Nein und Amen — Kolumne Maike Schöfer

Als Erwachsene und Frau geht es mir nicht mehr so leicht über die Lippen: „Nein“. Besser nicht aufmüpfig sein, nicht laut, schon gar nicht wütend. Denn wir leben in einer Welt des Jasagens. Es braucht mehr Raum für Kritik und fürs Infragestellen.
5. August 2025
5 Minuten Lesezeit
Text: Maike Schöfer — Foto: Benjamin Jenak

Als Kind konnte ich es noch: „Nein“ sagen. Trotzig, laut und selbstbewusst. Ob ein „Nö“ mit verschränkten Armen am Esstisch, ein brüllendes „Neiiin“ beim Einkauf im Supermarkt oder ein aufstampfendes „auf keinen Fall“. Ich habe es gesagt: „Nein“. Wann und wie ich wollte. 

Doch mit dem Älterwerden, vor allem mit dem „Frauwerden“ kam es mir immer mehr abhanden. So einfach platzte ein „Nein“ nicht mehr aus mir heraus. Denn ich bemerkte, wie ich sein und werden sollte als Frau: lieb, lächelnd, schlank und fuckable. Bloß nicht aufmüpfig, laut oder wütend. Auf keinen Fall sollte ich „Nein“ sagen, sondern der Umwelt, insbesondere Männern, ein gutes Gefühl geben – untermalt und präsentiert mit einem Service-Lächeln.

Aber alle, die schon mal ein Service-Lächeln aufsetzen mussten, weil sie auf die sexistische Aufforderung „Lächel‘ doch mal“ nicht anders reagieren konnten, wissen, dass hinter diesen müde hochgezogenen Mundwinkeln ein „Fuck you“ steckt.

Frauen, die „Nein“ sagen, gelten als kompliziert, anstrengend. Sie sind kein Wifey-Material und werden mit jedem „Nein“ hässlicher. So haben es mir zumindest Männer immer zu verstehen gegeben. Wurde mir auf der Straße ein billiger Anmachspruch hinterhergerufen („Ey, Süße, kann ich deine Nummer haben!?“) und wagte ich es dann stehenzubleiben und ein „Nein“ zu entgegnen, war ich wie von Zauberhand plötzlich gar nicht mehr süß. „Du bist eh hässlich“, hörte ich dann oft. Wow. Aber to be honest, diese Form von Sexismus ist Alltag vieler Frauen. 

Nun habe ich ein ganzes Buch über das Neinsagen geschrieben und habe das Nein von allen Seiten betrachtet. Ich bin tief eingetaucht in alle Dimensionen des Neins, habe es in Religion, Popkultur und Gesellschaft aufgespürt, hervorgeholt und in Szene gesetzt. Damit möchte ich uns und auch mir das Nein zurückholen, weil jede*r das Recht zum Neinsagen hat. 

Denn wir leben in einer Welt des Jasagens. Vielen fällt ein „Nein“ schwer. Es unterbricht, setzt Grenzen, markiert ein Stopp, ein „Nein“ beendet und bricht ab. Auf das „Nein“ wird ablehnend reagiert, kopfschüttelnd, augenrollend, genervt, ignorierend. So ein „Ja“ baut Beziehung auf, knüpft an, das „Ja“ ist freundlich und zustimmend. Hinzu kommt, dass die Reaktionen auf ein „Ja“ meist positiv sind: umarmend, freuend, zustimmend, applaudierend, feiernd. Und so liegt es auf der Hand, dass Menschen ein „Ja“ leichter über die Lippen kommt.

Frauen aber wird das Neinsagen auch strukturell erschwert, wie anderen marginalisierten Menschen auch. Das zeigen Phänomene wie Mansplaining, People Pleasing, Schönheitsideale, Heteronormativität, das Brave-Tochter-Syndrom oder Amatonormativität – und all das, was das Patriarchat noch so an destruktiven Auswüchsen mit sich bringt. 

Schönheitsideale zum Beispiel sind nicht nur harmlose Beauty-Trends, sie haben immer auch rassistische, ableistische, frauenfeindliche, rassistische, kapitalistische Dimensionen. Gerade auf Frauen können sie immense negative Auswirkungen haben – auf ihren Körper, ihre Psyche, ihre Sexualität, ihre Identität und ihre Beziehungen. Und genauso auf das Neinsagen. 

Ich bin mit Germany’s Next Topmodel aufgewachsen, mit Talkshows, der Bravo und Lifestyle-Magazinen. Überall dort wurden Frauenkörper bewertet, begutachtet und verbessert. Ich habe dadurch gelernt, an meinem Körper zu arbeiten, ihn zu optimieren, zu verschönern und nie zufrieden mit ihm zu sein. Wieviel Lebenszeit ich verschwendet habe, um irgendwelchen Schönheitsidealen zu entsprechen, ihnen nachzueifern. Halleluja!

