Text: Jasper von Römer — Fotos: Ingmar Nolting
In Leipzigs Innenstadt herrscht lebhafte Betriebsamkeit. Zwischen Familiengetümmel und verträumter Akkordeonmusik bewegen sich zwei Personen in neonfarbenen Westen und mit tief sitzenden Basecaps durch die Menge. Einer trägt eine schwarze Plakatrolle, der andere eine Metallleiter. Mit einem geübten Handgriff öffnen sie wenig später die schwere Glastür einer Werbevitrine und lassen sie nach oben schwingen – soweit erst mal nicht besonders. Doch wo eben noch eine Wassermarke ihre fruchtigen Geschmacksrichtungen präsentierte, hängt nun ein Poster in Bundeswehroptik. Darauf steht in großen Lettern: „Deutscher Mix: Nazis, Patronen, Einzelfälle.“ Darunter auf einem pinken Balken: „Nein zum Veteranentag!“
Als die Vitrine wieder zugedrückt ist, schauen sich beide kurz an, nicken sich zu und laufen gelassen zur nächsten Station ihrer Umgestaltungsmaßnahme. Auffallend komisch scheint hier offenbar nichts zu sein. Emil ist einer der beiden Verkleideten. Er wird später erzählen, dass er überhaupt nicht entspannt war in diesen Minuten und genau darauf geachtet habe, was um ihn herum passierte: „Als ein Polizeiauto an uns vorbeifuhr, musste ich den Gedanken wegschieben, dass sie alles wissen und auf jeden Fall zu uns wollen.“
Dabei ist es nicht das erste Mal, dass der Mittzwanziger an einer Adbusting-Aktion beteiligt ist. Gemeint ist das satirische Verfremden von Werbebotschaften, um im öffentlichen Raum auf gesellschaftliche Probleme hinzuweisen und dagegen zu protestieren. Emil habe sich mit der Klimabewegung politisiert, lernte 2020 bei der Waldbesetzung im Dannenröder Forst bei Marburg Menschen kennen, mit denen er ein paar Monate später auf Plakaten den „Tag ohne Bundeswehr“ forderte. In beiden Themen sieht Emil Schnittmengen: „Es gibt einen krassen Widerspruch, wenn die Regierung klimaneutral werden will, aber massiv aufrüstet.“

Im Juni 2025 ist der Anlass für die Aktion zwar ein anderer, das Ziel aber bleibt dasselbe: „Wir wollen ein Gegennarrativ platzieren.“ Die Kritik diesmal richtet sich gegen den Veteranentag, an dem einstigen Bundeswehrangehörigen für ihren Dienst gedankt werden soll. Emil jedoch sieht darin eine familienfreundliche, bürgernahe Inszenierung des Militärs.
An seinen ersten Kontakt mit der Truppe erinnere er sich noch genau. „Als ich 18 wurde, habe ich einen Brief bekommen, in dem so etwas stand wie: ‚Hey, wir sind die Bundeswehr! Hast du Bock?‘“ Besonders geärgert habe ihn damals, dass sie Namen und Adresse kannten – beides bekommt das Heer übrigens von den Kommunen.
Im Adbusting habe Emil eine passende Ausdrucksform für seine antimilitaristische Haltung gefunden. Die Plakate in die Glasvitrinen zu hängen, sei einfach umzusetzen – und verleihe der Botschaft automatisch einen seriösen Anstrich, findet Emil. Selbst Konservative, die sich von einem bemalten Banner schnell abwenden würden, fühlten sich so eher angesprochen.
Über Party und Protest
Auf seiner Tour durch die sächsische Messestadt wird Emil von Amy begleitet. Beide wirken eingespielt, dabei haben sie sich erst vor wenigen Wochen kennengelernt. Anfang Mai hatte der Verein Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen, kurz DFG-VK, zu einem öffentlichen Workshop-Wochenende nach Berlin eingeladen. Aus ganz Deutschland reisten Interessierte an, darunter sechs aus Leipzig.
In Kurzvorträgen wurde vermittelt, was Veteranen- und Reservistenverbände sind und was es mit dem Veteranentag auf sich hat. Die Teilnehmenden bastelten Protestplakate und bauten passendes Werkzeug zum Öffnen der Werbevitrinen. Zeit zum Vernetzen blieb auch – und so fand die Gruppe NoWarLE zueinander, um zwei Tage vor dem Veteranentag durch ihre Stadt zu ziehen und auf rechtsextreme Vorfälle in der Bundeswehr hinzuweisen.
Den Großteil der Poster haben die Mitglieder des DFG-VK produziert. Die Gruppen vor Ort in den Städten konnten eine beliebige Anzahl ordern. 40 Stück wollen Emil und die anderen in Leipzig aufhängen. Sie teilen sich dafür in drei Zweierteams auf.
