigen Kuschelmonstern, die ihren Hals an das Gitter pressen, um gekrault zu werden. Die Frau, die das bewirkt: Vanessa Bokr, Gründerin der Hellhound Foundation – eine Tierschutzeinrichtung für aggressive Hunde, die sonst niemand mehr aufnehmen will und kann. 60 Hunde leben auf dem Hof in Bispingen, eine kleine Gemeinde, idyllisch auf dem Land in Niedersachen gelegen.

Ein paar von ihnen dürfen sich frei bewegen, andere spielen auf umzäunten Flächen, einige wenige sind in Zwingern untergebracht. Rund 80 Prozent von ihnen tragen Maulkorb. Bokr könnte jeden Tag weitere Hunde aufnehmen, „aber dann steigt uns das Veterinäramt aufs Dach, das geht nicht“. Die Hunde kommen aus ganz Deutschland und finden hier die letzte Zuflucht „vor der Spritze“, wie Vanessa Bokr erklärt – weil sie Menschen oder Artgenossen angegriffen und zum Teil schwer verletzt oder gar getötet haben. Es sind gefährliche Hunde, die viele wohl ohne mit der Wimper zu zucken einschläfern lassen würden.

Für die Betreiberin der Hellhound Foundation ist das keine Option. „Warum sollen Tiere, die nichts dafür können, dass Menschen sie grundfalsch behandelt oder sich nie einen Gedanken um den richtigen Umgang mit ihnen gemacht haben, mit dem Tod bestraft werden?“ Wer sich etwa einen Herdenschutzhund zulege, dürfe nicht ernsthaft verwundert darüber sein, dass der die Lieferbotin attackiert. „Das ist schlicht sein Job, der verteidigt sein Revier.“ Und das Ehepaar im Ruhestand, das sich einen Deutsch-Drahthaar kaufe, weil es den so niedlich finde, aber keine Lust auf Bewegung habe, das „kann doch nicht erwarten, dass ein so intelligenter und leistungsfähiger Hund dann einfach nur in der Zwei-Zimmer-Wohnung rumliegt und mit kleinen Spaziergängen im Viertel ausgelastet ist“.

Explosionsgefahr

Hunde, die zu Vanessa Bokr kommen, sind aber nicht nur ein bisschen unausgelastet. „Bei denen ist schon deutlich mehr passiert, als dass sie das Kind aus der Nachbarschaft gezwickt haben.“ Die Tiere sind zum Teil massiv verhaltensauffällig, haben oft eine lange Geschichte hinter sich, in der sie von überforderten Menschen von Haushalt zu Haushalt weitergereicht wurden. Sie erlitten nicht selten Misshandlungen und Qualen. In der Hellhound Foundation tragen viele Hunde den Namen des Körperteils, dass sie verletzt oder abgebissen haben; im Moment wohnen hier unter anderen „Fresse“, „Pimmel“ und „Hand“. Vermutlich wären die Namen deutlich drastischer, würden sie spiegeln, was den Hunden in ihrem bisherigen Leben widerfahren ist. Viele der Hellhounds haben abgebrochene Zähne, Narben und Verletzungen.

Der Umgang von Bokr und ihrem siebenköpfigen Team mit den Vierbeinern ist liebevoll-robust, der Humor eher derb. Immer mal brüllt jemand los, weil Hunde miteinander im Clinch liegen. Zwischendrin wird immer wieder gekuschelt und gestreichelt. Wenn Vanessa Bokr über die Hunde und deren Geschichte spricht, nutzt sie meist eine drastische Sprache. Von „zerfleischen“ ist dann die Rede, von „Gesicht abbeißen“ oder „zerfetzen“. Die sprachliche Distanz, die so aufgemacht wird, dient mehreren Zielen: Bokr bekommt so selbst Abstand zu den Schicksalen der Vier- und Zweibeiner, die so unheilvoll miteinander verwoben sind.

Gleichzeitig verhindert sie, ihre Schützlinge zu romantisieren. „Ich will hier niemanden haben, der vor Mitleid zerfließt und sich der armen, armen Hunde annehmen will, weil es denen ja so furchtbar geht. Ich will, dass die Leute begreifen, was Hunde eigentlich sind und was es braucht, um vernünftig mit ihnen zu leben.“ Bokr ist davon überzeugt, dass nur Menschen sich einen Hund anschaffen sollten, „die auch Lust haben und in der Lage sind, die Führung zu übernehmen. Sonst macht das der Hund. Und das ist schlecht.“ 

Fehler im Umgang

Die 35-Jährige weiß, wovon sie spricht. Sie ist zertifizierte Hundetrainerin und hat sich in Kynologie, der Lehre der Haushunde, ausbilden lassen. Und sie lebt mitten unter ihnen, in einem angemieteten Haus in Bispingen. Während sie mit ihrer eigenen Hündin die obere Etage bewohnt, gehört das Erdgeschoss nur den Tieren. In einem großen, gefliesten Raum stehen unzählige Boxen, ausstaffiert mit Decken und Spielzeug, in denen die Hunde die Nächte verbringen. Manchmal bleibt Bokr dann bei ihnen: Wenn ihre Kinder nicht bei ihr, sondern beim Vater sind, schläft sie auf einem einfachen Bett aus Metall, das sie zwischen den Boxen aufgestellt hat. Sie sei inzwischen im Grunde für menschlichen Kontakt verdorben, sagt Bokr und ihr Lachen zeigt, dass sie das nicht wirklich für ein Problem hält. Und das, obwohl sie selbst schon mehrfach schmerzhaft erfahren hat, was in Momenten der Unaufmerksamkeit passieren kann. Narben an Nase, Lippe und ihrer Hand berichten davon – trotzdem lebt Bulldogge „Fresse“ nach wie vor ganz selbstverständlich mit ihr auf dem Hof.