Allein mit den Stunden, die ich mit dem Enthaaren meines gesamten Körpers verbracht habe, hätte ich ein zweites Studium absolvieren können. Und was ich schon alles hätte tun können, wenn ich nicht ständig versucht hätte, am Wochenende noch in diese eine verdammte Hose zu passen. And that’s the point! Schönheitsideale kosten auch Zeit, Geld und Ressourcen. Ich weiß: Für viele ist das Pflegen des eigenen Körpers auch Entspannung oder wichtige Me-Time. Volles Verständnis. Gleichzeitig müssen wir uns ehrlich fragen, inwieweit uns die Beauty-Industrie einnimmt und Schönheitsideale negativ beeinflussen.

Keine Angst, hier kommen jetzt keine Liebe-deinen-Körper-so-wie-du-bist-Ratschläge. Aber Mach-kaputt-was-dich-kaputt-macht-Tipps. Ich wollte mich einfach nicht mehr so krass von Schönheitsnormen einnehmen lassen. Also habe ich aufgehört, meinen Körper zu enthaaren und angefangen, darüber zu schreiben. Ich liebe meinen Körper dadurch nicht mehr. Aber für mich war es ein emanzipatorischer Akt. Eine Übung im Neinsagen, auf die weitere folgten …

Neinsagen geschieht also nicht nur verbal, nicht nur über das gesprochene Wort. Neinsagen können und müssen wir eben auch mit dem Körper, auf gesellschaftlicher, individueller und kollektiver Ebene – auf der Demo, in der Schule, im Museum, im Bundestag oder der Kirche. 

Apropos Kirche: „Zu allem Ja und Amen sagen“ ist nicht nur eine christliche Floskel, sondern für viele Christ*innen tatsächliches Erleben. In vielen christlichen Gemeinden und Kirchen gibt es kaum Platz für Kritik, fürs Infragestellen, für Unsicherheiten oder eben für ein „Nein“. Der Harmonie und der Außenwirkung wegen werden vielerorts jegliche kritische Gedanken oder Anmerkungen vielleicht noch angehört, aber nicht angenommen.

Ein aktuelles Beispiel liefert die ForuM-Studie. Sie macht deutlich, dass in der Evangelischen Kirche Strukturen wie Verantwortungsdiffusion, Harmoniesucht, eine Kultur des Schweigens und eine vermeintliche Hierarchielosigkeit sexualisierte Gewalt befördern. Diese Strukturen verhindern auch, dass Grenzen ernst genommen werden und Menschen „Nein“ sagen können – gegenüber Autoritäten, Gruppen, Handlungen. Es braucht dringend auf allen kirchlichen Ebenen eine umfassende Aufklärung, Aufarbeitung, Bildung und Veränderung der Strukturen. 

Viele Neins, die gesprochen oder verkörpert wurden, wurden überhört, unsichtbar gemacht, umgedeutet oder aus unserer Geschichte radiert. Dabei ist es so wichtig, dass wir uns von den Neins und ihren Neinsager*innen erzählen. Meine persönlichen Neinsager*innen sind Pippi Langstrumpf, die Spice Girls, Rosa Parks, Marsha P. Johnson, Sinéad O’Connor und Eva.

Ja, die Eva aus der Bibel. Ich sehe Eva mit ihrem Biss in den Apfel (der ja eigentlich gar kein Apfel war) als erste Neinsagerin der Menschheit überhaupt. Sie sagte „Nein“ zum Verbot, zu Adam, zum Paradies, sogar zu Gott* und entschied sich für sich und für ein anderes Leben. Was für ein Badass-Move! Wenn wir uns Frauen anschauen, die Nein“ gesagt haben, kann uns das bestärken, zu eigenen Neins inspirieren und uns miteinander verbinden. 

Wir müssen „Nein“ sagen, zu allem, was uns kleinhält, einengt und unterdrückt. Wir müssen „Nein“ sagen für uns und für andere. Denn in jedem „Nein“ steckt auch ein „Ja“ zu uns selbst. Ein „Ja“ zu einem anderen, besseren Zustand. Ein „Ja“ zu Gerechtigkeit, Liebe und Frieden, so kitschig das klingen mag. In jedem „Nein“ steckt das Potenzial zu Veränderung. Es markiert zwar eine Grenze, setzt ein Stopp, kann aber auch einen neuen Weg aufzeigen.

Lasst uns „Nein“ sagen, davon erzählen, die Geschichten der Neinsagenden hervorholen und jedes „Nein“ mit Konfetti und Jubel feiern – ob zu Überstunden, einer zu engen Hose, einem sexistischen Spruch, einer frauenfeindlichen Bibelauslegung, einem rassistischen Witz oder auch zur Ehe. Kurzum: Hallo, „Nein“! Amen.

Religionslehrerin und Pfarrerin Maike Schöfer setzt bei Instagram auf klare Worte. Gott* schreibt sie mit Sternchen und hat das feministische Andachtskollektiv initiiert.

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