Die Einführung eines nationalen Veteranentages hatte der Bundestag im vergangenen Jahr mit großer Mehrheit beschlossen. „Wo bleibt der Tag für Menschen, die in der Pflege arbeiten, die die Busse fahren, die unsere Kinder in den Kitas betreuen? Sie sind diejenigen, die unsere Gesellschaft wirklich ausmachen“, erwidert Emil. Die Premiere 2025 sieht er als weiteres Indiz, dass Kriegstüchtigkeit, Wehrpflicht und Zeitenwende gesellschaftlich akzeptiert werden. Die Veteranen- und Reservistenverbände hatten schon länger auf genau so einen Tag gedrängt.

„Die Bundeswehr versucht“, hält Emil dagegen, „eine Heldengeschichte zu erzählen, die es gar nicht gibt.“ In Wirklichkeit, ergänzt er, seien es Menschen mit traumatischen Erfahrungen. „Es ist so wichtig, Menschen zuzuhören, die im Krieg waren und deshalb glaubhaft davor warnen können.“ Der Aktivist beschreibt eine Kultur der „undifferenzierten Selbstbeweihräucherung“. Sein Blick auf die Bundeswehr: „Sie finden ihre Waffen geil. Sie finden ihre Kameradschaft geil. Und sie haben ein krass patriarchales Gesellschaftsbild.“
Als Beispiel nennt Emil den Onlineauftritt von Alfashirt – Partner mehrerer Veteranenvereine wie dem „Green Devils Military Brotherhood“. „In diesem Shop wird alles gedruckt, von Panzern über Wehrmachtsoldaten bis hin zu rassistischen Sprüchen.“ Und tatsächlich finden sich auf der Seite für alle genannten Kategorien Beispiele: Shirts mit der Aufschrift „Jedem das Seine“ oder „Klagt nicht, kämpft“, die gerade unter Neonazis beliebt sind.
In der Kategorie „Humor“ gibt es neben Merkel-Bashing und Witzen über Scharfschützen, „die mit Menschen arbeiten“, auch Shirts mit dem Spruch: „Frauen sind wie Handgranaten, ist der Ring einmal am Finger, gibt’s kein zurück mehr … bis es knallt.“ Und wer eher auf rassistische Gags abfährt, wird ebenfalls fündig: Für knapp elf Euro gibt es eine Tasse mit der Aufschrift: „Hey du! Arbeitsscheuer M****! Finger weg von meiner Tasse!“
Der Sonderfall Ukraine
Dass die Bundeswehr ein Problem mit Rechtsextremismus hat, lässt sich jedoch nicht nur am Merch erkennen. So ist auf Plakaten der Leipziger Adbusting-Gruppe zu lesen: „Abhängen mit Nazipreppern?“ Angespielt wird unter anderem auf den Fall „Zuflucht Beuden“, der 2020 durch investigative Recherchen der taz öffentlich wurde. Es geht vor allem um Machenschaften von Reservisten – also Ex-Soldaten – mit Zugang zu Waffen und anderen militärischen Ressourcen. Eine anonyme Quelle hatte der Redaktion Protokolle aus einem Chat zugespielt, in dem sich die Gruppe seit 2015 organisiert hatte und einen „Rassenkrieg“ beschwor.
Mehrere rechtsextreme Reservisten waren 2020 außerdem an einem Corona-Krisenstab in einem Landkreis in Sachsen-Anhalt beteiligt und bestimmten unter anderem mit, inwiefern sich die Bundeswehr an der Eindämmung des Virus beteiligen sollte. Parallel dazu trafen sie sich zu illegalen Schießübungen, um sich auf einen „Tag X“ – den Neonazis mit dem Umsturz und Zusammenbruch des Systems verbinden – vorzubereiten. Das sächsische Dorf Beuden, nördlich von Leipzig, sollte dabei ihr Zufluchtsort sein.
Emil ist es wichtig zu betonen, dass er und seine Gruppe mehr als nur die rechten Strukturen kritisieren wollen. „Die Truppe wird nie nazifrei sein, denn Waffen und Nationalismus ziehen Nazis grundsätzlich an. Selbst wenn sie es wäre, würde sie immer noch für die Verteidigung von Herrschaft stehen – und das lehnen wir ab.“

Eine so klare Absage erteilen derzeit nur wenige Menschen dem Militär. In einer Umfrage aus dem Juni 2025 befürworten 70 Prozent der Befragten die beschlossene Ausgabenerhöhung für die Bundeswehr in den nächsten Jahren. Das war nicht immer so. Mit der 68er-Bewegung fanden sich insbesondere große Massen an Studierenden zusammen, die gegen eine globale Aufrüstungspolitik protestierten. Nach Ende des Kalten Krieges und der Kriege im ehemaligen Jugoslawien lösten sich diese Strukturen weitgehend auf.
Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 sind all diese Fragen wieder omnipräsent. Gleichzeitig ist es heute deutlich schwieriger, eine radikale, antimilitaristische Position zu beziehen, weil es sich im Fall der Ukraine um einen völkerrechtswidrigen Angriff auf einen demokratischen Staat handelt.
Daraus resultieren gute Argumente, die für Waffenlieferungen an die Ukraine sprechen. Emil räumt Widersprüche mit der eigenen Haltung ein. Er versuche, sie auszuhalten. Ihm ist die Unterscheidung zwischen einer ukrainischen Perspektive und einer deutschen wichtig. „Die Menschen in der Ukraine müssen sich verteidigen können. Dafür brauchen sie Waffen. Das zu sagen, tut mir angesichts meiner antimilitaristischen Auffassung weh.“ Daraus zu schließen, dass Deutschland selbst kriegstüchtig werden müsse, kann er nicht nachvollziehen. „Dass ‚der Russe‘ fast vor Deutschlands Tür steht, wovon in Debatten oft ausgegangen wird, halte ich für bewusst übertrieben, um den massiven Aufrüstungskurs zu rechtfertigen.“
Aufrüsten für Frieden?
Kritisch sieht er auch, dass deutsche Medien diejenigen ausblenden würden, die in Russland mit allen Mitteln gegen den Krieg kämpfen. Über Angriffe auf russische Rekrutierungszentren habe er bis jetzt keinen deutschen Artikel gelesen.
Ähnlich unsichtbar bleibe auch der Einsatz der ehrenamtlichen Initiative Solidarity Zone, die für russische, antimilitaristische Gefangene juristischen Beistand organisiert und über deren Haftbedingungen aufklärt. Der Verein Connection setze sich außerdem für die Sichtbarkeit russischer Kriegsdienstverweigernder ein und das Versäumnis deutscher Politik, ihnen Asyl zu gewähren. In den dreieinhalb Jahren Krieg gab es das nur in Ausnahmefällen, obwohl die Bundesregierung bereits 2022 das Gegenteil versprochen hatte.
Und erst vor wenigen Wochen verkündete das CSU-geführte Innenministerium, humanitäre Aufnahmeprogramme für Oppositionelle in Diktaturen und autoritären Staaten komplett zu beenden. „Es kann nicht sein, dass es potenziellen russischen Soldaten schwer gemacht wird, dem Krieg zu entfliehen. Wenn es der Bundesregierung ernst ist, Putin zu stoppen, muss sich das Asylrecht dahingehend lockern, nicht verschärfen.“

Was Emil von der Mehrheit unterscheidet, die sich für Aufrüstung ausspricht, ist die Haltung, was eigentlich verteidigungswürdig ist. Während der Großteil die Bundesrepublik als einen demokratischen Rechtsstaat erkennt, kritisiert Emil den „neoliberalen, nationalstaatlichen Kapitalismus“. Im russischen Imperialismus sieht er nichtsdestoweniger eine Bedrohung, die für annektierte Staaten etwas „noch Schlechteres“ bedeuten würde. Auf die Frage, ob er sich als Teil einer Friedensmission versteht, erwidert Emil, Teil einer antimilitaristischen Bewegung sein zu wollen, „die nicht den Frieden oder die gesellschaftlichen Strukturen sichern will, die wir aktuell haben. Wir wollen Mietwucher, Vermögensungleichheit und Abschiebungen anprangern und hinterfragen, wessen Staat und wessen Nation wir verteidigen.“
So oder so bleibt die internationale Unterstützung ohnehin oft nicht folgenlos. Das zeigt ein im Mai 2025 geschlossenes Abkommen zwischen den USA und der Ukraine. Im Zentrum steht ein Wiederaufbaufonds zum Abbau ukrainischer Bodenschätze. Den Gewinn teilen sich beide Länder hälftig. Der Fonds erhält zudem Vorrang vor in- und ausländischen Unternehmen. „Für die ukrainische Bevölkerung ist es im besten Fall kein Leben unter russischer Diktatur, aber von Mitbestimmung und freier Verfügung über Ressourcen kann nicht die Rede sein“, erklärt Emil. Er wolle sich nicht anmaßen, zu wissen, was das Beste für die Menschen in der Ukraine sei. Die Widersprüchlichkeit wolle er dennoch ansprechen, auch wenn es wehtut. Umso mehr wolle er sich darauf konzentrieren, was er in Deutschland verändern kann.
Mittlerweile ist es das letzte Plakat, das sie an diesem Tag in Leipzig aufhängen werden. Die Transportrolle ist leer. Nachdem die Vitrine zugedrückt ist und die beiden Adbusters hinter der nächsten Häuserecke in einem Stadtpark verschwinden, um die Klamotten zu wechseln, meint Emil: „Ich hab‘ Bock auf noch ’ne Rolle.“ Amy lacht: „Ich auch, ich bin richtig hyped.“
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