Bokr weiß, dass ein großer Teil hündischen Verhaltens, der für Menschen problematisch ist, schlicht artgerecht ist. Aggression sei nicht per se schlecht, erklärt sie, sondern eine Form der Kommunikation, mit der ein Hund Abwehr signalisiere. Auch mit seinem Knurren zeige er erst einmal nur an, dass ihm eine bestimmte Situation zu viel oder er überfordert sei – und darauf müsse der Mensch angemessen reagieren. Der aber suche allzu oft in seinem Vierbeiner einen Kind- oder Beziehungsersatz. „Die Leute vermenschlichen die Hunde ganz krass. Und sie erwarten, dass Hunde in menschlichen Kategorien denken und agieren. Das tun die aber nicht. Zeigt der Mensch Schwäche, hat der Hund kein Mitleid. Und der sieht da nur fehlende Stärke – und übernimmt im Zweifel die führende Rolle selbst.“

So wie der Pitbull, der seiner Besitzerin ins Gesicht gebissen hat. „Die hat sich auf die Couch gesetzt, die er als seine begriffen hat. Da sollte sie runter.“ Eigentlich sollte Rover nach dem Angriff auf seine Halterin sofort getötet werden, dann kaufte ihn die Hellhound Foundation frei und der Rüde lebt nun in Bispingen und wird hier auch bleiben.

Letztes Zuhause

Hunde, die zu den Hellhounds kommen, durchlaufen ein umfassendes Training – sie werden quasi erstmal zurückgesetzt und dann noch einmal neu „programmiert“. Bei einigen steht ein Wesenstest der zuständigen Behörden an, dessen Bestehen tatsächlich darüber entscheidet, ob sie weiterleben dürfen oder nicht. Bei den meisten funktioniert der Neustart, sie können nach einiger Zeit wieder vermittelt werden. Die wenigsten von ihnen werden zu entspannten Familienhunden, doch bei erfahrenen, geschulten Hundemenschen, die die nötige Mischung aus Führung und liebevollem Umgang beherrschen, können sie ein glückliches Leben führen. Einige Hunde allerdings werden Vanessa Bokrs Hof wohl nicht mehr verlassen, weil sie zu unberechenbar und gefährlich sind. „Das riskiere ich nicht, die abzugeben.“ Im Moment leben fünf Hunde hier dauerhaft, untergebracht getrennt von den anderen in eigenen Zwingern. 

Das Geld für die Versorgung der Hunde kommt aus Spenden, Trainingsangeboten und den Webinaren, die die Hellhound Foundation auf ihrer Website anbietet. Die Organisation würde gern eine eigene Immobilie kaufen, hat auch eine in Aussicht. Deren Finanzierung müsse irgendwie gestemmt werden – und das Nachdenken darüber ermüdet Vanessa Bokr. „Das ist in sozialen Berufen immer ein leidiges Thema. Du kannst entweder helfen und für andere da sein oder einem Job nachgehen, der gut bezahlt ist.“ Den wenigsten Leuten sei klar, „dass man mit Herzblut und Aufwand allein nicht überleben kann. Das werden wir in diesem Winter sehen, wenn viele kleine Vereine aufgeben müssen, weil sie nicht mehr heizen können.“

Am liebsten würde Vanessa Bokr für ihre Arbeit auch die Menschen zur Kasse bitten, die ihre Hunde so verkorkst haben, dass sie in ihrer Einrichtung landen. „Aber das kann ich vergessen. Wir hatten schon Fälle, da sind die Hunde hier abgeladen worden und die Leute sind einfach wortlos wieder eingestiegen und weggefahren.“ Sie würde sich wünschen, sagt die Trainerin, dass die Hundesteuer, die in Deutschland für das Halten von Hunden erhoben wird, dafür eingesetzt würde, in der Hundehaltung wirklich zu kontrollieren. Und sie plädiert dafür, dass Hundehaltung nur beim Vorliegen eines Hundeführerscheins erlaubt sein sollte.

Die Unterteilung von vermeintlich pflegeleichten Rassen und so genannten Listenhunden, die als gefährlicher eingeschätzt werden und in der Haltung strengeren Regeln unterliegen, hält Bokr dagegen für „hirnrissig“. Damit würden zum einen Rassen vorverurteilt und zum anderen attraktiv gemacht für ein Klientel, das einen gefährlichen „Kampfhund“ für ein Statussymbol halte. „Wenn ich nicht mit ihm umgehen kann, kann auch ein Labrador zur Gefahr werden.“

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